Zunächst scheint es fragwürdig, ob die Tat wirklich spontan und nicht zielgerichtet erfolgte. Zeugen zufolge habe der Soldat die Leichen vor ihrem Verbrennen mit Chemikalien übergossen – was für ein geplantes Vorgehen und das Verwischen von Spuren spricht. Und möglicherweise kannte er seine Opfer. Er soll einer Einheit angehört haben, die „Dorfstabilisierungs-Operationen“ (village stabilization operations) durchführt. Im Rahmen dieser Arbeit baut er lokale Polizeieinheiten auf und versucht, enge Kontakte zu den Dorfältesten herzustellen. (9) Laut Angaben eines Dorfbewohners sei eines der angegriffenen Häuser das eines Stammesältesten gewesen. (10)
Gegen die Version der willkürlichen Wahnsinnstat eines Einzelnen sprechen auch Aussagen verschiedener Zeugen. So zitiert die New York Times den 40-jährigen Abdul Hadi, der von mehr als einem Angreifer spricht. Mindestens fünf weitere Einwohner sprachen, so die NYT weiter, von mehreren Soldaten. (11)
Gul Bashra, Mutter eines der getöteten Kinder, verwendete den Plural, als sie gegenüber Associated Press das Erlebte beklagte: „Sie töteten ein Kind, das zwei Jahre alt war. War dieses Kind ein Taliban?“ (12)
Auch Haji Samad, der elf Angehörige bei dem Gemetzel verloren hatte, sprach im Plural: „Sie kippten Chemikalien über die Leichen und setzten sie in Brand.“ Nachbarn berichteten von mehreren Soldaten, die getrunken und gelacht hätten. „Sie waren alle betrunken und schossen durch die Gegend“, beschreibt Agha Lala den Vorfall. (13)
„Viele Afghanen, darunter gesetzgebende Personen und andere Offizielle, glauben, dass die Attacke geplant wurde und zeigten sich skeptisch, dass ein amerikanischer Soldat alleine ohne Hilfe den Angriff durchführen konnte.“ (14) Zu den Skeptikern zählt auch der öffentliche Repräsentant Kandahars, Hamidzai Lalai. Er widersprach der Version, derzufolge die Tötungen von einem einzigen, „geistig labilen“ Soldaten durchgeführt wurden. (15)
Auch Präsident Karsai sprach anfangs noch von „amerikanischen Kräften“, in der Folge dann aber von dem individuellen Akt eines Soldaten.
Gegen die These vom Einzeltäter sprechen auch afghanische Militärangaben. Danach soll der US-Soldat „außerhalb des Stützpunktes noch von afghanischen Soldaten festgenommen worden sein“. (16) Wenn das stimmt, dann hat sich der Soldat nicht freiwillig selbst gestellt, was die Amoklauf-These weiter untergräbt. Auch der Tatablauf selbst will sich nicht so recht in das Bild des Einzeltäters fügen. Hatte er keine Angst, erschossen zu werden, als er nach dem Massaker die elf Leichen zusammentrug und anschließend entzündete? Oder hatte er nichts zu befürchten, weil andere ihm dabei den Rücken deckten?
War es also wirklich die Tat eines Einzelnen, der „unter psychischen Problemen gelitten“ habe, wie das US-Militär behauptet? Sicher, wer solche Taten begeht, dem lässt sich kaum psychische Gesundheit bescheinigen.
http://www.hintergrund.de/201203121960/globales/kriege/afghanistan-ein-amoklauf-das-naechtliche-morden-hat-methode.html (Archiv-Version vom 16.03.2012)