@Realo Stets und ständig suchten Menschen nach Sündenböcken. Das waren ebenso stets und ständig die Schwächeren. Gegen die Mächtigen sich aufzulehnen bedeutet ein höheres Risiko. Dazu ist man dann doch zu feige. So jagt man lieber im Rudel einen Afrikaner durch Magdeburg oder Gelsenkirchen, als allein nach Berlin-Neukölln oder Hamburg-Wilhelmsburg zu gehen und "Ausländer raus!" zu rufen. Man zündet lieber die Wohnung von schlafenden Geflüchteten an, als eine von bewaffneten Personer- und Objektschützern gesicherte Villa zu attackieren. Da nehmen sich Neonazi und Autonomer nichts. Man geht den bequemeren Weg - und obendrein: Action bringt satisfaction. Kleinteilige politische Arbeit? Puh, langweilig.
In vergangenen Jahrhunderten eignete sich "der Jude" ideal als Sündenbock, denn der war ausgegrenzt und machtlos - und obendrein hatte man Gottes Segen, wenn man es den "Christusmördern" mal so richtig zeigte. Mit fortschreitender Internationalisierung gab es neue Feindbilder: Den Arbeitsmigranten, ob um 1900 aus Polen oder um 1970 aus der Türkei. Immer auch die religiös oder politisch Falsch- oder Ungläubigen: Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, kurz: Abweichler von der Generallinie der Partei oder der Volksgemeinschaft. Das sahen die hohen Herren gerne. So war das Volk beschäftigt und kam nicht auf die Idee, ihre Herrschaft in Frage zu stellen.
Heute ist es eben der Geflüchtete. Er ist schuld am Klimawandel, an der Belastung der Stadtluft durch Stickoxide, an der Massentierhaltung, am Pflegenotstand, an der Wohnungsnot, an der Arbeitslosigkeit, an der Kriminalität, an Mini-Renten oder Hungerlöhnen, an Kinder- und Altersarmut, an maroder Infrastruktur oder Facebook'schem Datenklau. Natürlich auch am Wetter und daran, dass der HSV absteigt. Vorher war im Westen der Ossi und im Osten der Wessi schuld.
Da kann der eine wie der andere sich noch so angepasst oder unauffällig benehmen. "Tut nichts! der Jude wird verbrannt.", wie es bei Lessing prophetisch hiess.
Was mich immer nervt, ist dieses verallgemeinernde und vorurteilsbeladene: DIE sind eben alle so.
Das kommt natürlich nicht nur bei Eingeborenen vor. Ich musste früher auch schon mal bei Besuchen im ost- wie westeuropäischen Ausland erklären, dass ich ohne Panzer gekommen sei und auch nicht vorhätte, irgendwen zur Zwangsarbeit zu verschleppen oder zu vergasen.
Fanatiker, religiöse zumal, gibt es in jeder Nation, in jeder Konfession. Die fallen auf - alle die Unauffälligen fallen eben leider nicht auf, weil sie nicht auffällig sind. Hierzulande erhält mehr Aufmerksamkeit, wer Brandflaschen in die Wohnungen Geflüchteter wirft, als der, der ihren Kindern das Fläschchen gibt.
Aus dem Verhalten Einzelner Rückschlüsse auf Alle zu ziehen, ist schon mal grundsätzlich falsch, da alle Menschen verschieden sind.
Zwar in einem anderen Kontext von mir geschrieben, aber durchaus übertragbar:
Ausländerfeindlichkeit, wie auch Schwulenhass oder Antisemitismus, haben gemeinsame Wurzeln:
1. Angst vor allem, was neu, anders, unbekannt ist.
2. Stärkung des schwachen Selbstwertgefühls durch Ab- und Ausgrenzung.
3. Verbesserung des Zusammengehörigkeitsgefühls einer Gruppe durch ein gemeinsames Feindbild.
4. Vorurteile basierend auf schlechten Einzelfall-Erfahrungen.
5. Sozialneid und Konkurrenzangst.
zu 1.
Die sind anders, die sehen anders aus, die leben anders, das kenn' ich nicht - Ich war noch nie im Ausland, ich war noch nie in der Schwulenbar, ich war noch nie in einer Synagoge. Darum ist Ausländerhass im Osten (Ausländeranteil <2%) auch stärker verbreitet als im Westen der BRD. Kaum ein Schwulenhasser kennt einen Schwulen, Antisemiten kennen Juden meist nur vom Hörensagen.
zu 2.
Ich habe keine Arbeit, kein Geld, keine Haare, keine Zähne, keine Perspektive, aber jede Menge Tattoos und eine solides Alkoholproblem. Alle halten mich für den letzten Dreck. Also brauche ich jemanden unter mir, auf dem ich buchstäblich herumtrampeln kann, damit ich höher stehe. Den Ausländer, den Obdachlosen, den Behinderten. Du Untermensch, ich Übermensch.
zu 3.
Mir san mir, wie der Bayer sagt. WIR sind wieder wer! WIR sind die Vorhaut der Arbeiterklasse! WIR sind Papst! WIR sind Weltmeister! WIR sind die Auserwählten! WIR sind HSV-Fans! WIR sind Marktführer! WIR sind irgendwas! WIR sind WIR - Die anderen sind die anderen. Auf sie mit Gebrüll!
zu 4.
Ich bin einmal in Frankreich von einem extrem unfreundlichen Kellner extrem langsam bedient worden. Zwei Jahre später ist mir ähnliches noch einmal wiederfahren.
Daraus könnte ich den Schluss ziehen: Alle Franzosen sind langsam, alle Kellner sind unfreundlich. Ob ich mit dieser Erwartungshaltung noch mal nach Frankreich fahren möchte? Oder überhaupt ein Restaurant betreten? Weiss man doch: Kennt man einen, kennt man alle!
zu 5.
Ich muss mein ganzes Leben lang hart arbeiten, und nun kommen die Zonis, die Russen, die Türken, die Urwaldbewohner hierher und nehmen mir meine Rente, meinen Sozialstaat, meine Arbeit, meine Wohnung, meine Frau, meine Tochter, mein Auto, meine Armbanduhr weg. Die kriegen's doch alle hinten und vorne 'reingeschoben. Jeder Ausländer hat 'ne Villa, fährt zwei Daimler (gleichzeitig) und kann studieren.
Ausserdem, weiss man doch, ist der Zoni bei der Arbeit billiger, der Russe mir im Saufen überlegen, der Türke sieht besser aus und der aus dem Urwald hat einen längeren Schwanz. Mistdreck, Chefs, Gastwirte und Frauen fahren auf sowas ab, also: AUSLÄNDER RAUS!