Geschichte wiederholt sich, oder?
23.03.2018 um 13:292010 veröffentlichte Thilo Sarrazin seinen Bestseller "Deutschland schafft sich ab." Es ist das bis heute am besten verkaufte deutschsprachige Sachbuch aller Zeiten.
1889 veröffentlichte der (anarchistische) Journalist Wilhelm Marr (Wikipedia: Wilhelm Marr) (1) seinen Bestseller "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" (http://www.gehove.de/antisem/texte/marr_sieg.pdf); es ist nicht nur vom Titel her im gleichen provokant polemischen Stil geschrieben wie das Sarrazin-Buch; er gibt damit sogar im ersten Satz seines Buchs im Vorwort an: "Was ich mit dieser Schrift beabsichtige, ist weniger eine Polemik gegen das Judenthum, als die Constatirung einer kulturgeschichtlichen Thatsache. Wo immer die Verhältnisse zu einem polemischen Ton der Sprache zwingen, kann und muss derselbe nur als "Schmerzensschrei" Unterdrückter aufgefasst werden. Ein resignierter Pessimismus fliesst aus meiner Feder"
Hier haben wir schon gleich ein halbes Dutzend Übereinstimmungen mit Sarrazin:
• das Buch wurde ebenfalls ein Bestseller, 12 Auflagen gleich im 1. Jahr, quasi DAS Sachbuch der Bismarck-Ära;
• die Opferhaltung der Täter (die Deutschen als Opfer einer "fremden Rasse")
• kulturrassistische Begründung der Differenz der anderen "Rasse" gleich als "Tatsache"
• Umkehrung des Verhältnisses Unterdrücker – Unterdrückter; der Autor beabsichtigt die Realität ("Thatsache") vom Kopf auf die Füße zu stellen.
• "In seinem Bestseller stellte Marr als erster politischer Autor der Kaiserzeit die Juden nicht den Christen, sondern den Germanen gegenüber." (2) Sarrazin stellt die Muslime ja auch nicht den Christen, sondern den Deutschen gegenüber.
• Er schloss mit einer kulturpessimistischen Aussicht: Den Juden gehöre die Zukunft, das Germanentum sei zum Aussterben verurteilt. „Finis Germaniae! Vae victis!“ Durch die höhere Fertilität der "Migranten" wird Deutschland immer orientalischer ("Parallelgesellschaften"); am Ende sind die Deutschen (Germanen) gegenüber denen "mit Migrationshintergrund" quasi zum Aussterben verurteilt (Umvolkungsthese)
Der seit 2014 tobende, seit Herbst 2015 ("Flüchtlingswelle") hysterische verbale Medienkrieg (mit Medien meine ich jetzt auch die interaktiven Medien wie soziale Netzwerke und Foren) wurde von rassistischen Vereinigungen, die aber nur latente "Volksstimmungen" aufnehmen und medial verbreiten (Multiplikatoreneffekt), zur politischen Agitation eingesetzt. Pegida ist quasi eine Wiederholung einstiger Hetzgruppen wie die Antisemitenliga (2), Wikipedia: Berliner Bewegung (3), Wikipedia: Alldeutscher Verband, Wikipedia: Deutschbund, Wikipedia: Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband u.a., AfD ist auch nichts Neues unter dieser Sonne
(Wikipedia: Christlich-soziale Partei (Deutsches Kaiserreich) (4)
Gemeinsames Ziel von Pegida, AfD und anderen völkisch-nationalistisch und antiislamischen Gruppierungen ist natürlich der Wunsch nach einem Einreisstopp von Flüchtlingen (islamischen Glaubens) über die Schiene strikte Zugangskontrolle an den europäischen Außengrenzen, wie dies im Asylgesetzgebungsthread und Migrantengewaltthread seit Jahren bis zum Erbrechen recycelt wird; auch das ist natürlich nichts Neues. Demgegenüber vertrat Marr eine überkonfessionelle, rassistische Position. Er grenzte diese ausdrücklich vom Christentum ab und verband sie mit radikaleren Forderungen nach Vertreibung aller Juden aus Deutschland, nicht nur Zuzugsbegrenzung für jüdische Einwanderer. (2)
Heute spricht man nicht mehr von Vertreibung, sondern nennt das zivilisierter Abschiebung. Und da wir ja gesetzestreu sind, muss dafür neben der Herkunft und dem Glauben noch mindestens ein Faktor dazu kommen, der nicht mit den Gesetzen in Einklang steht (z.B. Verschweigen des Herkunftlands oder Verstoß gegen ein Strafgesetz).
Und natürlich haben wir unsere Historiker – einst wie heute. Eine frühe Inkarnation des Björn Höcke gab es damals auch, den auch heute noch bekannten Heinrich von Treitschke. (Wikipedia: Heinrich von Treitschke) (5)
Der den Berliner Antisemtismusstreit von der Latte brach
Wikipedia: Berliner Antisemitismusstreit (6):
Der Berliner Antisemitismusstreit war eine öffentliche Debatte von 1879 bis 1881 im Kaiserreich über den Einfluss des Judentums, die sogenannte Judenfrage. Er wurde damals als Treitschkestreit oder Treitschkiade bezeichnet und erhielt erst durch eine Dokumentensammlung von Walter Boehlich aus dem Jahr 1965 seinen heute üblichen Namen. Auslöser war ein Aufsatz des konservativ-preußischen Historikers und Reichstagsabgeordneten Heinrich von Treitschke, zu dem verschiedene Politiker und Intellektuelle Stellung bezogen, darunter 1880 auch der Althistoriker Theodor Mommsen.
Der Streit machte das Schlagwort Antisemitismus, das der Journalist Wilhelm Marr 1879 in Umlauf gebracht hatte, landesweit publik und trug die Diskussion darüber in das deutsche Bildungsbürgertum und die Universitäten hinein. Er gab den Forderungen der Berliner Bewegung um Adolf Stöcker nach Begrenzung der Judenemanzipation ein Forum. Die im August 1880 gestartete Antisemitenpetition (7), die Juden von allen hohen Staatsämtern ausschließen und eine angebliche jüdische Einwanderung stoppen wollte, erhielt so Aufmerksamkeit und Zustimmung.
Weiter zu Treitschke:
Er sah sie [die nationale Einheit] durch „die weichliche Philanthropie unseres Zeitalters“ und eine „nationale Sonderexistenz“ der deutschen Juden bedroht und behauptete, sie seien Gegner der nationalen Einigung Deutschlands und nicht willens zur gesellschaftlichen Assimilation. Gleichwohl seien sie Deutschland für die Emanzipation Dank schuldig:
Da haben wir den Clash of civilizations (Kampf der Kulturen) in voller Blüte, und das fast 140 Jahre vor heute, mit den bekannten Reizworten "Assimilation" (statt Integration) und fehlender Dankbarkeit (für unsere "Gastfreundschaft"). Damals wie heute handelte es sich aber um deutsche Staatsbürger, aber wer ein Jude (bzw. Moslem) ist, ist eben nur ein halber Deutscher und muss dankbar sein für das Gastrecht, das wir ihm gewähren. Wer darauf allerdings einen Anspruch anmeldet und "dreist" behauptet, dass er wie jeder Deutsche dazu gehört und daher nicht dankbar (für was?) sein muss, verwechselt natürliches Recht, aus dem sich Ansprüche herleiten lassen, mit Sonderrecht. Gefordert wird also mindestens kulturelle Anpassung nicht nur an die Gesetze, sondern auch an unsere "Sitten und Gebräuche", also kulturelle Assimilation.
Treitschke verstand die Gleichberechtigung der Juden nicht als Element unveräußerlicher Menschenrechte, die der Nationalstaat zu schützen habe, sondern als Geschenk der preußischen Monarchie, die daher Ansprüche an die Beschenkten stellen könne. Der Führungsanspruch einer als Leitkultur aufgefassten Synthese von Deutschtum und Christentum stand für ihn außer Frage.
Hier haben wir auch gleich unsere Leitkultur, von allen Nationalisten als einzigen Gegenzauber gegen Multikulti angepriesen.
Auf dieser Basis griff er fremdenfeindliche Stereotypen auf, die vorher nur von antisemitischen Agitatoren zu hören waren: Er beschwor die nationale Einheit gegen eine angeblich unzuverlässige und fremdartige Minderheit, berief sich auf „Volkes Stimme“, schürte Überfremdungsängste und die Verschwörungstheorie eines angeblichen jüdischen Vormachtstrebens, zeigte Verachtung für Zuwanderer, ihre Berufe und ihre Kultur, aber auch für die Liberalen, die der Gefahr einer „Mischcultur“ nicht entgegentreten wollten. Er vertrat dies bewusst als Tabubruch eines bis dahin gültigen liberalen Meinungskonsenses und bot zuletzt eine einprägsame Hassparole an.
Seit Silvester 2015/16 spricht man diesbezüglich nicht mehr von Tabubruch, sondern von Realismus.
Das Judentum dürfe nicht gleichwertig neben die evangelische und katholische Konfession treten. Denn in einem national selbstbewussten Staat könne dauerhaft nur eine Religion bestehen, sonst komme es immer zu Konflikten.
Auch das ist nichts Neues. Die Rechten (auch hier im Forum) nennen es "kulturelle Inkompatibilität".
Von den Juden, die das Land aussaugten, müsse verlangt werden, endlich körperlich zu arbeiten. Sie sollten ihre Auffassung von koscheren Lebensmitteln fallen lassen und die jüdischen Feiertage aufgeben. Christen und Juden könnten sich sonst nie annähern und zusammenleben. Eine Verschmelzung sei unmöglich, da dann auch die Deutschen – die Endner mit den Christen gleichsetzte – einen Teil ihrer Identität opfern müssten.
Auch das ist also nichts Neues. Über den "Essensstreit" in Schulen, Beschneidung, den Wunsch nach einem islamischen Feiertag und den Burkastreit wurde hier in entsprechenden "Unterthemen" schon überlang "diskutiert". Nur den Kopftuchstreit gabs damals noch nicht, denn da trugen alle Gemaninnen selbstredend Kopftücher. Wehe, eine Frau hätte es gewagt ohne Kopftuch rumzulaufen! Sowas taten nur die aus einem bestimmten Milieu. Und dann gleich die Rede von der Bedrohung der deutschnationalen "Identität", geradeso als hätte man nur eine Identität, wenn man sich über die Nation und ähnliche kulturelle Komplexe definiert.
Der zwei Jahre lang intensiv publizierte und kommentierte Streit [Historikerstreit; der Gegenspieler war der Historiker Theodor Mommsen] etablierte auch scheinbar gemäßigte Formen der Judenablehnung als kulturellen Code [20] und schwächte damit die gesellschaftlichen Abwehrkräfte gegen Diskriminierung von Minderheiten. Er beendete die Hoffnungen eines Teils der jüdischen Intellektuellen auf Anerkennung im Kaiserreich und verstärkte die Hinwendung zum Zionismus.
Das ist ein interessanter Aspekt, wenn man nach den Ursachen und Ursprüngen von Islamismus fragt…
Die langfristigen Folgen des nunmehr etablierten Antisemitismus waren für die Juden in Deutschland einschneidend. So urteilt Karsten Krieger:[33]
Ähnliches kann man wohl auch von der Wirkung Sarrazins sagen. Die Frage ist, ob sich die Anti-Muslim-Diskussion in den letzten 3 Jahren ohne das Vorläuferbuch Sarrazins ebenso scharf und zersetzend entwickelt hätte. Aber das ist eine rein rhetorische Frage.
(Alle Quotes aus (6))
(1) Wikipedia: Wilhelm Marr
(2) Wikipedia: Antisemitenliga
(3) Wikipedia: Berliner Bewegung
(4) Wikipedia: Christlich-soziale Partei (Deutsches Kaiserreich)
(5) Wikipedia: Heinrich von Treitschke
(6) Wikipedia: Berliner Antisemitismusstreit
(7) Wikipedia: Antisemitenpetition
Man sieht also, wenn man bestimmte Schlagwörter, aber auch den Verlauf und die Reaktion aus der Politik ebenso wie aus dem "Volk" auf diesen Antisemitismusstreit untersucht, dass wir den ganzen Diskurs schon vor 140 Jahren mal hatten, nur dass es damals Juden waren, heute Muslime. Man kann es fast 1:1 auf den heutigen Streit übertragen. Es ist nach wie vor eine bei den meisten latent vorhandene völkische Einstellung, die unseren Volkscharakter und unsere Sicht von Nicht-Biodeutschen bestimmt, auch wenn sich die meisten korrekt verhalten und ihre Vorbehalte für sich behalten. Daneben gibt es natürlich auch immer eine Minderheit von Deutschen, die gegenüber xenophoben Einstellungen, Rassismen und antikulturellen Vorbehalten immun sind, und eine noch kleinere Minderheit, die sich für Multikulturalismus stark macht, auch wenn er etwas kostet.
Die interessante Frage in diesem Zusammenhang wäre, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn es damals schon Internet gegeben hätte. Möglicherweise hätten wir uns dann den Nationalsozialismus, der ja erst ein halbes Jahrhundert nach diesen Vorfällen kam, und damit auch den Holocaust ersparen können. Die Sache hätte sich damals, um 1880 schon, sehr schnell extrem verdichtet und es wäre wohl zu einer generellen und umfassenden Ausweisung alle Juden gekommen.
Daher ist es, bezogen auf diesen Punkt, vielleicht sogar gut, dass wir das Internet haben, denn so können wir unseren "Kulturkampf" rein verbal austragen und es dürfte wohl eher keinen zweiten Holocaust – dann gegen Muslime – geben. Auch wenn wir da niemals so sicher sein sollten.
Ich würde daher die Frage so beantworten:
Alles verändert sich – die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft, die Technologie, die Moden natürlich… nur eins bleibt (leider) immer gleich: der "Volkscharakter".
Leider finde ich die Stelle nicht mehr – sie findet sich aber in einem der 7 aufgeführten Links –, wo man die größte Parallele zu heute lesen kann: Dass die damalige, 3 Jahre andauernde Auseinandersetzung zur "Judenfrage" das Publikum extrem echauffierte und riesige Mengen an Leserbriefen zur Folge hatte. Es scheint also so zu sein, dass das Thema "Ausländer" nach wie vor die deutschen Gemüter am meisten aufwühlt. Und dass dies schon seit Jahrhunderten der Fall ist, also sich stets gleich bleibt. Wir scheinen also zwar ein aufgewecktes und auch nicht ganz unintelligentes Völkchen zu sein, aber leider mit einem offenbar unheilbaren Defekt ausgestattet: Der Unfähigkeit aus der Geschichte RECHTZEITIG zu lernen. (Sonst hätte es auch die beiden Weltkriege nicht gegeben,) Es wird wohl nicht möglich sein zu lernen, den "Migranten" mehr Spielraum einzuräumen. Jedenfalls nicht, solange wir die Besserwisser sind – und die Besseren.
Sicherlich sehen die meisten von euch das aber ganz anders, oder?
1889 veröffentlichte der (anarchistische) Journalist Wilhelm Marr (Wikipedia: Wilhelm Marr) (1) seinen Bestseller "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" (http://www.gehove.de/antisem/texte/marr_sieg.pdf); es ist nicht nur vom Titel her im gleichen provokant polemischen Stil geschrieben wie das Sarrazin-Buch; er gibt damit sogar im ersten Satz seines Buchs im Vorwort an: "Was ich mit dieser Schrift beabsichtige, ist weniger eine Polemik gegen das Judenthum, als die Constatirung einer kulturgeschichtlichen Thatsache. Wo immer die Verhältnisse zu einem polemischen Ton der Sprache zwingen, kann und muss derselbe nur als "Schmerzensschrei" Unterdrückter aufgefasst werden. Ein resignierter Pessimismus fliesst aus meiner Feder"
Hier haben wir schon gleich ein halbes Dutzend Übereinstimmungen mit Sarrazin:
• das Buch wurde ebenfalls ein Bestseller, 12 Auflagen gleich im 1. Jahr, quasi DAS Sachbuch der Bismarck-Ära;
• die Opferhaltung der Täter (die Deutschen als Opfer einer "fremden Rasse")
• kulturrassistische Begründung der Differenz der anderen "Rasse" gleich als "Tatsache"
• Umkehrung des Verhältnisses Unterdrücker – Unterdrückter; der Autor beabsichtigt die Realität ("Thatsache") vom Kopf auf die Füße zu stellen.
• "In seinem Bestseller stellte Marr als erster politischer Autor der Kaiserzeit die Juden nicht den Christen, sondern den Germanen gegenüber." (2) Sarrazin stellt die Muslime ja auch nicht den Christen, sondern den Deutschen gegenüber.
• Er schloss mit einer kulturpessimistischen Aussicht: Den Juden gehöre die Zukunft, das Germanentum sei zum Aussterben verurteilt. „Finis Germaniae! Vae victis!“ Durch die höhere Fertilität der "Migranten" wird Deutschland immer orientalischer ("Parallelgesellschaften"); am Ende sind die Deutschen (Germanen) gegenüber denen "mit Migrationshintergrund" quasi zum Aussterben verurteilt (Umvolkungsthese)
Der seit 2014 tobende, seit Herbst 2015 ("Flüchtlingswelle") hysterische verbale Medienkrieg (mit Medien meine ich jetzt auch die interaktiven Medien wie soziale Netzwerke und Foren) wurde von rassistischen Vereinigungen, die aber nur latente "Volksstimmungen" aufnehmen und medial verbreiten (Multiplikatoreneffekt), zur politischen Agitation eingesetzt. Pegida ist quasi eine Wiederholung einstiger Hetzgruppen wie die Antisemitenliga (2), Wikipedia: Berliner Bewegung (3), Wikipedia: Alldeutscher Verband, Wikipedia: Deutschbund, Wikipedia: Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband u.a., AfD ist auch nichts Neues unter dieser Sonne
(Wikipedia: Christlich-soziale Partei (Deutsches Kaiserreich) (4)
Gemeinsames Ziel von Pegida, AfD und anderen völkisch-nationalistisch und antiislamischen Gruppierungen ist natürlich der Wunsch nach einem Einreisstopp von Flüchtlingen (islamischen Glaubens) über die Schiene strikte Zugangskontrolle an den europäischen Außengrenzen, wie dies im Asylgesetzgebungsthread und Migrantengewaltthread seit Jahren bis zum Erbrechen recycelt wird; auch das ist natürlich nichts Neues. Demgegenüber vertrat Marr eine überkonfessionelle, rassistische Position. Er grenzte diese ausdrücklich vom Christentum ab und verband sie mit radikaleren Forderungen nach Vertreibung aller Juden aus Deutschland, nicht nur Zuzugsbegrenzung für jüdische Einwanderer. (2)
Heute spricht man nicht mehr von Vertreibung, sondern nennt das zivilisierter Abschiebung. Und da wir ja gesetzestreu sind, muss dafür neben der Herkunft und dem Glauben noch mindestens ein Faktor dazu kommen, der nicht mit den Gesetzen in Einklang steht (z.B. Verschweigen des Herkunftlands oder Verstoß gegen ein Strafgesetz).
Und natürlich haben wir unsere Historiker – einst wie heute. Eine frühe Inkarnation des Björn Höcke gab es damals auch, den auch heute noch bekannten Heinrich von Treitschke. (Wikipedia: Heinrich von Treitschke) (5)
Der den Berliner Antisemtismusstreit von der Latte brach
Wikipedia: Berliner Antisemitismusstreit (6):
Der Berliner Antisemitismusstreit war eine öffentliche Debatte von 1879 bis 1881 im Kaiserreich über den Einfluss des Judentums, die sogenannte Judenfrage. Er wurde damals als Treitschkestreit oder Treitschkiade bezeichnet und erhielt erst durch eine Dokumentensammlung von Walter Boehlich aus dem Jahr 1965 seinen heute üblichen Namen. Auslöser war ein Aufsatz des konservativ-preußischen Historikers und Reichstagsabgeordneten Heinrich von Treitschke, zu dem verschiedene Politiker und Intellektuelle Stellung bezogen, darunter 1880 auch der Althistoriker Theodor Mommsen.
Der Streit machte das Schlagwort Antisemitismus, das der Journalist Wilhelm Marr 1879 in Umlauf gebracht hatte, landesweit publik und trug die Diskussion darüber in das deutsche Bildungsbürgertum und die Universitäten hinein. Er gab den Forderungen der Berliner Bewegung um Adolf Stöcker nach Begrenzung der Judenemanzipation ein Forum. Die im August 1880 gestartete Antisemitenpetition (7), die Juden von allen hohen Staatsämtern ausschließen und eine angebliche jüdische Einwanderung stoppen wollte, erhielt so Aufmerksamkeit und Zustimmung.
Weiter zu Treitschke:
Er sah sie [die nationale Einheit] durch „die weichliche Philanthropie unseres Zeitalters“ und eine „nationale Sonderexistenz“ der deutschen Juden bedroht und behauptete, sie seien Gegner der nationalen Einigung Deutschlands und nicht willens zur gesellschaftlichen Assimilation. Gleichwohl seien sie Deutschland für die Emanzipation Dank schuldig:
denn die Theilnahme an der Leitung des Staats ist keineswegs ein natürliches Recht aller Einwohner, sondern jeder Staat entscheidet darüber nach seinem freien Ermessen.Daher müssten die Juden „sich den Sitten und Gedanken ihrer christlichen Mitbürger annähern“ und „Pietät zeigen gegen den Glauben, die Sitten und Gefühle des deutschen Volks, das alte Unbill längst gesühnt und ihnen die Rechte des Menschen und des Bürgers geschenkt hat …“, indem sie nun „auch innerlich Deutsche werden.“ Er entrüstete sich über ihren Undank und Egoismus
Da haben wir den Clash of civilizations (Kampf der Kulturen) in voller Blüte, und das fast 140 Jahre vor heute, mit den bekannten Reizworten "Assimilation" (statt Integration) und fehlender Dankbarkeit (für unsere "Gastfreundschaft"). Damals wie heute handelte es sich aber um deutsche Staatsbürger, aber wer ein Jude (bzw. Moslem) ist, ist eben nur ein halber Deutscher und muss dankbar sein für das Gastrecht, das wir ihm gewähren. Wer darauf allerdings einen Anspruch anmeldet und "dreist" behauptet, dass er wie jeder Deutsche dazu gehört und daher nicht dankbar (für was?) sein muss, verwechselt natürliches Recht, aus dem sich Ansprüche herleiten lassen, mit Sonderrecht. Gefordert wird also mindestens kulturelle Anpassung nicht nur an die Gesetze, sondern auch an unsere "Sitten und Gebräuche", also kulturelle Assimilation.
„Über unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schaar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen; die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie wir dies fremde Volksthum mit dem unseren verschmelzen können.“Das kommt einem doch auch irgendwie bekannt vor, oder? Die heutigen Testosteron-prallvollen "jungen Männer", die sich als "Antänzer" und Gruppenvergewaltiger übel in die Schlagzeilen bringen, waren vor 140 Jahren "eine Schaar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge". Auch hier: nichts Neues unter dieser Sonne.
„Sie sollen Deutsche werden, sich schlicht und recht als Deutsche fühlen – unbeschadet ihres Glaubens und ihrer alten heiligen Erinnerungen, die uns allen ehrwürdig sind; denn wir wollen nicht, daß auf die Jahrtausende germanischer Gesittung ein Zeitalter deutsch-jüdischer Mischcultur folge.“Die Absage an Multikulti ist also auch schon etwas älter und keine Pegida-Erfindung.
Treitschke verstand die Gleichberechtigung der Juden nicht als Element unveräußerlicher Menschenrechte, die der Nationalstaat zu schützen habe, sondern als Geschenk der preußischen Monarchie, die daher Ansprüche an die Beschenkten stellen könne. Der Führungsanspruch einer als Leitkultur aufgefassten Synthese von Deutschtum und Christentum stand für ihn außer Frage.
Hier haben wir auch gleich unsere Leitkultur, von allen Nationalisten als einzigen Gegenzauber gegen Multikulti angepriesen.
Auf dieser Basis griff er fremdenfeindliche Stereotypen auf, die vorher nur von antisemitischen Agitatoren zu hören waren: Er beschwor die nationale Einheit gegen eine angeblich unzuverlässige und fremdartige Minderheit, berief sich auf „Volkes Stimme“, schürte Überfremdungsängste und die Verschwörungstheorie eines angeblichen jüdischen Vormachtstrebens, zeigte Verachtung für Zuwanderer, ihre Berufe und ihre Kultur, aber auch für die Liberalen, die der Gefahr einer „Mischcultur“ nicht entgegentreten wollten. Er vertrat dies bewusst als Tabubruch eines bis dahin gültigen liberalen Meinungskonsenses und bot zuletzt eine einprägsame Hassparole an.
Seit Silvester 2015/16 spricht man diesbezüglich nicht mehr von Tabubruch, sondern von Realismus.
Das Judentum dürfe nicht gleichwertig neben die evangelische und katholische Konfession treten. Denn in einem national selbstbewussten Staat könne dauerhaft nur eine Religion bestehen, sonst komme es immer zu Konflikten.
Auch das ist nichts Neues. Die Rechten (auch hier im Forum) nennen es "kulturelle Inkompatibilität".
Von den Juden, die das Land aussaugten, müsse verlangt werden, endlich körperlich zu arbeiten. Sie sollten ihre Auffassung von koscheren Lebensmitteln fallen lassen und die jüdischen Feiertage aufgeben. Christen und Juden könnten sich sonst nie annähern und zusammenleben. Eine Verschmelzung sei unmöglich, da dann auch die Deutschen – die Endner mit den Christen gleichsetzte – einen Teil ihrer Identität opfern müssten.
Auch das ist also nichts Neues. Über den "Essensstreit" in Schulen, Beschneidung, den Wunsch nach einem islamischen Feiertag und den Burkastreit wurde hier in entsprechenden "Unterthemen" schon überlang "diskutiert". Nur den Kopftuchstreit gabs damals noch nicht, denn da trugen alle Gemaninnen selbstredend Kopftücher. Wehe, eine Frau hätte es gewagt ohne Kopftuch rumzulaufen! Sowas taten nur die aus einem bestimmten Milieu. Und dann gleich die Rede von der Bedrohung der deutschnationalen "Identität", geradeso als hätte man nur eine Identität, wenn man sich über die Nation und ähnliche kulturelle Komplexe definiert.
Der zwei Jahre lang intensiv publizierte und kommentierte Streit [Historikerstreit; der Gegenspieler war der Historiker Theodor Mommsen] etablierte auch scheinbar gemäßigte Formen der Judenablehnung als kulturellen Code [20] und schwächte damit die gesellschaftlichen Abwehrkräfte gegen Diskriminierung von Minderheiten. Er beendete die Hoffnungen eines Teils der jüdischen Intellektuellen auf Anerkennung im Kaiserreich und verstärkte die Hinwendung zum Zionismus.
Das ist ein interessanter Aspekt, wenn man nach den Ursachen und Ursprüngen von Islamismus fragt…
Die langfristigen Folgen des nunmehr etablierten Antisemitismus waren für die Juden in Deutschland einschneidend. So urteilt Karsten Krieger:[33]
„Wahrscheinlich prägte Treitschke wie kein zweiter das Identitätsbewusstsein sowohl der Führungseliten als auch der Mittelschichten im Deutschen Kaiserreich. Die durch ihn beförderte und in ein nationales Weltbild integrierte scheinbare Domestizierung der Judenfeindschaft hat vermutlich maßgeblich dazu beigetragen, dass der Antisemitismus einen integralen Bestandteil des eigenen Weltverständnisses bildete, dessen zerstörerisches Potenzial sich allerdings erst seit dem Ersten Weltkrieg offenbarte.“
Ähnliches kann man wohl auch von der Wirkung Sarrazins sagen. Die Frage ist, ob sich die Anti-Muslim-Diskussion in den letzten 3 Jahren ohne das Vorläuferbuch Sarrazins ebenso scharf und zersetzend entwickelt hätte. Aber das ist eine rein rhetorische Frage.
(Alle Quotes aus (6))
(1) Wikipedia: Wilhelm Marr
(2) Wikipedia: Antisemitenliga
(3) Wikipedia: Berliner Bewegung
(4) Wikipedia: Christlich-soziale Partei (Deutsches Kaiserreich)
(5) Wikipedia: Heinrich von Treitschke
(6) Wikipedia: Berliner Antisemitismusstreit
(7) Wikipedia: Antisemitenpetition
Man sieht also, wenn man bestimmte Schlagwörter, aber auch den Verlauf und die Reaktion aus der Politik ebenso wie aus dem "Volk" auf diesen Antisemitismusstreit untersucht, dass wir den ganzen Diskurs schon vor 140 Jahren mal hatten, nur dass es damals Juden waren, heute Muslime. Man kann es fast 1:1 auf den heutigen Streit übertragen. Es ist nach wie vor eine bei den meisten latent vorhandene völkische Einstellung, die unseren Volkscharakter und unsere Sicht von Nicht-Biodeutschen bestimmt, auch wenn sich die meisten korrekt verhalten und ihre Vorbehalte für sich behalten. Daneben gibt es natürlich auch immer eine Minderheit von Deutschen, die gegenüber xenophoben Einstellungen, Rassismen und antikulturellen Vorbehalten immun sind, und eine noch kleinere Minderheit, die sich für Multikulturalismus stark macht, auch wenn er etwas kostet.
Die interessante Frage in diesem Zusammenhang wäre, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn es damals schon Internet gegeben hätte. Möglicherweise hätten wir uns dann den Nationalsozialismus, der ja erst ein halbes Jahrhundert nach diesen Vorfällen kam, und damit auch den Holocaust ersparen können. Die Sache hätte sich damals, um 1880 schon, sehr schnell extrem verdichtet und es wäre wohl zu einer generellen und umfassenden Ausweisung alle Juden gekommen.
Daher ist es, bezogen auf diesen Punkt, vielleicht sogar gut, dass wir das Internet haben, denn so können wir unseren "Kulturkampf" rein verbal austragen und es dürfte wohl eher keinen zweiten Holocaust – dann gegen Muslime – geben. Auch wenn wir da niemals so sicher sein sollten.
Ich würde daher die Frage so beantworten:
Alles verändert sich – die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft, die Technologie, die Moden natürlich… nur eins bleibt (leider) immer gleich: der "Volkscharakter".
Leider finde ich die Stelle nicht mehr – sie findet sich aber in einem der 7 aufgeführten Links –, wo man die größte Parallele zu heute lesen kann: Dass die damalige, 3 Jahre andauernde Auseinandersetzung zur "Judenfrage" das Publikum extrem echauffierte und riesige Mengen an Leserbriefen zur Folge hatte. Es scheint also so zu sein, dass das Thema "Ausländer" nach wie vor die deutschen Gemüter am meisten aufwühlt. Und dass dies schon seit Jahrhunderten der Fall ist, also sich stets gleich bleibt. Wir scheinen also zwar ein aufgewecktes und auch nicht ganz unintelligentes Völkchen zu sein, aber leider mit einem offenbar unheilbaren Defekt ausgestattet: Der Unfähigkeit aus der Geschichte RECHTZEITIG zu lernen. (Sonst hätte es auch die beiden Weltkriege nicht gegeben,) Es wird wohl nicht möglich sein zu lernen, den "Migranten" mehr Spielraum einzuräumen. Jedenfalls nicht, solange wir die Besserwisser sind – und die Besseren.
Sicherlich sehen die meisten von euch das aber ganz anders, oder?