MENSCHEN BEI MAISCHBERGER ARD 13.05.2014
Sozialschmarotzer erklärt, warum ihm Hartz-IV zusteht
Im Herbst soll der Bundestag über eine neue Hartz-IV-Reform entscheiden. Noch wird heiß diskutiert, wie genau die Inhalte der Erneuerung aussehen sollen. Hauptziele sind: Abbau von Bürokratie, mehr Zeit für Vermittlung und weniger Missbrauch. Der brisanteste Vorschlag:
Wer dreimal einen Termin im Jobcenter schwänzt, dem sollen künftig Hartz-IV-Leistungen komplett gestrichen werden – sprich: null Euro. Sind solche Sanktionen gerecht? Oder brauchen wir noch härtere Maßnahmen? Wie einfach ist es, das System auszunutzen?
Sandra Maischberger diskutierte mit ihrer Runde die Frage: „Das neue Hartz IV: Härter, aber fairer?“
► DIE GÄSTE
• Sandra Völker (40), ehemalige deutsche Schwimmerin, mehrfache Weltmeisterin und Olympiamedaillengewinnerin
• Ulrich Schneider (53), Hauptgeschäftsführer „Paritätischer Wohlfahrtsverband“
• Judith Williams (41), Unternehmerin und Homeshopping-Star
• Michael Fielsch (49), leidenschaftlicher Hartz-IV-Empfänger
• Rita Knobel-Ulrich (64), Autorin („Reich durch Hartz IV“) und Filmemacherin
• Thomas Lenz, Chef des Wuppertaler Jobcenters
► DARUM GING'S
Hartz IV. An diesem Wort und dem, wofür es steht, scheiden sich die Geister. Die einen wollen noch härtere Regeln, noch härtere Strafen und noch weniger Geld für die Arbeitslosen. Die anderen finden die gültigen Vorschriften schon zu hart, halten die monatlichen Zahlungen für zu gering und befürchten die soziale Isolation der Betroffenen. Doch in einem Punkt sind sich eigentlich alle einig: Missbrauch muss bekämpft werden.
Was kann man tun, um Missbrauch zu verhindern? Greifen die debattierten Vorschläge überhaupt? Oder gibt es für Sozialschmarotzer immer einen Weg, das System auszunutzen?
► DA GING'S ZUR SACHE
Für provokante Thesen war Michael Fielsch da, der seit 15 Jahren von Sozialleistungen lebt – und daran wird sich wohl auch nichts ändern. „Ich bin doch nicht dafür da, um für irgendwen zu arbeiten. Ich will nicht in einem abhängigen Verhältnis stehen“, sagt er.
Fielsch findet, dass er als Aktivist für ein bedingungsloses Grundkommen seinen Beitrag für die Gesellschaft leiste und ihm deswegen das Geld zustehe. Eine Einladung vom Arbeitsamt sagte er kürzlich ab und forderte in einem Schreiben: „Wenn Sie einen Job für mich haben, ab einem Monatsgehalt von 2000 Euro netto, bei weniger als 20 Arbeitsstunden pro Woche, dann können Sie sich gerne bei mir melden.“
Härteren Maßnahmen steht er ablehnend gegenüber: „Wir haben ein perverses System und reden darüber es noch perverser zu machen.“
Als das Wort Schmarotzer fällt, wehrt sich Fielsch: „Ich habe einen zehn bis zwölf Stunden-Tag. Ich mache Radiosendungen, organisiere Diskussionsrunden und dokumentiere die Opfer von Agenda 2010.“
Ulrich Schneider vom „Paritätischen Wohlfahrtsverband“ versucht dem Arbeitslosen klarzumachen, dass man für seine politische Message nicht bezahlt wird – erfolglos.
Autorin Rita Knobel-Ulrich zeigt für Fielschs Lebensphilosophie noch weniger Verständnis und greift ihn direkt an: „Solidarität ist keine Einbahnstraße. Menschen wie Sie haben sich gefälligst anzustrengen, um sich selber zu ernähren. Man hat keinen Anspruch auf seinen Traumjob. Sie kassieren 15 Jahre lang Hartz IV und kommen damit durch. Ich als Steuerzahler kriege Pickel davon, dass wir Leute wie Sie ernähren.“
Jobcenter-Chef Thomas Lenz schaltet sich in die Debatte ein und bringt sein Ärgernis zum Ausdruck: „Mich ärgern solche Diskussionen. Sie erwecken den Eindruck, dass wir nur Menschen haben, die nicht arbeiten wollen. Das ist aber nicht so. Man muss sich den Einzelfall anschauen.“
Maischberger will von ihm wissen, was denn mit Menschen passiert, die wie Fielsch, das System ausnutzen.
Die Antwort ist ernüchternd: Eventuell gibt es eine Kürzung seiner Bezüge um zehn Prozent. Auch der neue Vorschlag, nach drei Absagen das Geld zu streichen, scheint bei ihm wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Fielsch würde dann einfach die Termine wieder wahrnehmen, um der Strafe zu entgehen.
Doch Lenz beteuert erneut: „Die meisten Menschen wollen arbeiten und sind höchst engagiert. Es mangelt meist an Arbeitsplätzen.“
Rita Knobel-Ulrich sieht das anders: „Menschen ohne Ausbildung oder irgendwas haben die Vorstellung, dass Ernteeinsätze oder Putzen würdelos sind. Das kann nicht sein!“
Sozialexperte Schneider sieht bei der Bekämpfung des Missbrauchs einen Konsens in der Runde, weist aber auf eine Problematik bei der Vermittlung hin: „Man muss aufpassen, dass man keine Biographien kaputt macht. Es gibt Grenzen der Zumutbarkeit. Man soll einem Hochausgebildeten keinen Hilfsarbeiter-Job vorschlagen.“
In diesem Punkt ist sich die Runde weitestgehend einig.
Homeshopping-Star Judith Williams appelliert an die Flexibilität, besonders von jungen Arbeitssuchenden: „Wenn der Arbeitsraum sich ändert, muss man sich auch verändern. Das wir Menschen wie Herrn Fielsch miternähren können, liegt daran, dass wir alle eine Leistung erbringen. Aber unfair wird es, wenn alleinerziehende Mütter, die arbeiten, nur 20 Euro mehr verdienen als der Schmarotzer.“
Journalistin greift Job-Center-Chef an
Als Schneider über die soziale Aufgabe des Jobcenters spricht, kommt es zum Schlagabtausch mit Rita Knobel-Ulrich: „Wenn Menschen den Job verlieren und dann vielleicht noch den Partner und Freunde, dann fangen sie vielleicht an zu trinken und sind dann so von der Rolle, dass die Maßnahmen nicht mehr helfen. Das Jobcenter konzentriert sich zu sehr darauf, gut Vermittelbare zu vermitteln.“
„Das ist ja auch ihre Aufgabe. Sie sind ja keine Seelsorge. Sowieso sind 80 Prozent ihrer Maßnahmen sinnlos. Und wer verdient daran: Die Armutsindustrie. Der paritätische Wohlfahrtsverband. Man nennt Sie, Herr Schneider, auch den Cheflobbyisten der Armutsindustrie.“
Lenz ergreift Partei für Schneider: „Es ist unsere Aufgabe, uns auch den schweren Fällen zu widmen. Wir garantieren damit den sozialen Frieden in unserem Land und verhindern soziale Ausgrenzung.“
Knobel-Ulrich zweifelt am Sinn von getroffenen Maßnahmen: „Es gibt Puzzle-Kurse, Strick-Kurse oder Theater-Kurse zur Selbstfindung von Jugendlichen. Diese Kurse kosten zwischen 300 und 800 Euro im Monat, und die Betroffenen beziehen zusätzlich Hartz IV und Wohngeld. Hinterher kommt hier aber sicher kein Job bei rum.“
Judith Williams, die ihre Geschichte von ihrer wegen Krankheit gescheiterter Opernkarriere hin zum Homeshopping-Star erzählte, fasst ihre Erfahrung in einem Fazit zusammen: „Man muss immer bereit sein, eine Extrameile zu gehen.“
► FAZIT
Eine unterhaltsame Runde in der kontrovers diskutiert wurde. Der leidenschaftliche Hartz IV-Empfänger Fielsch hat gezeigt, wie man das soziale System ausnutzen kann, auch wenn er in seiner ganz eigenen Welt davon überzeugt ist, mit seinem Missbrauch etwas Gutes zu tun.
http://www.bild.de/politik/inland/talkshow/maischberger-sozialschmarotzer-mischt-hartz-iv-talk-auf-35962150.bild.htmlhttp://www.ardmediathek.de/das-erste/menschen-bei-maischberger/das-neue-hartz-iv-haerter-aber-fairer?documentId=21319876