[...]Wenn man mittels der Gleichung links = rechts, rechts = links beweisen kann, daß rechte und linke Positionen gegen die pluralistische Demokratie und für eine totalitäre Diktatur sind, hat man die Handhabe, jede Kritik am Bestehenden unter Totalitarismus-Verdacht zu stellen: Totalitäre sind dann jeweils die, die das Bestehende in Frage stellen. Das aber sind - die eigentliche Zielrichtung des Totalitarismus-Verrufs zeichnet sich ab - in Deutschland traditionell immer die Linken gewesen. Diese Konsequenz ist jedenfalls einem Denken, das auf die Identifikation von rechts und links ausgeht, immanent.
Wenn rechts und links in ihrer äußersten Konsequenz auf Diktatur hinauslaufen, dann entlastet man sich von einer differenzierten Auseinandersetzung mit beiden, vor allem aber braucht man die Herausforderung der Linken nicht anzunehmen und die eigene Position unverändert als gemäßigt-fortschrittlich nur zu deklarieren, nicht aber auch inhaltlich auszuweisen. Im äußersten Falle mag sogar die Gleichsetzung von rechts und links der verschleiernden Rechtfertigung des eigenen Angebotes von autoritär-oligarchischer Herrschaft dienen.
Wer den Totalitarismus-Verdacht als Bremse gegen die Weiterführung des Demokratisierungsprozesses benutzen will, wer deshalb z. B. das beim Worte genommene und aktualisierte klassische Gleichheitspostulat der Demokratie als totalitären Anspruch auf Gleichmacherei abweist, kann sich der Anstrengung entziehen, darüber nachzudenken, daß Demokratie keine Ansammlung unabänderlicher Prinzipien ist, sondern eine je wieder mit neuen Inhalten zu erfüllende historische Kategorie.
Wer Demokratie mit Hilfe der falschen Gleichung links = rechts, rechts = links, festgekrallt am Status quo, derart begrenzt, wird bestenfalls bereit sein, das als veränderungsbedürftig zuzugestehen, was im Rahmen zweckmäßiger Argumentation zugestanden werden muß; er wird jedoch Fragen als irrelevant zurückweisen, die über das, was ist, Zukunft vorwegnehmend, hinausweisen, Fragen z. B. wie: "Wo werden die Bedingungen geschaffen, in denen der Mensch in immer größerem Maße ein freies, schöpferisches, gesellschaftliches, rationales Wesen wird?" - "Wo gibt es die Vermittlung von Anleitungen für eine Humanisierung des Lebens, die Bereitstellung von Hdfsmitteln für die Selbstverwirklichung in einer verwalteten Umwelt?" Wo wird daran gedacht, "daß die Möglichkeiten der Beteiligung der Produzierenden an den Ergebnissen der Produktion (Gewinnbeteiligung) sowie an der Gestaltung der Zielsetzungen und der Produktionsbedin2unEen noch lange nicht ausgeschöpft sind, daß sie vielmehr gerade bei fortschreitender Technologie in wachsendem Maße wahrgenommen werden müssen, um nicht den Menschen den technischen Verhältnissen zu opfern".
Solche Fragen werden von den Konservativen des Status quo meist allzu rasch als falsches Heil verheißende Utopien verworfen; die Kritik beißt sich dabel oft an Zerrformen linken Denkens fest; die links-immanente Kritik wird nicht registriert; als totalitär wird deklariert, was aus anderer Perspektive als notwendige, besser: selbstverständliche Kommunikations- und Kooperationsformen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft zu betrachten wäre. Es läßt sich freilich rasch als Unfug deklarieren, als "Demokratismus" abqualifizieren, wenn in der Familie, in der Schule, an der Universität, im Betrieb usw. emanzipatorisch sich auswirkende Mitbestimmung der prinzipiell Gleichen und damit Freien gefordert wird. Wie denn, so wird gefragt, da doch jeder Sozialtatbestand "eingebunden (ist) in die unabänderliche Folge des Lebens: Geburt, Kindheit, Jugend, Reife, Alter, Tod"; da doch "alle Sozialtatbestände und ihre Institutionen: Schule, Universitäten, die Arbeitswelt und schließlich, im Grunde natürlich zuerst zu nennen, die Familie ... Initiationsgebilde, die in sich Ungleiche und, so jedenfalls die Familie, auch Unfreie vereinigen", sind', kurz: es "lassen sich nicht alle Bereiche enthierarchisieren".[...]
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Auszug aus: Helga Grebing Linksradikalismus gleich Rechtsradikalismus. Eine falsche Gleichung
http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr174s.htm