@Karakachanka Genau. Das muss die Bundeswehr sich m.E. zu Recht vorwerfen lassen:
1. Es wurde generell die Sicherheit an Bord etwas leger gehandhabt. Auf Jennys Posten hätte durchaus das Anlegen einer Sicherung Vorschrift sein können, und im Rückblick, müssen. Heute ist das ja auch der Fall. Aus Schaden wurde man klug.
2. Wie schon oft diskutiert, scheinen die allgemeinen Tauglichkeitskriterien und ihre Handhabung problematisch hinsichtlich der Verwendung an Bord der Gorch Fock. Ob sich dahingehend etwas geändert hat ist nicht bekannt.
3. Der Wachoffizier hat hier keinen sonderlichen Pflichteifer gezeigt: Er hätte um 23.30 Uhr nachfragen müssen, was mit Jenny los ist. Zwar entlastet ihn die Tatsache, wenn es denn eine ist, dass sie anschliessend Schiffe gemeldet hat, aber das ist keine Entschuldigung. Allerdings heisst das nicht, dass wegen dieser Schludrigkeit Jenny über Bord gegangen ist. Das ist ein wichtiger Unterschied. Es ist auch nicht nachweisbar, dass deswegen ihre Rettung verzögert oder unmöglich wurde, denn dagegen spricht die Aussage, dass sie noch Schiffe gemeldet hat und die Aussagen, dass man noch etwas um 23.45 Uhr gehört hat.
4. Warum genau 50 Leute an Deck waren und vor allem wo ist nicht ganz klar. Es handelt sich wohl um die Wachablösung, die 15 Minuten vor der Ablösung antreten musste, sowie die diensthabende Wache.
Die Aussage, mit der ich am meisten Probleme habe ist die, dass ein Schrei und durchaus verständliche Worte gehört wurden:
a) Wenn ein Mensch von Bord fällt, hat sie vielleicht gerade noch Zeit, einen Schrei auszurufen, aber nicht mehr. Und dieser wird eventuell noch als "Hilfe" oder ähnliches artikuliert, aber vermutlich kaum in verschiedenen Worten, so wie es hier berichtet wird. Dazu geht alles zu schnell.
b) Wenn sich da 50 Personen an Deck getummelt haben sollen, dann wird das nicht völlig stumm und geräuschlos abgegangen sein. Daher ist zu bezweifeln, ob die meisten dieser 50 Jenny überhaupt gehört hätten. Ich bezweifle ganz besonders, dass irgendjemand in dieser Situation verstanden haben würde, was eine von Bord fallende Person an der Back noch sagt oder ruft. Glaubhaft ist vielleicht, dass man etwas gehört hat, aber ich bezweifle, dass man etwas verstanden hat.
c) Die angeblich gehörten Worte passen vielmehr zu jemandem, der das Unfallgeschehen mitbekommen oder die Reaktion darauf erfahren hat: "oh mein Gott" passt als Reaktion auf einen Schrei etc. Daher nehme ich an, dass jemand, der Jennys Schrei vernommen hat, daraufhin "oh mein Gott" ausgerufen hat und in dem folgenden Chaos das von Zeugen nicht mehr auseinandergehalten wurde.
d) Ich lehne mich mal über Bord und sage, dass niemand oben an Deck noch vernehmen konnte, was, wenn überhaupt, Jenny aus dem Wasser geschrien oder gerufen hätte. Wind, Wellengeräusche und vor allem eben die Reaktionen der 50 Personen an Deck hätten es m.E. unmöglich gemacht, Jenny im Wasser zu hören.
Ich bin segeln auf kleinen Jachten gewöhnt, und schon da ist bei einigermassen Fahrt und Wind Kommunikation im Freien an Bord nicht ganz einfach.
Daher: wenn da überhaupt etwas um 23.45 Uhr gehört wurde, und ich schliesse nicht aus, dass es sich dabei um einen grossen Irrtum handelt und niemand etwas gehört hat, dann sicher nur Jennys Schrei, aber keine Worte, kein langes Jammern etc. Das dürfte eher Einbildung sein, wie sie Zeugen katastrophaler Ereignisse im Nachhinein nicht gerade fremd ist.