11. August 2008, 20:34 UhrKAUKASUS
Georgien meldet russischen Vormarsch auf Tiflis
Was ist Kriegspropaganda? Was ist Wahrheit? Die Regierung in Tiflis behauptet, russische Truppen hätten die Stadt Gori eingenommen, das Land praktisch in zwei Hälften geteilt und rückten auf die Hauptstadt vor. Präsident Saakaschwili fordert internationale Hilfe. Moskau hingegen dementiert ausdrücklich.
Moskau/Tiflis - Es sind dramatische, aber auch höchst widersprüchliche Meldungen, die am Abend aus dem Kaukasus kamen: Russische Truppen würden auf die Hauptstadt Tiflis vorrücken, zudem hätten sie die Stadt Gori eingenommen - so zumindest die Version aus Tiflis.
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili sprach bei einer Sitzung des Sicherheitsrates von einem Vordringen russischer Bodentruppen in seinem Land. "Dies ist ein Versuch, Georgien völlig zu erobern und zu zerstören", sagte Saakaschwili am Montagabend nach Angaben georgischer Medien. Die russischen Truppen hätten Georgien praktisch in zwei Hälften getrennt. Die internationale Staatengemeinschaft müsse helfen. "Sie sollen diesen barbarischen Aggressor stoppen", forderte Saakaschwili. Humanitäre Hilfe und Erklärungen seien wichtig, "aber wir brauchen viel mehr", sagte der Staatspräsident.
Dagegen hieß es aus Moskau: "Pläne, nach Tiflis vorzudringen, hatten wir nie und haben wir nicht", sagte am Montag ein Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums nach Angaben der Agentur Interfax.
Behauptungen des georgischen Präsidenten, die russischen Bodentruppen seien auf dem Weg in die Millionenstadt, zeugten "offensichtlich einfach von der Panik" der georgischen Führung. Saakaschwili räumte am Abend ein, Tiflis sei nicht akut bedroht.
Der Ministeriumssprecher in Moskau sagte weiter, die russische Armee dringe nur bis zu Stellungen vor, um weitere Angriffe auf die von Georgien abtrünnige Region Südossetien zu verhindern. Beobachter vermuten, dass Russland eine Pufferzone um das prorussische Südossetien errichten will.
Das russische Verteidigungsministerium dementierte auch die Eroberung von Gori: "Russische Truppen haben die Stadt Gori nicht eingenommen", sagte ein Militärsprecher nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. Auch ein Korrespondent der britischen Agentur Reuters meldete am frühen Abend, er habe keine russischen Truppen in Gori gesehen. Die Stadt sei jedoch wie ausgestorben, so der Korrespondent.
Was Kriegspropaganda ist und was Wahrheit, war am Abend kaum auszumachen. Gestützt wurden die georgischen Berichte allerdings durch Einwohner Goris, die der Deutschen Presse-Agentur dpa in Moskau gegenüber mitteilten, dass ihre Stadt bereits in russischer Hand sei.
Gori mit seinen 50.000 Einwohnern ist 66 Kilometer von Tiflis entfernt und liegt außerhalb der seit Tagen umkämpften abtrünnigen Region Südossetien. Gori ist die größte georgische Stadt in Grenznähe zu Südossetien. Mit Beginn der georgischen Militäroffensive in Südossetien am vergangenen Freitag wurde die Stadt zum Ziel russischer Luftangriffe. Zwischen der südossetischen Hauptstadt Zchinwali und Gori, der Geburtsstadt des sowjetischen Diktators Josef Stalin, liegen nur rund 30 Kilometer.
Tiflis meldet, georgische Truppen hätte Gori verlassen
Der Chef des georgischen Nationalen Sicherheitsrats, Alexander Lomaja, hatte zuvor gesagt, Russland mit der Einnahme Goris erstmals außerhalb der abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien auf dem Landweg auf georgisches Territorium vorgedrungen. "Wir wissen nicht mehr, wo für die russischen Invasoren die Grenze ist", so Lomaia. "Russland will scheinbar die demokratisch gewählte Regierung von Georgien stürzen und das Land okkupieren", hieß es in der Mitteilung weiter.
Die georgischen Streitkräfte hätten nun die Aufgabe, Tiflis vor der Einnahme zu schützen. Noch seien europäische Politiker wie der schwedische Außenminister Carl Bildt in Tiflis, um mit Präsident Saakaschwili die Lage zu sondieren. Saakaschwili hatte zuvor eine einseitige Waffenstillstandserklärung unterzeichnet.
Im Verlaufe des Montags hatten russische Soldaten laut georgischen Angaben bereits einen Militärstützpunkt in der Ortschaft Senaki im Westen Georgiens sowie die Stadt Sugdidi nahe der abtrünnigen Provinz Abchasien besetzt. Aus Moskau hieß es dazu: Mit dem Vormarsch auf Senaki sollten neue georgische Angriffe auf Südossetien verhindert werden, teilte das russische Verteidigungsministerium nach Berichten russischer Nachrichtenagenturen mit. Laut russischen Angaben hätten sich die Truppen am Abend wieder aus Senaki zurückgezogen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,571380,00.html