Tripane schrieb:Hm, da bin mir jetzt nicht so sicher. Die alte Chemikerweisheit "dosis venenum facit" (Die Menge macht das Gift) dürfte auch hier gelten.
Das ist zwar richtig, dass Gift eine Frage der Menge ist. Ob diese spezielle Novichok-Variante, die man in Blutproben, die Nawalny entnommen worden sei sollen, nachgewiesnehaben will, jetzt so eine gute Wahl ist, um sie außerhalb eines Labors in zuverlässig non-letaler, aber dennoch empfindlich verletzender und Schockwirkung-erzeugender Art und Weise zu dosieren, das kannst Du ja mit deinem sicher gegebenen Sachverstand bestimmt selbst gut einschätzen.
Bei VX (das ist ja wesentlich besser erforscht als Novichok, das niemals in Serie hergestellt wurde) sind bereits 0,1 mg tödlich (für den Ø-Mann). Novichok wird als 2x bis 8x toxischer eingeschätzt, also irgendwo zwischen 0,05 und 0,01 mg um zu töten.
Im "Spiegel" wird die Toxizität des Gifts, das Nawalny jetzt wie gesagt ohne bleibende Spuren überstanden haben soll, und so veranschaulicht: "Ein Tropfen kann töten"
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/alexej-nawalny-experten-bestaetigen-nowitschok-befund-a-6314ca68-e89a-4efe-8347-2ebf77a3a8f5Da ich mich in der Skripal-Phase ziemlich intensiv eingelesen hab in das Thema hab ich auch noch die Aussage eines der damaligen sowjetischen Wissenschaftlers, Teilnehmer des Foliant-Programms in Erinnerung, dass es kaum möglich sei NC, non-letal zu dosieren. GGf find ich dazu die Quelle wider, kann aber schwierig werden.
Falls es möglich ist, es doch in so einer sub-letalen Dosis zu dosieren, ist es jedenfalls recht schwierig, und da stellt sich eben die Frage warum der Akteur eines Anschlags diesen Unsicherheitsfaktor in seiner Methode wählt, wenn er viele "bessere" Optionen hat.
Normalerweise wählen speziell professionell agierende Gruppierungen wie Geheimdienste oder Terroristen, adäquate Waffen.
Tripane schrieb:Ich halte nach wie vor für plausibel, dass man in Russland ganz gezielt zeigen will, dass man zwar irgendwie dahintersteckt, aber ohne sich alle Vorteile der westlichen Rechtsstaatlichkeit ("Im Zweifel für den Angeklagten") offiziell verscherzen zu wollen. Wenn man beabsichtigt, Oppositionelle wie evtl. auch potenzielle künftige Satellitenregimes einzuschüchtern und den Westen zu düpieren, wäre das ein "guter" Kompromiß.
Bei dem Plot, den Du skizzierst sind aber ein sehr lange Kette von Unwägbarkeiten nötig, dass er gelingt. Die müsste der zuständige "Dienst" zB FSB dann alle kontrollieren. Und das Ergebnis, dass man eine führenden Oppositionellen einschüchtert und ggf zur Aufgabe bringt und auch alle anderen ängstigt kann man leichter erreichen.
Tatsächlich wird Nawalny ja bereits sehr intensiv in seiner Arbeit eingeschränkt.
Und der Vorfall jetzt dürfte ihn nicht unpopulärer machen.
Davon ab find ich die Vorstellung, dass es Putin besonders wichtig sei, den Westen durch solche Anschläge zu provozieren, obwohl die ganzen Sanktionen Russland ja sehr schaden und die wirtschaftlichen Problem Putin schaden (seine Zustimmung hat wg der wirtschaftlichen Schwierigkeiten stark gelitten), eher schwierig nachzuvollziehen.
Das glaubt man nur wenn man auf dieses mE hollywoodeske Narrative des rachsüchtigen Putins der nichts vergibt und nichts vergisst für schlüssig hält und wenn man die Absichten und Methoden der div NATO-Staaten sehr schönfärbt.
Zu der Reihe an Events/Unwägbarkeiten die der FSB dann kontrollieren müsste, damit die angebliche Novichok-Vergiftung ans Licht kommt, dass Opfer aber überlebt, gehören:
- Opfer trinkt den bestellten Tee überhaupt.
- Dosierung ist so adäquat, dass Patient schnell stark erkrankt, aber nicht stirbt
- Pilot entschliesst sich zum Nothalt
- Klinik im zufälligen Landeort Omsk kann N. so stabilisieren dass er nicht stirbt, obwohl sie ihn nicht ggn NC behandeln.
Oder sie behandeln ihn ggn NC aber erzählen öffentlich was anderes. Das würde aber voraussetzen dass der Nothalt in Omsk geplant und koordiniert war und Ärzte und Personal alle mit dem FSB zusammenarbeiten - Westen mischt sich ein und will den Patienten zu sich holen
- Westen bringt das Geld auf, das zu tun
- N stirbt trotz Falsch-Behandlung nicht in Russland in den 2-3 Tagen bevor in der Charite "richtig" behandelt wird
- Charité findet Novichok auch nach 3 Tagen und macht dann alles mehr als "richtig"
- Nawalny gesundet vollständig
- Nawalny ist ab jetzt politisch zurückhaltend
Ist das alles realistisch so einen Plot zu stricken, wo das Opfer auch sterben kann?
Und was hat Russland davon?
NS-2 ist vermutlich kaputt. Nawalny ist völlig OK und wird ziemlich sicher weiter machen.
Und ist vermutlich populärer als vorher.
Davon profitiert Putin nicht.
Davon profitiert v.a der anti-russische Fraktion im Westen (also die ganze etablierte US-Politik, Reps&Dems gleichermassen), die Fracking-Hersteller der USA, die transatlantischen Seilschaften in Europa (Grüne, CDU, Atlantikbrücke, und lauter bunte NGOs).
Den Nachteil haben: Die russische Föderation und ihre Bürger, auf Kooperation bemühte Kräfte in Europa & Deutschland, einige deutsche/europäische Firmen.
Unterm Strich wirkt das alles nicht überzeugend. Find ich.
Opposition wird ja (nicht nur) in Russland bereits durchaus gegeängelt und unterdrückt, wozu brauchen die da so eine Show, die voll nach hinten geht.
Abgesehen davon gab's es vor 2 Jahren auch schon so einen recht ähnlichen Fall für alle Elemente der jetzigen Abfolge der Ereignisse bei Nawalny. Das war die angebliche Vergiftung des (in seiner politischen Wirkung ziemlich irrelevanten) Mitglieds Pjotr Wersilow von "PussyRiot", die ja v.a im Westen als wichtige politische Gruppe dargestellt werden, aber nicht in Russland.
Nachdem er in der Charite eingetroffen war, hat man aber nie wieder mehr was Greifbares von dem Fall und der angeblichen Vergiftung gehört. Die Substanz die man ihm verabreicht haben soll, wurde seitens der Charite nicht genannt. Er ist natürlich auch voll genesen. Als Anschlagsziel ist er ziemlich unwichtig.
Sprich das hat ein bisschen den Charakter eines Tests, was das Zusammenspiel zwischen russischer Opposition und v.a. der Charite und im Hintergrund sicher auch deutsche Regierungskreise angeht. Leider findet man in dem Fall schlecht raus, wer die Maschine bezahlt hat nach Deutschland und die Sache koordiniert , ob das evtl dieselbe NGO wie bei Nawalny ist ("Cinema for Peace") und der selbe Financieer, Boris Simin.