Doors schrieb:Vielleicht hilft einfach noch mal ein wenig Geschichtsunterricht. Dann wird man feststellen, dass "die Deutschen" in den vergangenen zwei, drei Jahrhunderten ein Volk von "Wirtschaftsflüchtlingen" und "Asylbewerbern" waren, die sich aufgemacht haben, von der Wolga bis in die Karpaten, von Alaska bis Feuerland, von Afrika bis Asien und Australien ihr Glück zu suchen.
Es ist vollkommen richtig was Du schreibst, aber man kann es nicht so ohne Weiteres und vollständig auf die derzeitigen Probleme übertragen.
Nur ein paar Punkte, die m. M. anders gewesen sind als heute:
-Es gab keine finanzielle Unterstützung: Wer z. B. in die USA eingewandert ist oder eben auch nach Deutschland (ich denke da z. B. an polnische Arbeiter, die Ende des 19. Jahrhunderts ins Ruhrgebiet kamen) musste sehen, wie er seinen Lebensunterhalt bestritt. Das war dann schon ein anderer Anreiz, aus sich etwas zu machen. Und schon gar nicht wäre es möglich gewesen, von der Unterstützung auch noch Geld abzuzweigen und per Western Union der Familie in der alten Heimat zu schicken (und nein, ich will hier keine blödsinnigen Horrorgeschichten erzählen was "die Ausländer" angeblich für einen Luxus finanziert bekommen, und ja, ich finde es richtig, Menschen in Not finanziell zu unterstützen - das nur zur Klarstellung!).
-Bedingt durch diesen Zwang, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern, war es nötig, auch die Landessprache zu erlernen wenn man nicht ausschließlich auf die eigene Community angewiesen sein wollte.
- Damit zusammen hängt auch, dass seinerzeit der Bedarf an einfachen Arbeitern größer war als heute: Es werden keine Schiffe mehr von Hand ausgeladen und es werden auch die Ziegelsteine am Bau nicht mehr von Handlangern über das Gerüst hochgetragen und der Beton von Hand angemischt. Für die Tätigkeiten, die eine gewisse soziale Aufstiegsmöglichkeit bieten (und damit auch einen Verdienst, der deutlich über der staatlichen Unterstützung liegt) setzen gute Kenntnisse der Landessprache voraus und eine entsprechende (Aus-) Bildung. Und wer die nicht mitbringt aber auch nicht bereit und in der Lage ist, diese Kenntnisse nachzuholen, der hat schlechte Karten.
- Und das sorgt dann wieder für einen gewissen sozialen Unfrieden unter den Migranten, die mit falschen Vorstellungen gekommen sind und womöglich auch viel Geld für einen Schleuser bezahlt haben, der ihnen das Blaue vom Himmel versprochen hat (unterstützt von anderen bereits ausgewanderten Landsleuten, die natürlich nicht gerne zugeben wollen, dass es so doll dann auch wieder nicht läuft).
-Hinzu kommt auch noch, dass durch die modernen Medien die Verbindung zum kulturellen Herkunftsraum leicht aufrecht erhalten werden kann. Das ist einerseits sicher erfreulich, hat aber auch wieder den Nachteil, dass man nicht gezwungen ist, sich mit den politischen Verhältnissen und Gegebenheiten in dem Land, in das man eingewandert ist, auseinanderzusetzen. Und es kann auch dazu führen, dass bestimmte soziale Gruppen stärker als früher politisch-religiös indoktriniert werden. Wenn einem der Prediger im Heimatsender rund um die Uhr erzählt, dass es eine Sünde ist, wenn Mädchen zum Schwimmunterricht gehen, dann wird man sich weniger die Frage stellen, ob das nicht vielleicht Quatsch ist oder ob man sich nicht zumindest in diesem Punkt an die Gepflogenheiten der neuen Heimat anpasst.
Wie gesagt: Ich stimme Dir grundsätzlich zu, aber die derzeitige Situation unterscheidet sich eben doch von der Zeit früherer Wanderungsbewegungen.