kleinundgrün schrieb:Das ist doch Unsinn. Von jedem mündigen Bürger ist zu erwarten, da rational zu bleiben. Mit vernünftigen und angemessenen Mitteln seinem Unmut Ausdruck zu verleihen.
Das wäre sicher wünschenswert, wenn man sowas von allen Bürgern erwarten könnte. Die Realität zeigt aber oft ein ganz anderes Bild - nämlich, dass sich bestenfalls ein gewisser Prozentsatz eher rational und angemessen verhält, was ein Maß an Flexibilität voraussetzt, während wohl sogar eine Mehrheit einfach irgendwelchen Trägheitsgesetzen (in Physis und Psyche) folgt, und einfach ihre gewohnte Ordnung erhalten will, weil sie ihr Sicherheit und Struktur gibt.
Das nenne ich dann wohl eher sowas wie ein Herdenverhalten, das mit echter mündiger Bürgerlichkeit nicht mehr viel gemein hat.
kleinundgrün schrieb:Ja. Das ist schwierig. Aber es ist etwas, das leistbar sein muss.
Das ist eine Anforderung der Demokratie. Sie setzt für ein gutes Funktionieren ein Mindestmaß an überlegtem Handeln voraus.
Auch das ist in der Theorie sicher etwas, das erwartet und vorausgesetzt wird; in der Praxis aber - gerade in unruhigen Zeiten - ist es etwas, das regelmäßig versagt.
Wenn die Emotionen überhand nehmen, weil sich einfach viel zu viel ändert (ein höchst subjektives Maß nebenbei bemerkt), und man seinen eigenen Kram nicht mehr richtig bewältigt bekommt, verliert der Mensch in aller Regel seine Fähigkeit zum überlegten Denken.
Manche können solch einem Stress besser standhalten, andere schlechter. Die Tendenz dürfte aber beim Gros dahin gehen, dass ein überlegtes Handeln zumindest stark reduziert wird. In solchen Momentan können an sich hoch intelligente und überlegte Menschen zu den größten Tollpatschen mutieren, und nur noch Dummheiten machen.
(spreche nicht nur aus eigener Erfahrung)
kleinundgrün schrieb:Weil es falsches Handeln ist. Menschen sind halt keine Pferde, die unabänderlich auf Grund äußerer Reize durchgehen.
Keiner erwartet von jedem zu jeder Zeit rationales Handeln. Aber ein bisschen Selbstkontrolle dann halt doch. Unser Staat bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich mitzuteilen und Unmut zu bekunden. Da kann man halt nicht in blindem Zorn irgendetwas irgendwie machen, weil man keine Lust hat, sich ein vernünftiges Vorgehen zu überlegen oder das aus Bequemlichkeit nicht möchte.
Hier sind wir bei einem wesentlichen Punkt der Debatte. Sieht man den Menschen eben doch als Tier, zu dem er zweifelsohne aufgrund bestimmter Umstände durchaus mutieren kann, dann ist es wichtig ihm in solchen Situationen auch so zu begegnen. Es würde also nicht viel helfen, einem aufgebrachten und höchstgradig genervten Menschen irgendwas von Logik und Vernunft und angemessenem Handeln zu erzählen. Es wird noch weniger helfen den Menschen irgendwo beim Pöbel und beim Abschaum einzutüten, auch wenn es vllt gar nicht mal so falsch ist, es so zu sehen.
Es würde nur eine Beruhigungsmaßnahme helfen, die diese Leute wieder in ihren stabilen, neutralen und überlegten Zustand zurück holen, denke ich. Nur das klingt in der Theorie sicher auch viel besser, als es in der Praxis zu leisten wäre.
kleinundgrün schrieb:Demokratie bedeutet, das kann man gar nicht ausdrücklich genug sagen, dass es dazu zwei braucht. Staat und Bürger. Beide haben die Pflicht, aktiv zum Gelingen beizutragen.
Sicher, zumal wir alle auch sowohl die Bürger als auch der Staat sind. Das ist schon auch ein wesentlicher Punkt der ganzen Sachen, die es deshalb auch so kompliziert macht, weil ich irgendwo einen anderen kaum verletzen kann, ohne mir selbst dabei zu schaden..
Jeder muss erstmal einsehen, dass er selbst und der Andere fehlbar ist. Keiner kann hier alles überblicken - dass er Schwächen hat, dass er angreifbar, und verletzlich ist. Dass er Dummheiten machen kann, obwohl er im Grunde gar nicht generell als dumm bezeichnet werden kann, usw usf..
Dass er mitunter schon großen Schaden genommen hat, völlig aus dem Häuschen ist, und nicht mehr viel mit Vernunft anfangen kann - zu diesem Zeitpunkt zumindest - dann kann man auch eher mal eine möglichst ruhige Vertrauensbasis bilden, auf der es sich halbwegs vernünftig kommunizieren lässt, und man dort erst etwaige Problemlösung erarbeiten kann.
Ohne wird das nicht klappen, wie ich glaube.
Ich finde übrigens gerade deine Art der Gesprächsführung
@kleinundgrün sehr gekonnt.
Klar, sauber, weitestgehend ruhig, auch wenn es mal holprig wird, und ohne unnötigen Firlefanz oder persönlichen, egozentrischen Kram aufzublasen, was es sehr angenehm macht, deine Texte zu lesen. Ein Lob an der Stelle, verbunden mit der Hoffnung, dass du auch noch andere damit inspirieren kannst.