Weg mit dem Dreck:
afghanistan
Arme Bauern, reiche Ernte
Mitten im Chaos Afghanistans blüht der Anbau von Schlafmohn – das Land ist wieder der größte Heroinproduzent der Welt
Auf den ersten Blick wirkt das kleine afghanische Dorf Dascht idyllisch. Auf einem dürren Esel galoppiert ein alter Mann an den Lehmhütten vorbei, Staub wirbelt auf, in einem nahen Mohnfeld bindet die Bäuerin ihren Tschador fester um Mund und Nase. Die roten Mohnblüten bilden einen scharfen Kontrast zu der kargen Gebirgslandschaft. In Dascht leben sechs Großfamilien, überwiegend von Opiumanbau. „Dascht“ bedeutet Wüste, und der Name könnte nicht treffender sein. Die Provinz Wardak in Zentralafghanistan, in der das Dorf liegt, gehört zu den verlassensten Winkeln des armen Landes. Was auf den steinigen Böden gedeiht, reicht kaum, um das nackte Überleben zu sichern. Die Taliban wurden vor anderthalb Jahren gestürzt, aber bislang haben die westlichen Hilfsorganisationen in dieser Gegend noch nichts ausgerichtet. „Als mir die Agentur vorschlug, Mohn anzubauen, und gleich einen Vorschuss angeboten hat, habe ich sofort zugestimmt“, erzählt der Bauer Salik. Die „Agenturen“, wie sie die Bauern beschönigend nennen, sind Drogenlabors, die das aus dem Schlafmohn gewonnene Rohopium zu Heroin verarbeiten.
Zwei Drittel des weltweit gehandelten und bis zu 90 Prozent des in Europa konsumierten Heroins stammen nach Schätzungen der Vereinten Nationen aus Afghanistan. Für September erwarten Experten eine neue Rekordernte, die den 1999 erreichten Höchststand von 4600 Tonnen, die auf 91000 Hektar Anbaufläche geerntet wurden, noch übertreffen könnte. Heroin ist heute der Hauptexportartikel des Landes, in dem 70 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind. „Die Drogenbekämpfungspolitik der westlichen Geberländer ist ein eklatanter Misserfolg“, sagt der stellvertretende afghanische Landwirtschaftsminister Mohamad Sharif.
Mit dem Ende der Taliban-Herrschaft entstand außerhalb der Hauptstadt Kabul ein Machtvakuum. Weder finanziell noch personell ist die Regierung von Präsident Hamid Karsai in der Lage, in den Provinzen die elementaren Staatsfunktionen zu gewährleisten: Polizei, Justiz, Grenzsicherung. Davon profitieren die in der pakistanischen Grenzregion angesiedelten Drogensyndikate. Kaum waren die Taliban aus ihren Ämtern in den Regionen vertrieben, schwärmten Mittelsmänner der Dealer aus, um im ganzen Land verarmte Bauern zum Opiumanbau zu animieren. Diese „Agenten“ verteilen nicht nur kostenlos Saatgut und Dünger, sie bilden die Bauern auch im Anbau des Rauschgifts aus und kaufen manchmal die Ernte im Voraus auf. „Viele Bauern haben dieses Jahr angefangen, Schlafmohn anzubauen“, sagt der Sprecher der UN-Drogenkontrollbehörde UNODC in Kabul.
Allerdings hat nicht nur die herrschende Anarchie diesen Zuwachs ermöglicht. Er ist auch das Ergebnis verfehlter Entwicklungspolitik. Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung der Geberländer ist Großbritannien für die Vernichtung der Opiumfelder zuständig. London hat dafür 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. „Aber die Briten haben eine sehr kurzsichtige Methode gewählt: Sie boten Bauern, die mit der Vernichtung ihrer Opiumfelder einverstanden waren, eine einmalige Kompensationszahlung – ohne Perspektive für die Zukunft“, sagt Mohamad Sharif.
Um die Prämie beantragen zu können, beeilten sich daraufhin zahlreiche Bauern, mit dem Anbau überhaupt erst zu beginnen. Andere warteten geduldig, bis ihre Felder untergepflügt waren, um anschließend die reifen Mohnkapseln auszugraben und doppelt zu kassieren: Zur britischen Kompensationszahlung addierte sich der Erlös aus dem vermeintlich zerstörten Rohopium, der im vergangenen Jahr bei 350 Dollar pro Kilo lag. Zwar hat Großbritannien das Programm inzwischen eingestellt. Ein neues gibt es bisher nicht. Die britische Botschaft in Kabul vertröstet lediglich: „Wir sind dabei, langfristige Alternativen für die Bauern zu prüfen.“
In die Kritik geraten ist zudem die überwiegend von den USA geleistete Nahrungsmittelhilfe. Seit dem Sturz des Taliban-Regimes schwappte eine Welle von mehr als 600000 Tonnen Getreide nach Afghanistan, aber die Hilfe kommt nicht immer bei den Ärmsten an. Mit der Verteilung an Bedürftige beauftragt, verscherbeln lokale Notabeln in Wirklichkeit oft einen Teil der Lieferungen auf den Märkten der Dörfer. So sinken die Preise für lokal angebautes Getreide, die Bauern können ihre Erzeugnisse nicht mehr rentabel verkaufen und werden von den bereitstehenden „Agenten“ zu Opiumproduzenten umgeschult. „Das ist zwar nicht der einzige Grund für den Heroinboom, aber es ist höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft die perversen Effekte der Nahrungsmittelhilfe unter die Lupe nimmt“, sagt der französische Entwicklungshelfer und Landwirtschaftsexperte Henri Chaudet.
Opium gedeiht im Schatten von Armut und Korruption. Distriktgouverneure verdienen kaum mehr als 30 Dollar monatlich, allein ein Sack Reis kostet aber 35 Dollar. Die ohnehin symbolischen Gehälter kommen zudem in den fernen Provinzen oft gar nicht an. Die Beamten leben von Schmiergeldzahlungen, die nicht zuletzt von den Drogensyndikaten stammen. Die Regierung in Kabul toleriert diese Praktiken notgedrungen, denn sie hat nicht die nötigen Einnahmen, um angemessene Gehälter zu bezahlen. „Die Staatskassen sind leer, wir können Opiumbauern und bestechlichen Beamten folglich nur ins Gewissen reden“, sagt Mohamad Sharif.
Schon trauert in den Provinzen so mancher Afghane dem autoritären Taliban-Regime nach. Die Muslimextremisten hatten im Juli 2000 ein Anbauverbot für Schlafmohn erlassen und so rabiat durchgesetzt, dass die Ernteerträge von 3300 Tonnen (2000) auf nur noch 185 Tonnen im Jahr 2001 sanken. Der Grundbesitzer Asghar aus Laghman im Osten des Landes erzählt: „Als die Taliban hier waren, haben sie die Waffen der Privatleute eingesammelt und die Opiumfelder vernichtet. Heute brauche ich eine Kalaschnikow, um meine Familie zu schützen, und ich finde nicht mehr genug Landarbeiter, um meine Weizenfelder zu bestellen, weil die meisten zu den Opiumbauern abgewandert sind.“
http://www.zeit.de/2003/37/Afghanistan_2fOpium