Libertin schrieb:Du fackelst Strohmänner ab. Niemand hier hat gefordert, man müsse seine Gefühle verlieren/ negieren. Gefühle sind sogar sehr wichtig und manchmal auch nützlich für uns und wir liegen mit ihnen bei unseren Entscheidungsfindungen auch nicht immer falsch. Sie allein sind aber kein guter medizinischer Ratgeber, wenn man sich allein darauf verlässt, sich seine medizinischen Diagnosen selbst zu erfühlen.
Gut. Das wäre grober Unfug, darin sind wir uns einig. Natürlich bedeutet ein vernünftiger Umgang mit der eigenen Befindlichkeit, dass man sich versierten Beistand hinzu zieht. Das wollte ich auch nie in Abrede stellen. Hat man das allerdings getan und kommt zu einem Ergebnis, das nicht der allgemeinen Vorgabe folgt, so wäre es wünschenswert, wenn man eine Entscheidung selbstständig und im Weiteren unbehelligt fällen kann. Soweit ich gelesen habe, war im Zuge der Impfpflichtdebatte, ein verpflichtendes Beratungsgespräch für jeden nicht Geimpften ab 18 Jahren im Gespräch. Eine solche Maßnahme halte ich für eine gute Idee. Ich befürchte indes, schaue ich mir an, wie weit die Fronten mittlerweile verhärtet sind, dass auch das nicht zum gewünschten Erfolg, meint eine signifikante Erhöhung der Impfquote, führen wird.
Menschen suchen die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Das ist vielfach vermutlich bereits geschehen und innerhalb dieser Gruppen entstehen natürlich Meinungsblasen, die mit Informationen arbeiten, die diese Meinung untermauern sollen. Befinden Menschen sich erst in diesen Gemeinschaften, bauen sie Vertrauen auf, während das Vertrauen in die allgemeine Doktrin proportional sinkt. Es wäre vermutlich günstig gewesen, dieses Beratungsgespräch zu einem wesentlich früherem Zeitpunkt zu installieren. Wie es hier im Thema ja bereits mehrfach anklang, war die Kommunikationskampagne suboptimal.
Libertin schrieb:Genau das ist das Irrationale daran und kann mitunter sogar gefährlich sein, da manche so irgendwann sogar auf die Idee kommen können, auf ärztliche Hilfe gänzlich zu verzichten.
Wer soweit ist, dass er derartig misstrauisch ist, der wird sich auch mit Impfpflicht nicht impfen lassen, würde ich meinen. Weiterer Druck (so wird es empfunden, denke ich), wird lediglich Gegendruck erzeugen, will meinen, mehr Leute auf den Straßen oder solche, die sich komplett zurückziehen und die Sache auszusitzen suchen. Nach meinem Dafürhalten, wäre es günstig, sich damit zu befassen, wie man das verlorene Vertrauen u. U. wieder herstellen könnte, anstatt nur immer weitete Anlässe für Misstrauen zu liefern. Die aktuelle Debatte in der Politik, halte ich dabei für ungeeignet, weil sie geprägt ist von einem fortwährenden Hin und Her.
Libertin schrieb:Gerade unter vielen Querdenkern sind solche oder ähnliche Haltungen nicht gerade selten, weshalb ihre Gefährlichkeit auch nicht nur in den Bedrohungen von Politikern oder Schulleitungen usw. liegen, um etwa Coronaschutzmaßnahmen zu unterbinden, sondern eben auch durch das Schüren und Befeuern von Ängsten von Leuten, die der allgemeinen Coronapolitik im Großen und Ganzen noch eher unbedarft gegenüberstehen.
Hm. Glaubst Du wirklich, es gäbe mittlerweile tatsächlich noch viele "unbedarfte" Leute diesbezüglich? Ich kann mir das kaum vorstellen. Es sind doch mittlerweile gute 2 Jahre in denen das Thema sehr präsent ist. Diese Bedrohungen kommen zustande, würde ich vermuten wollen, weil diese Leute zu 100% davon überzeugt sind sich (und ihre Lieben) vor etwas Bedrohlichem schützen zu müssen. Indem man sie immer weiter stigmatisiert und Repressalien in Aussicht stellt, erhöht man den Druck im Kessel und damit die Gefahr für Eskalationen. Ich halte das für den falschen Weg. Am Ende stehen dann solche unsäglichen Kommentare, wie sie hier im Thread thematisiert werden. Das Ganze hatte vermutlich eine Keimzelle von Leuten, die ohnehin jenseits des Demokratieverständnisses agierten und extrem ausgerichtet waren. Diese Leute stießen bisher weitestgehend auf taube Ohren und galten als Freaks, Reichsbürger z. B..
Nun, da immer mehr Personen sich vom Staat bedroht fühlen, sind die Ohren nicht mehr taub. Darin sehe ich persönlich das eigentliche Problem. Die, sich nun im Aufwind wähnenden Extremisten, zeigen immer extremere Auswüchse, wie eben solche abstoßenden Hasskommentierungen. Das bringt die mit in Ruch, die sich ihnen locker zugeneigt haben, in Ermangelung eines adäquaten und zugeneigten Gesprächspartners aus der Mitte der Gesellschaft. Und am Ende landen alle in einem Topf, was dazu führt, dass einige sich ebenfalls radikalisieren, angestachelt von dem Umfeld, in dem sie sich befinden. Das ist nicht neu, die Jugendorganisationen der Rechten arbeiten seit Jahren mit diesem Mechanismus, indem sie Jugendlichen, die sich in ihrem Umfeld nicht beheimatet fühlen, eine vermeintliche Heimat anbieten. Der Rest ist bekannt.
Libertin schrieb:Als einzige Gegenmaßnahme hilft da im Grunde nur unermüdliche Aufklärungsarbeit auf allen Ebenen. Das Problem ist nur, man wird auch damit nie alle erreichen können. Das zeigen allein schon die Teilnehmerzahlen bei den regelmäßigen Demonstrationen "Spaziergängen".
Auch in diesem Punkt sind wir uns einig. Was ich mich indes frage, muss man alle erreichen? Ich meine, Extremisten gab es schon immer, aber sie waren und blieben eine Minderheit, die der Staat, bis auf einige Ausreißer, relativ gut im Visier hatte und all zu heftige Auswüchse eindämmen konnte. Zum Problem wurde / wird das Ganze doch erst, seit diese Gruppen Zulauf erhalten, bzw. die Möglichkeit, protestbereite "Normalbürger" für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Wenn man diesen Umstand wieder ändern könnte, bliebe der "harte Kern" zurück und den kann eine gesunde und starke Demokratie locker verkraften. Im Grunde ist das alles, mAn ein Symptom, dafür, dass unser Staatssystem kränkelt. Da würde ich ansetzen wollen.
LG Mina