SPD
05.06.2019 um 04:34aero schrieb:Was wäre erst, wenn zwei politiker dort in berlin vor laufenden kameras einen politischen disput austragen, und der eine macht zum studiothema eine (wie das üblich und auch normal ist) aussage mit einem lateinischen zitat, der gegenüber nickt, und der zuschauer weis aber das der nickende "nur" mittlere reife hat ?Na ja, schauen wir mal. Nehmen wir mal an, wir beide haben einen politischen Disput vor den Kameras. Es geht, sagen wir mal, um Rente, Lebensarbeitszeit usw. Ein hochbrisantes Thema.
In deutschland wird nun mal alles sehr analytisch gesehen...
Ich habe nun das "Glück," promoviert zu sein. Fein. Man darf mich "Herr Doktor" nennen. Ich habe sogar nicht nur einen akademischen Abschluss, ich bin praktizierender Jurist, sondern habe noch zwei ganz andere Studiengänge erfolgreich abgeschlossen, damals noch mit Diplom, heute würde man Master dazu sagen. Ich kann Latein, sogar recht gut, ich hätte also keine Probleme, meine Weisheit auf Latein zu verkünden. Wenn es sein muss, auch auf Alt-Griechisch. Ich kann meine Lieblingsphilosophen im Original zitieren, Cicero, Seneca, Plato, alles kein Problem. Kant sprach sogar Deutsch, zum Glück. Ich kann da also eine Handvoll Zitate von mir geben. Man würde vielleicht sogar merken, dass ich diese Leute verstanden habe.
Immerhin. Ich habe das Privileg gehabt, in Italien und England zu studieren, ich könnte also ein paar europäische Politiker in ihrer Muttersprache begrüssen (das kann Martin Schulz z.B. auch). Französisch kann ich auch ganz gut, sogar Hebräisch ist kein Problem. Damit könnte ich angeben, das bringt mir vielleicht ein paar Punkte irgendwo.
Und Du sitzt mir nun gegenüber. Soweit ich weiss, hast Du keinen Doktortitel sondern eine abgeschlossene Lehre. Du magst vielleicht kein Latein parat haben. Aber: wir sind ja auch nicht zusammengekommen, um über Cicero zu reden. Wir sollen was sagen zur Frage der Zukunft der Rente in Deutschland.
Wieso glaubst Du nun, dass ich automatisch besser dazu qualifiziert bin als Du? Wir sind ungefähr gleich alt. Du hast Lebenserfahrung, die z.B. auch Leben mit einer Behinderung einschliesst. Ich habe diese Erfahrung nicht machen müssen. Da hast Du zum Beispiel mir etwas voraus: Du kennst die Realität als Behinderter in Deutschland, ich kenne das nur mittelbar.
Ich glaube nicht, dass die Wähler mir nun den Vorzug geben sollten, weil ich einen Dr. vor meinem Namen herumtragen darf.
Ich habe mal eine Zeit lang in der Politik mitgemischt, vor vielen Jahren, ganz unten, in einem Gemeinderat. Und da sassen neben mir zwei Bauern, ein Lehrer, eine Krankenschwester, ein Schreinermeister usw. Und in vielen Dingen war ich froh, dass diese Leute da waren, denn sie wussten, worum es ging. Ich hatte keine Ahnung. Es ging um Kindergärten, wie man das damals noch nannte, um Umgehungsstrassen, um Steuern, um Milchquoten, um Neubaugebiete und sonstige Dinge, die das Leben der Menschen dort betrafen. Die geballte Lebenserfahrung der "Politiker," die war entscheidend dafür, dass wir gute Politik gemacht haben, die den Menschen dort etwas gebracht hat. Mein Doktortitel hat dort niemanden interessiert.
Beispiel: Die Dorfdurchfahrt sollte modernisiert werden, mit Bäumen, kleinen Parkbuchten, schön sollte es aussehen. Die Bauern fanden die Pläne auch nett, nur, mit den beladenen Erntewagen kamen sie durch die schöne aber viel engere Durchfahrt nicht mehr gefahrlos durch. Auch die Schneepflugfahrer äusserten ihre Bedenken. Der "Verkehrsexperte" aus der Landeshauptstadt, ein Ingenieur, der schaute nur mit grossen Augen. Daran hatte er nicht gedacht. Es sah doch so schön aus, was er sich vorgestellt hatte. Wir haben den Plan abgelehnt. Er hat einen neuen vorgelegt, den haben wir dann angenommen.
Ob nun kleine bayerische Alpengemeinde oder grosse Bundespolitik: gesunder Menschenverstand und Lebenserfahrung qualifizieren meiner Meinung nach Politiker. Nicht Titel oder Lateinkenntnisse.
Die SPD täte gut daran, mal wieder mit den Menschen, den sogenannten "kleinen Leuten" zu reden. Dann käme sie auch wieder auf einen grünen Zweig.