Der nächste Krieg der USA wird gegen den Iran sein
06.03.2012 um 16:25
FOCUS-MONEY: Wie wahrscheinlich ist Ihrer Ansicht nach ein Bombenangriff Israels auf die Atomanlagen des Iran?
Peter Scholl-Latour: Einen solchen Angriff halte ich immer noch für unwahrscheinlich. Er wäre wegen seiner Dimension für Israel nur mit amerikanischer Unterstützung zu machen. Aber in den USA gibt es doch erhebliche Kräfte, die gegen einen solchen Angriff sind.
FOCUS-MONEY: Und was ist mit dem in Israel gebrauchten Argument vom „Zeitfenster“ – ein Angriff müsse erfolgen, ehe der Iran die Zentrifugen zur Urananreicherung in unterirdische Bunker gebracht hat?
Scholl-Latour: Das Zeitfenster ist wohl eher ein anderes: der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf. In Israel denken vielleicht einige, in einer Zeit, in der sich die Kandidaten um Wählerstimmen bemühen, müssten diese extreme israelische Positionen beziehen.
FOCUS-MONEY: Und wann hat der Iran eine Atombombe – oder hat er sie vielleicht sogar bereits?
Scholl-Latour: All das wissen wir nicht. Es gibt sogar Leute, die sagen, es gebe eine Fatwa – also eine höchste geistliche Entscheidung -, die Bombe nicht zu bauen. Und Ajatollah Chomeini wollte damals keine Atombombe. Aber vor allem sollte man eines festhalten: Wenn sich die Iraner eine Atomwaffe zulegen, dann nicht, um sie auf Tel Aviv, Europa oder gar die USA abzuschießen.
FOCUS-MONEY: Weshalb dann?
Scholl-Latour: Als Abschreckung, wie das alle anderen Staaten auch gemacht haben, die sich eine Atomwaffe zulegten. Sogar die Pakistaner, deren Bombe meiner Ansicht nach viel gefährlicher ist als eine eventuelle iranische, haben damit das konventionell weit überlegene Indien in eine Pattsituation gebracht.
FOCUS-MONEY: Und was ist mit den Drohungen von Präsident Ahmadinedschad, Israel müsse vernichtet werden?
Scholl-Latour: Solche Drohungen sind von Dutzenden arabischer und islamischer Politiker ausgesprochen worden, damit ist Ahmadinedschad nicht weiter gegangen als andere auch. Abgesehen davon, sind gewisse Aussagen von ihm falsch übersetzt worden.
FOCUS-MONEY: Wie ist eigentlich die momentane militärische Stärke des Iran generell einzuschätzen?
Scholl-Latour: Die ist erheblich. Einen konventionellen Krieg kann selbst Amerika nicht mehr gegen den Iran führen. Wenn man nicht in der Lage ist, Afghanistan niederzuwerfen, wenn man im Irak gescheitert ist, dann ist es völlig aussichtslos, gegen den Iran anzutreten. Denken Sie nur an die gewaltigen Dimensionen, 80 Millionen Menschen, eine riesige Fläche und ein extrem schwieriges Terrain mit Felsmassiven – das ist nicht der platte Tisch von Mesopotamien, wo man mit Panzern vorrollen kann. Das wissen die amerikanischen Militärs sehr gut, und sie sind es auch, die bremsen. Es sind mal wieder die Politiker, die auf die Tube drücken.
FOCUS-MONEY: Wie würde eigentlich Ägypten reagieren, wenn der Iran die Atombombe hätte? Droht dann ein nukleares Wettrüsten in der Region?
Scholl-Latour: Das wird man auf Dauer ohnehin nicht verhindern können, aber das hängt nicht unbedingt vom Iran ab. Die Ägypter fühlen sich doch nicht von einer iranischen Atombombe bedroht, auch wenn sie das im Moment sagen. Es geht darum zu verhindern, dass Iran zur beherrschenden Macht am Persischen Golf wird und über den Irak, Syrien und den Libanon, der im Grunde von der Hisbollah beherrscht wird, eine durchgehende schiitische Staatenkette von Afghanistan bis zum Mittelmeer entsteht. Das ist eine sunnitische Reaktion gegen eine schiitische Machtfestigung.
FOCUS-MONEY: Kommen wir noch mal auf die USA zu sprechen. Welchen Einfluss haben sie eigentlich auf Israel?
Scholl-Latour: Offenbar überhaupt keinen. Schon Bush, hat – mehr noch als Obama – versucht, Einfluss zu nehmen, und sogar Bush senior hat erheblichen Druck auf Israel ausgeübt, damit das Land seine Siedlungspolitik aufgibt. Stattdessen wurde sie forciert. Und Israels Ministerpräsident Netanjahu wurde vom US-Kongress mit Standing Ovations begrüßt – darauf muss der Präsident naürlich Rücksicht nehmen.
FOCUS-MONEY: Im Moment scheinen die USA eher auf Sanktionen zu setzen. Können die wirksam sein?
Scholl-Latour: Sanktionen sind ziemlich unsinnig. Wenn man dem Iran verbieten will, sein Erdöl in den Westen zu exportieren, verkauft er es eben nach China oder anderswohin. Inzwischen sind bereits die Preise gestiegen – und von höheren Preisen profitiert auch der Iran. Er nimmt mehr ein, als er durch Sanktionen verliert.
FOCUS-MONEY: Besteht eigentlich eine Chance auf eine Wiederannäherung zwischen den USA und Iran?
Scholl-Latour: Das liegt allein bei den Amerikanern, die bisher jede Verhandlung mit dem Iran abgelehnt haben. Der Iran wäre absolut bereit zu einer Annäherung, dort gibt es ja keine wirkliche amerikafeindliche Grundstimmung. Ich verstehe im Übrigen nicht, warum der Iran nun als die Quelle alles Bösen gilt. In mancher Hinsicht sind die Zustände dort demokratischer als in anderen islamischen Staaten. Herr Ahmadinedschad kann beispielsweise jederzeit vom Parlament abgesetzt werden.
FOCUS-MONEY: Wie schätzen Sie die Rolle Chinas ein? Könnte Peking den Konflikt zwischen Israel und Iran beeinflussen?
Scholl-Latour: Die Chinesen haben das kluge Prinzip, sich in innere Angelegenheiten fremder Staaten nicht einzumischen. Das ist im Grunde auch ehrlicher als das, was der Westen macht. Der interveniert nur dort, wo ihm das Regime nicht passt. Dort, wo das Regime kooperiert oder wo es ihm unentbehrlich erscheint wie in Saudi-Arabien, akzeptiert der Westen die schlimmsten Vergehen gegen die Menschenrechte.
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