Rick_Blaine schrieb:Die SPD weiss, was das Volk will! Oder? Da war mal was mit einem Veggieday bei einer anderen Partei... nicht so der rasende Erfolg.
Sie weiß was bestimmte Identitätsgruppen wollen.
Das Thema Identität ist ein Thema des 21. JH
Die Frage, die Thierse richtigerweiße stellt lautet:
Wieviel Identitätspolitik stärkt die Pluralität einer Gesellschaft, ab wann schlägt sie in Spaltung um? Sehr grundsätzlich gesagt: Ethnische, kulturelle, religiös-weltanschauliche Pluralität, die auch in Deutschland zunimmt, ist keine Idylle, sondern ist voller Streit und Konfliktpotenzial. Wenn Vielfalt friedlich gelebt werden soll, dann muss diese Pluralität mehr sein als das bloße Nebeneinander sich voneinander nicht nur unterscheidender, sondern auch abgrenzender Minderheiten und Identitäten. Dann bedarf es grundlegender Gemeinsamkeiten, zu denen selbstverständlich die gemeinsame Sprache gehört, natürlich auch die Anerkennung von Recht und Gesetz. Darüber hinaus aber muss es die immer neue Verständigung darüber geben, was uns als Verschiedene miteinander verbindet und verbindlich ist in den Vorstellungen von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Menschenwürde, Toleranz, also in den unsere liberale, offene Gesellschaft tragenden Werten und ebenso auch in den geschichtlich geprägten kulturellen Normen, Erinnerungen, Traditionen. Solcherart definierte kulturelle Identität ist das Gegenteil von dem, worauf Identitätspolitik von rechts oder gelegentlich auch von links zielt.
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Identitätspolitik, wenn sie links sein will, stellt auf radikale Weise die Gleichheitsfrage. Sie verfolgt das berechtigte Interesse, für (bisherige) Minderheiten gleiche soziale, ökonomische und politische Rechte zu erringen. Sie ist eine Antwort auf erfahrene Benachteiligungen. In ihrer Entschiedenheit ist sie in der Gefahr, nicht akzeptieren zu können, dass nicht nur Minderheiten, sondern auch Mehrheiten berechtigte kulturelle Ansprüche haben und diese nicht als bloß konservativ oder reaktionär oder gar als rassistisch denunziert werden sollten.
Wenn "die Mehrheit der Bevölkerung" zur Nebensache verkommt, weil man sich lieber lautstark und öffentlichkeitswirksam um "Gruppen" kümmert, verliert man leicht das Große und Ganze aus dem Blick.
Linke Identitätspolitik ist in der Gefahr die notwendigen Durchsetzungs- und Verständigungsprozesse zu verkürzen und zu verengen. Aber es wird nicht ohne die Mühsal von Diskussionen gehen. Diese zu verweigern, das ist genau das, was als Cancel Culture sich zu verbreiten beginnt. Menschen, die andere, abweichende Ansichten haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs in den Medien oder aus der Universität auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten.
als "gelernter" Ostdeutscher mit Diktaturerfahrung erkennt Thierse vielleicht eher und wie viele andere auch, dass in Teilen der Linken ein autoritärer Stil längst Einzug gehalten hat. Er kennt aus eigenem Erleben (wie Hunderttausende Ostdeutsche ebenfalls) den Unterschied zw Demokratie mit Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit einerseits und eines totalitären "Parteiapparates mit angehängtem Wahlvolk" mit scheindemokratischem Anstrich anderseits.
Scheindemokratisch deswegen, weil es Kennzeichen der linker DDR-Diktatur war, sich demokratisch zu nennen, aber keine Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt zuzulassen.
Menschen in der DDR, die nicht in den Chor "die Partei hat immer Recht, Genossen es bleibet dabei" einstimmen mochten, wurden als reaktionär gelabelt und mit repressiven Maßnahmen zur Anpassung gezwungen. Die Scheindemokratie bekämpft Meinungsabweichler mit allen politischen Mitteln, grenzt aus, überhöht sich selbst, diffamiert, macht mundtot.
Eine Scheindemokratie mit autoritären oder totalitären Zügen hält Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit nicht aus, sie verpönt und bekämpft sie. Sie "opfert" sie im guten Glauben dem (Klassen-)Kampf für einzelne Gruppen/Klassen und für ein vermeintlich höheres Ziel, zum Beipiel für moralische Überlegenheit (in diesem "Kampf" sind quasireligöse Überzeugungen nicht zu übersehen) (* an anderer Stelle noch mal wichtig)
Die eigene Betroffenheit, das subjektive Erleben sollen und dürfen nicht das begründende Argument ersetzen. Biografische Prägungen – und seien sie noch so bitter – dürfen nicht als Vorwand dafür dienen, unsympathische, gegenteilige Ansichten zu diskreditieren und aus dem Diskurs auszuschließen. Opfer sind unbedingt zu hören, aber sie haben nicht per se recht und sollten auch nicht selbst Recht sprechen und den Diskurs entscheiden.
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Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten, ist der programmatische Titel eines Buches von Alice Hasters. Ja, wir Weiße haben zuzuhören, haben Diskriminierungen wahrzunehmen. Aber die Kritik an der Ideologie der weißen Überlegenheit darf nicht zum Mythos der Erbschuld des weißen Mannes werden. Die Rede vom strukturellen, ubiquitären Rassismus in unserer Gesellschaft verleiht diesem etwas Unentrinnbares, nach dem Motto: Wer weiß ist, ist schon schuldig.
Der unabdingbare Respekt vor Vielfalt und Anderssein ist nicht alles. Er muss vielmehr eingebettet sein in die Anerkennung von Regeln und Verbindlichkeiten, übrigens auch in die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen. Sonst ist der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet oder wird gar zerstört durch radikale Meinungsbiotope, tiefe Wahrnehmungs-spaltungen und eben auch konkurrierende Identitätsgruppenansprüche, erst recht in der digitalen Öffentlichkeit. Weil der gesellschaftliche Zusammenhalt in einer diversen, sozial und kulturell fragmentierten „Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz) nicht mehr selbstverständlich ist, muss er ausdrücklich das Ziel von demokratischer Politik und von kulturellen Anstrengungen sein, eben vor allem auch der Sozialdemokratie. Es muss ihr kulturelles Angebot sein, dass Solidarität, um die geht es nämlich, kein einseitiges Verhältnis ist, kein Anspruchsverhältnis gegen die anderen, sondern auf Wechselseitigkeit und das Ganze umfassend zielt.
https://www.thierse.de/startseite-meldungen/22-februar-2021/Unbedingt alles lesen.
Ich verneige mich vor diesem klugen Mann und seinen Worten!
Dass er dafür von der Parteispitze der SPD angegriffen wird zeigt die Erodierung des demokratischen Selbstverständnisses in unserer Gesellschaft. Meinungsfreiheit? War da mal was?
So fällt die Reaktion der Parteispitze auf Thierse aus:
Sozialdemokratie
SPD-Spitze distanziert sich von Schwan und ThierseEsken und Kühnert "verstört" über Thierse
Ohne ihn namentlich zu erwähnen, distanzierten sich Esken und Kühnert auch vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der in der vergangenen Woche in einem FAZ-Kommentar Grenzen für "Vielfalt und Anderssein" gefordert hatte ("Identitätspolitik darf nicht zum Grabenkampf werden") und sich nach Kritik als Heterosexueller diskriminiert fühlte und eine "Cancel Culture" beklagte. "Aussagen einzelner Vertreter*innen der SPD zur sogenannten Identitätspolitik, die in den Medien, auf Plattformen und parteiintern getroffen wurden", zeichneten "insbesondere im Lichte der jüngsten Debatte ein rückwärtsgewandtes Bild der SPD, das Eure Community, Dritte, aber eben auch uns verstört", beklagten die beiden SPD-Vorstandsmitglieder.
Halten wir fest: Esken und Kühnert sind verstört von den Worten Thierses!!
Man könnte auch sagen: es stört sie nachhaltig, wenn ein Genosse aus der Reihe tanzt und die Partei vor möglichen Fehlern und vor gesellschaftlichen Fehlentwicklungen warnt.
Statt parteiintern zu schauen, welche Kritikpunkte warum und wo zutreffend sind, wird die Kritik verbannt und der Kritiker mit einem "Bann" belegt. Wer solidarisiert sich denn noch mit einem Politiker , der mit dem Label "verstörende Äußerung" zum Pfuikind der Partei gemacht wurde?? *hier greifen sie wieder, die bewährten scheindomokratischen Mittel!
https://www.queer.de/detail.php?article_id=38247
Der Beitrag spiegelt meine Sicht auf die Situation und ist nicht als Fakt zu verstehen