Holocaust, oder die Frage wird doch erlaubt sein....
30.05.2006 um 05:31Im letzten Schritt werden die ersten drei zusammengefasst und verhärtet.Rassismus
beginnt dabei nicht erst mit der Annahme, es gebe "hochstehende" und"minderwertige
Rassen" (Überlegenheitsrassismus), sondern bereits mit einer"rassentrennenden"
Aussonderung von Menschengruppen, durch die das gemeinsame sozialeLeben gespalten wird
(Reinhalterassismus, vgl. Kattmann 2003). Die so konstruierten»Rassen« sind als
sozialpsychologische Kategorien klar erkennbar: Weder »Weiße« und»Schwarze« der
Rassentrennung und Bevölkerungsstatistiken in den USA noch die »Arier«und »Juden« der
Nationalsozialisten waren je »Rassen« im Sinne der Bemühungenphysischer Anthropologen.
Rassisten schaffen sich ihre Rassen selbst aus ihren eigenenBedürfnissen. Rassismus
verschwindet daher nicht automatisch mit den diskriminiertenGruppen. Wie anders ist es
zu erklären, dass z. B. der Antisemitismus in Europaüberdauert, obwohl Juden nach
Massenmord und Vertreibung hier eine verschwindendgeringe Minderheit sind? Man kann in
einem mehrfachen Sinne von »Rassismus ohneRassen« sprechen.
Wie verhalten sich
die Rassenklassifikationen derAnthropologen zur sozialen Rassenkonstruktion? Wie ist es
zu erklären, dass dieRassenkunde überdauert, obwohl das biologische Rassenkonzept sich
als untauglicherweist? Handelt es sich um »Rassenkunde ohne Rassen«?
Grundzügeder Rassenkunde
Die wesentlichen Aussagen der anthropologischen
Rassenkundezeigen deutlich den bestimmenden Einfluss sozialpsychologischer Faktoren (s.
Tabelle1). Ins Auge fällt die Parallelität zwischen kulturell verschiedenen Einteilungen
derMenschen und der Vielzahl an rassentaxonomischen Systemen. Hier liegt offen zuTage,
dass die Anthropologen bei ihren systematischen Bemühungen nichtnach
naturwissenschaftlich definierten Merkmalen klassifizieren, sondern sich ebensowie
andere Menschen von Alltagsvorstellungen leiten lassen, die vom kulturellen undsozialen
Umfeld geprägt sind.
Die Wissenschaftsgeschichte der Rassenkundeliefert für
diese Vermutung zahlreiche Belege. Für die Aufstellung von Rassen sindinsbesondere
sozial vermittelte ästhetische Kategorien leitend gewesen (vgl. Herrmann1983). Obgleich
es zahlreiche Querverbindungen von biologischer Rassenkunde zuphilosophischen und
politischen Rassentheorien, wie die von J. Arthur de Gobineau, H.Steward Chamberlain und
Adolf Hitler gibt, sind die Belege für das wissenschaftlichmotivierte Klassifizieren von
Menschen aus den enger biologisch bestimmten Bereichenzu wählen.
Klassifikation von
Menschen
Rassenkunde Alltagsvorstellungen
Divergierende
Rassensystematiken
kulturelle Unterschiede
Exklusive
Abgrenzungen, Erfassen auch von Übergängen als eigene Rassen
soziale
Konstruktion von Gegensätzen, z. B. »Schwarze«/»Weiße«
Verknüpfung von Rasse,
Verhaltenseigenschaften und Kultur: Wesensaussagen überAngehörige einer Rasse
Annahme von gleichbleibenden Eigenschaftender Menschen während der Entwicklung
und über Generationen hinweg
Rasse wirdals eine die Individuen bestimmende
Ganzheit vorausgesetzt
NaiveTheorie über die Zusammengehörigkeit der
Menschen: Unterscheidung von Eigengruppe undFremdgruppen.
Tabelle 1:
Grundzüge rassenkundlicher Klassifikationim Vergleich mit Alltagsvorstellungen
Ein hervorragendes Beispielist die Ausdeutung der »Hautfarbe« als
Rassenmerkmal. Sie findet sich schon bei denersten Vorläufern und dann ausgeprägt bei
dem Vater der biologischen Systematik, Carlvon Linné. Die zehnte Auflage von dessen
»Systema naturae« (Linné 1758) ist bis heutefür die zoologische Nomenklatur (auf dem
Artniveau) maßgeblich. Für Linné ist dieEinteilung der Lebewesen essentialistisch
begründet. In den systematischen Kategoriendrücken sich für ihn die Ideen Gottes bei der
Schöpfung aus. Innerhalb der Art Homosapiens unterscheidet Linné vier geographische
Varietäten, die er folgendermaßencharakterisiert:
» Americanus rufus,
cholericus, rectus. ... Regiturconsuetudine.
Europaeus albus, sanguineus,
torosus....Regitur ritibus.
Asiaticus luridus, melancholicus, rigidus. ...
Regitur opinionibus.
Aferniger, phlegmaticus, laxus. .... Regitur arbitrio.«
Auffallend an dieserKlassifikation ist eine dreifach abgesicherte Vierteilung
der Menschheit: nachErdteilen, nach Hautfarben und nach Körpersäften. Die Einteilung
nach Erdteilenerscheint heute noch modern, für Linné waren jedoch alle dreiKriterien
naturwissenschaftlich begründet, auch und gerade die Orientierung an denKörpersäften.
Die antike Lehre von den vier Elementen (Feuer, Luft, Erde, Wasser)führte durch die
Parallele von Makrokosmos (Welt) und Mikrokosmos (Mensch) zur Lehrevon den (den
Elementen entsprechenden) vier Körpersäften (Galle, Blut, Schwarze Galle,Schleim), denen
im Mittelalter die Charaktere Choleriker, Sanguiniker, Melancholikerund Phlegmatiker
zugeordnet wurden. Linné hält sich also an die (physiologischen)Vorstellungen seiner
Zeit, wodurch sogleich die Verbindung von »Rasse« und Seele(naturwissenschaftlich)
elementar begründet wird.
Wie die Erdteile und dieKörpersäfte sollten die
Hautfarben ein objektives Kriterium abgeben. Die Angaben dazuwurden bei Linné in diesem
Sinne von Auflage zu Auflage eindeutiger. Nur der Afrikanerbleibt von der ersten Auflage
an unverändert »niger« (schwarz). Der Europäer wird von»albescens« (weißwerdend) zu
»albus« (weiß), der Amerikaner von »rubescens«(rotwerdend) zu »rufus« (rot). Die
stärksten Änderungen macht der Asiate durch: SeineFarbe wechselt von »fuscus« (dunkel,
bräunlich bis schwarz) bis zu »luridus«(blassgelb).
Wie Walter Demel (1992)
gezeigt hat, sind die Hautfarben der»Rassen« das allmählich sich herausbildende Ergebnis
eines Farbgebungsprozesses.Hatten noch viele Entdeckungsreisende die Hautfarbe der
Chinesen als weiß wie die derEuropäer beschrieben oder differenzierend zwischen hell,
gelblich, bräunlich bisdunkel abgestuft, so wurden die Beschreibungen in den
Rassenklassifikationen eindeutigauf »gelb« fixiert. Die Haut der Chinesen ist nur leicht
getönt, ihr mittlererPigmentierungsgrad entspricht dem südeuropäischer Menschen. Die
Hautfarbe der Chinesenwäre also ähnlich zu beschreiben wie die der Italiener, Spanier
oder Griechen. DieEuropäer verstanden fsich aber als »Weiße«. So wurden Südeuropäer
(unabhängig vomPigmentierungsgrad ihrer Haut) »weiß« und Chinesen mussten zum Kontrast
»gelb« werden.Das Eigenbild bestimmt das Fremdbild: Die Eigenbezeichnung »weiß« wurde
exklusiv fürEuropäer reserviert. Für die nichteuropäischen Völker wurden die Hautfarben
»gelb«,»rot« und »schwarz« konstruiert (vgl. Robins 1991, 168 ff.; Demel 1992).Gelbe
Chinesen findet man daher nur in Rassenklassifikationen und sonst nirgendwo.Und
natürlich gibt es keine »roten« und »schwarzen« Menschen und auch keine »weißen«.Im
Glauben an die Hautfarben aber fällt nicht auf, dass man in Asien oder Chinatownkeinem
gelben Menschen begegnet. Dass wir das soziale Konstrukt der Hautfarben als mitunserer
Wahrnehmung konform halten, beruht also bereits auf der Wirkung dieserKonstruktion.
beginnt dabei nicht erst mit der Annahme, es gebe "hochstehende" und"minderwertige
Rassen" (Überlegenheitsrassismus), sondern bereits mit einer"rassentrennenden"
Aussonderung von Menschengruppen, durch die das gemeinsame sozialeLeben gespalten wird
(Reinhalterassismus, vgl. Kattmann 2003). Die so konstruierten»Rassen« sind als
sozialpsychologische Kategorien klar erkennbar: Weder »Weiße« und»Schwarze« der
Rassentrennung und Bevölkerungsstatistiken in den USA noch die »Arier«und »Juden« der
Nationalsozialisten waren je »Rassen« im Sinne der Bemühungenphysischer Anthropologen.
Rassisten schaffen sich ihre Rassen selbst aus ihren eigenenBedürfnissen. Rassismus
verschwindet daher nicht automatisch mit den diskriminiertenGruppen. Wie anders ist es
zu erklären, dass z. B. der Antisemitismus in Europaüberdauert, obwohl Juden nach
Massenmord und Vertreibung hier eine verschwindendgeringe Minderheit sind? Man kann in
einem mehrfachen Sinne von »Rassismus ohneRassen« sprechen.
Wie verhalten sich
die Rassenklassifikationen derAnthropologen zur sozialen Rassenkonstruktion? Wie ist es
zu erklären, dass dieRassenkunde überdauert, obwohl das biologische Rassenkonzept sich
als untauglicherweist? Handelt es sich um »Rassenkunde ohne Rassen«?
Grundzügeder Rassenkunde
Die wesentlichen Aussagen der anthropologischen
Rassenkundezeigen deutlich den bestimmenden Einfluss sozialpsychologischer Faktoren (s.
Tabelle1). Ins Auge fällt die Parallelität zwischen kulturell verschiedenen Einteilungen
derMenschen und der Vielzahl an rassentaxonomischen Systemen. Hier liegt offen zuTage,
dass die Anthropologen bei ihren systematischen Bemühungen nichtnach
naturwissenschaftlich definierten Merkmalen klassifizieren, sondern sich ebensowie
andere Menschen von Alltagsvorstellungen leiten lassen, die vom kulturellen undsozialen
Umfeld geprägt sind.
Die Wissenschaftsgeschichte der Rassenkundeliefert für
diese Vermutung zahlreiche Belege. Für die Aufstellung von Rassen sindinsbesondere
sozial vermittelte ästhetische Kategorien leitend gewesen (vgl. Herrmann1983). Obgleich
es zahlreiche Querverbindungen von biologischer Rassenkunde zuphilosophischen und
politischen Rassentheorien, wie die von J. Arthur de Gobineau, H.Steward Chamberlain und
Adolf Hitler gibt, sind die Belege für das wissenschaftlichmotivierte Klassifizieren von
Menschen aus den enger biologisch bestimmten Bereichenzu wählen.
Klassifikation von
Menschen
Rassenkunde Alltagsvorstellungen
Divergierende
Rassensystematiken
kulturelle Unterschiede
Exklusive
Abgrenzungen, Erfassen auch von Übergängen als eigene Rassen
soziale
Konstruktion von Gegensätzen, z. B. »Schwarze«/»Weiße«
Verknüpfung von Rasse,
Verhaltenseigenschaften und Kultur: Wesensaussagen überAngehörige einer Rasse
Annahme von gleichbleibenden Eigenschaftender Menschen während der Entwicklung
und über Generationen hinweg
Rasse wirdals eine die Individuen bestimmende
Ganzheit vorausgesetzt
NaiveTheorie über die Zusammengehörigkeit der
Menschen: Unterscheidung von Eigengruppe undFremdgruppen.
Tabelle 1:
Grundzüge rassenkundlicher Klassifikationim Vergleich mit Alltagsvorstellungen
Ein hervorragendes Beispielist die Ausdeutung der »Hautfarbe« als
Rassenmerkmal. Sie findet sich schon bei denersten Vorläufern und dann ausgeprägt bei
dem Vater der biologischen Systematik, Carlvon Linné. Die zehnte Auflage von dessen
»Systema naturae« (Linné 1758) ist bis heutefür die zoologische Nomenklatur (auf dem
Artniveau) maßgeblich. Für Linné ist dieEinteilung der Lebewesen essentialistisch
begründet. In den systematischen Kategoriendrücken sich für ihn die Ideen Gottes bei der
Schöpfung aus. Innerhalb der Art Homosapiens unterscheidet Linné vier geographische
Varietäten, die er folgendermaßencharakterisiert:
» Americanus rufus,
cholericus, rectus. ... Regiturconsuetudine.
Europaeus albus, sanguineus,
torosus....Regitur ritibus.
Asiaticus luridus, melancholicus, rigidus. ...
Regitur opinionibus.
Aferniger, phlegmaticus, laxus. .... Regitur arbitrio.«
Auffallend an dieserKlassifikation ist eine dreifach abgesicherte Vierteilung
der Menschheit: nachErdteilen, nach Hautfarben und nach Körpersäften. Die Einteilung
nach Erdteilenerscheint heute noch modern, für Linné waren jedoch alle dreiKriterien
naturwissenschaftlich begründet, auch und gerade die Orientierung an denKörpersäften.
Die antike Lehre von den vier Elementen (Feuer, Luft, Erde, Wasser)führte durch die
Parallele von Makrokosmos (Welt) und Mikrokosmos (Mensch) zur Lehrevon den (den
Elementen entsprechenden) vier Körpersäften (Galle, Blut, Schwarze Galle,Schleim), denen
im Mittelalter die Charaktere Choleriker, Sanguiniker, Melancholikerund Phlegmatiker
zugeordnet wurden. Linné hält sich also an die (physiologischen)Vorstellungen seiner
Zeit, wodurch sogleich die Verbindung von »Rasse« und Seele(naturwissenschaftlich)
elementar begründet wird.
Wie die Erdteile und dieKörpersäfte sollten die
Hautfarben ein objektives Kriterium abgeben. Die Angaben dazuwurden bei Linné in diesem
Sinne von Auflage zu Auflage eindeutiger. Nur der Afrikanerbleibt von der ersten Auflage
an unverändert »niger« (schwarz). Der Europäer wird von»albescens« (weißwerdend) zu
»albus« (weiß), der Amerikaner von »rubescens«(rotwerdend) zu »rufus« (rot). Die
stärksten Änderungen macht der Asiate durch: SeineFarbe wechselt von »fuscus« (dunkel,
bräunlich bis schwarz) bis zu »luridus«(blassgelb).
Wie Walter Demel (1992)
gezeigt hat, sind die Hautfarben der»Rassen« das allmählich sich herausbildende Ergebnis
eines Farbgebungsprozesses.Hatten noch viele Entdeckungsreisende die Hautfarbe der
Chinesen als weiß wie die derEuropäer beschrieben oder differenzierend zwischen hell,
gelblich, bräunlich bisdunkel abgestuft, so wurden die Beschreibungen in den
Rassenklassifikationen eindeutigauf »gelb« fixiert. Die Haut der Chinesen ist nur leicht
getönt, ihr mittlererPigmentierungsgrad entspricht dem südeuropäischer Menschen. Die
Hautfarbe der Chinesenwäre also ähnlich zu beschreiben wie die der Italiener, Spanier
oder Griechen. DieEuropäer verstanden fsich aber als »Weiße«. So wurden Südeuropäer
(unabhängig vomPigmentierungsgrad ihrer Haut) »weiß« und Chinesen mussten zum Kontrast
»gelb« werden.Das Eigenbild bestimmt das Fremdbild: Die Eigenbezeichnung »weiß« wurde
exklusiv fürEuropäer reserviert. Für die nichteuropäischen Völker wurden die Hautfarben
»gelb«,»rot« und »schwarz« konstruiert (vgl. Robins 1991, 168 ff.; Demel 1992).Gelbe
Chinesen findet man daher nur in Rassenklassifikationen und sonst nirgendwo.Und
natürlich gibt es keine »roten« und »schwarzen« Menschen und auch keine »weißen«.Im
Glauben an die Hautfarben aber fällt nicht auf, dass man in Asien oder Chinatownkeinem
gelben Menschen begegnet. Dass wir das soziale Konstrukt der Hautfarben als mitunserer
Wahrnehmung konform halten, beruht also bereits auf der Wirkung dieserKonstruktion.