@Ray. Klar, wenn man trotz Handicaps doch noch im Wunschberuf landet, dann ist das auch ein Stück weit Glück. Man kann seine Chancen auf dieses Glück durch eigenen Einsatz aber durchaus maximieren.
Mein beruflicher Werdegang ist ähnlich verworren wie der von
@Warden - Mein familiärer Background ist gelinde gesagt schwierig. Tatsächlich wäre ich als Kind/Jugendliche froh gewesen, wenn mich da jemand raus geholt hätte und sei es in ein Heim. Dass ich zumindest mein mittelmäßiges Abi gemacht habe, hat dabei weniger was mit Ehrgeiz zu tun, sondern mehr damit, dass ich damals schlicht nie einen richtigen Plan B hatte und sehr auf ein späteres Studium fokussiert war (ich lerne aber auch gerne und würde wahrscheinlich zum ewigen Studenten mutieren, sollte ich plötzlich im Lotto gewinnen
:D )
Nach dem Abi ging es dann erst mal steil abwärts. Aufgrund eines massiven Schicksalsschlags und sehr wahrscheinlich auch aufgrund meiner genetischen Veranlagung/der Situation, in der ich aufgewachsen bin, bin ich depressiv geworden und weil mein Studium auch nicht das war, was ich mir drunter vorgestellt habe, hab ich es nach einem Semester wieder abgebrochen.
Ich bin mit meinem damaligen Freund zusammengezogen, hab zur Überbrückung zehn Monate (unbezahltes) Praktikum in einer Kita gemacht, weil mir zuhause rumsitzen echt nicht liegt und dann eine Ausbildung zur Erzieherin begonnen. Nicht, weil ich davon selbst überzeugt war, sondern weil es mit meiner Depression der Weg des geringsten Widerstands war. Ich musste nur ein Anschreiben an die Erzieherschule schicken, hatte mit Abi und Praktikum den erforderlichen Background und bin, zack, angenommen worden, ohne dass die mich vorher auch nur einmal persönlich zu Gesicht bekommen oder gar gesprochen hätten.
Dass das mit meiner psychischen Verfassung, die durch verschiedene Faktoren noch verschlimmert wurde, nichts hätte werden können, hätte mir von Anfang an klar sein sollen. So aber wurde die Ausbildung für mich zum Kampf, den ich nicht gewinnen konnte und das hat mich noch mehr runter gezogen, bis ich schließlich die Reißleine gezogen und abgebrochen habe.
An diesem Punkt hätte ich mich vollends ins soziale Netz fallen lassen können. Dass ich ein Totalausfall bin, hätten mir so sicher auch diverse Ärzte bestätigt und dann hätte ich mich nicht mal mit ALG2 rumschlagen müssen, sondern direkt eine EU beziehen können. Ich kenne jedenfalls genug Leute, die es dann auch genauso gehandhabt haben.
Abe ich hatte darauf, um ehrlich zu sein, keinen Bock, solange ich nicht alle Alternativen ausgelotet hatte. Ich hab dann fast ein Jahr lang eine medizinisch-berufliche Reha absolviert, in der ich engmaschig betreut worden bin und endlich auch mal wieder berufliche Erfolgserlebnisse hatte. Danach hab ich zwei Jahre lang eine überbetriebliche Umschulung gemacht... und hatte dann leider erst mal wieder Pech, weil ich nicht direkt danach einen Job gefunden habe.
Weil man keine Berufserfahrung vom Nichtstun sammelt, hab ich dann noch mal bei einer Stelle, bei der ich im Rahmen der Umschulung vorher schon mal ein Praktikum gemacht habe, angefragt, ob sich das wiederholen ließe. Ich war dann dort wiederum für sechs Monate unbezahlte Praktikantin, ehe ich dann dort eine Stelle bekommen habe. Das Ganze war vom Jobcenter gefördert, allerdings war auch von Anfang an klar, dass die Befristung der Stelle nach zwei Jahren ausläuft.
Wie schon während meiner Arbeitslosigkeit habe ich mich also massiv auf freie Stellen in meinem Berufsfeld beworben und überdies jede Chance, die sich mir im befristeten Job geboten hat, genutzt, um mit potenziell zukünftigen Chefs in Kontakt zu treten. Das hat geklappt und danach bin intern innerhalb von ca. drei Jahren so weit aufgestiegen, dass ich mich aktuell an einem Punkt befinde, an dem ich karrieretechnisch aufgrund meines fehlenden Studiums zumindest auf finanzieller Ebene mein Maximum erreicht habe. Ob ich jetzt doch noch ein nebenberufliches Studium dran hänge, kann ich allerdings noch nicht sicher sagen, weil mir die Tätigkeit, die ich jetzt ausführe, eigentlich alles gibt, was ich von einem Job will.
Langer Rede, kurzer Sinn: Man kann schon viel erreichen, wenn man es wenigstens versucht. Ich kenne Menschen, die würden niemals sechs Monate oder gar ein Jahr für umme arbeiten, während sie ALG2 bekommen oder nicht mal das (ich habe während des Praktikums in der Kita von Halbwaisenrente und Kindergeld gelebt), ich kenne Menschen, die würden würden nicht täglich insgesamt über drei Stunden pendeln und ich kenne Menschen, die machen im Job nur das Nötigste und wundern sich dann, dass sie auf Posten im Anfängerniveau feststecken.
Maximieren kann man sein "Glück" dann noch mal, wenn man sich auf den öffentlichen Dienst fokussiert. Hab ich auch gemacht. Weil es meinen Wunschberuf, in dem ich jetzt arbeite, in der freien Wirtschaft gar nicht gibt und weil ich es persönlich schrecklich finde, alle Jahre bei einem Chef antanzen zu müssen, um ihn dann vom Sinn einer Gehaltserhöhung zu überzeugen. Da bekomme ich lieber insgesamt weniger, aber dafür das gleiche wie andere Kollegen auf dem gleichen Gehaltslevel und mit der gleichen Arbeitserfahrung. Außerdem geht man im ÖD erfahrungsgemäß mit nicht so gradlinigen Arbeitshistorien kulanter um, solange dann die Leistung stimmt.
Dass man trotzdem Pech haben kann, weiß ich allerdings auch. Meine Mutter, die vom Intellekt her locker ihr Abi oder zumindest ihre mittlere Reife hätte machen können, wurde von ihren Eltern damals gezwungen, nach der 9. Klasse aufzuhören und die erstbeste Ausbildung zu machen, bei der sie genommen wurde. Nach einem Umzug aufs Land und meiner Geburt, hat sie nur noch Reinigungs-, Betreuungs- und Aushilfsjobs bekommen und war dann irgendwann auch so lange aus ihrem eigentlichen Job draußen, dass sie da nichts mehr gefunden hätte (mal davon abgesehen, dass Stellen als Porzellanfachverkäuferin auch echt rar gesät sind). Heutzutage hat sie mehrere Putzjobs, die sie körperlich mit über 60 Jahren an ihre Belastungsgrenze bringen. Sie ist froh, wenn in 2-3 Jahren die Rente angesagt ist, wohlwissend, dass sich weiterhin irgendwas dazuverdienen wird müssen, damit das Geld zum Leben reicht. Arbeitslos gemeldet war sie allerdings nur kurze Zeit in ihrem Leben.