Zeitmaschine78 schrieb am 01.09.2021:Aber Frage , was ist der Ökosozialismus, die DDR hat den bestimmt nicht erfunden ?
Ökosozialismus ist ein post-kommunistisches Phänomen und eine direkte Reaktion auf die klimawissenschaftliche Faktenlage die seit den 1980ern etwa eindeutig genug war um auf ihrer Basis solche Überlegungen anzustellen.
Im Kern werden hier fehlende Nachhaltigkeit und soziale Ungleichheit als zwei Seiten der selben Medaille betrachtet.
Überkonsum, Umweltverschmutzung und Ausbeutung sind ein Aspekt, aber soziale Strukturen und vor allem die Machtstrukturen die sich in Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems bilden, sind ein anderer Aspekt, der dafür sorgt, dass sich an diesen Problemen nichts ändert, weil die Macht bei denen liegt die am meisten von den Zuständen profitieren.
Ich würde Ökosozialismus nicht zwangsläufig als Anti-Kapitalistisch beschreiben aber definitiv als Reformkapitalistisch.
Ökosozialismus ist nur deswegen ein Thema, weil der Kapitalismus beim Klimaschutz vollständig versagt. Ökosozialismus schaut warum der Kapitalismus bei diesem Thema so sehr versagt hat und welche Aspekte des Kapitalismus das Problem sind: Soziale Ungleichheit und die enorme politische Macht von Konzernen, die es ihnen erlaubt kurzfristige Profitinteressen Einzelner gegen das gesamtgesellschaftliche Interesse an einer lebenswerten Zukunft durchzusetzen.
Deswegen würde ein Ökosozialist sagen, dass effektiver Umweltschutz nur dann funktionieren kann, wenn Konzerne fair besteuert werden, wenn Lobbyismus und Korruption bekämpft werden und die ökonomischen Imperative des kurzfristigen Profits nicht der Maßstab unserer politischen Handlungen sind.
In den USA wurde Umweltschutz seit jeher als "Krypto-Kommunismus" bekämpft. Das Konzept der "Wassermelonen" kommt daher - aussen grün, innen rot. Inzwischen hört man sowas auch immer öfter in Deutschland von Union, AfD und teilweise auch FDP. Franz-Josef Strauss hat es damals auch schon gesagt. Ursprünglich kommt dieses "Argument" aber aus den PR-Abteilungen amerikanischer Ölkonzerne die so schon seit Jahrzehnten versuchen ihre fossilen Profite zu schützen indem sie Umweltschutz verhindern.
Tatsächlich würde ich aber sagen, dass der Ökosozialismus eine sehr schlanke Ideologie ist. Die meisten maßgeblichen Autoren schrieben kaum darüber wie Ökosozialismus auszusehen hat oder welche Ideologie zugrunde liegen sollten. Stattdessen beschränkte man sich auf zwei Dinge:
1. Was läuft schief im Kapitalismus? Was sind die pathologischen Elemente in diesem System die zu Problemen führen?
2. Die Grundvorraussetzung jedes Systems, vor aller Ideologie, sollte die Nachhaltigkeit sein. Wie gestaltet man bestehende Systeme nachhaltig, bzw. durch welche nachhaltigen Systeme kann man bestehende Systeme ersetzen. Das ist eher eine physikalisch-empirische Fragestellung als eine ideologische.
So gesehen könnte also auch nachhaltiger Kapitalismus in einer intakten Demokratie als Ökosozialismus bezeichnet werden.
Die Frage die sich da aktuell stellt ist ob Kapitalismus überhaupt nachhaltig sein kann.
Hier geht die Debatte dann weiter in zwei Richtungen: Degrowth und Decoupling.
Degrowth bedeutet, dass wir versuchen unser Wirtschaftssystem so zu ändern, dass es auch ohne ewiges Wachstum nachhaltig funktionieren kann.
Decoupling bedeutet, dass wir versuchen unser Wachstum von Emissionen zu entkoppeln.
Wer sich für die Debatte interessiert, die meiner Meinung nach eine der zentralen Richtungsdebatten des 21. Jahrhunderts ist, kann hier einen ganz guten Einstieg finden:
https://odi.org/en/insights/can-we-live-within-environmental-limits-and-still-reduce-poverty-degrowth-or-decoupling/Jason Hickel der London School Of Economics und Stéphane Hallegatte von der Weltbank debattieren hier beide Ansätze.
Hickel ist ein Degrowth Befürworter, Hallegatte argumentiert für Decoupling.
Ein wirkliches entweder/oder gibt es hier aber nicht.
Auch wenn gesamtwirtschaftliches Wachstum erhalten werden kann, wird es viele Sektoren geben, die aus verschiedensten Gründen wachstumsfreies Wirtschaften erlernen müssen. Bspw. Dienstleistungsfelder wie Pflege, Gesundheitswesen, Bildung, Nahrungsversorgung, öffentliche Infrastruktur. Die Qualität der Dienstleistungen und Produkte ist hier entscheidend, nicht ökonomische Wachstumsindikatoren.
Dass das so ist weiß man schon lange, deswegen waren diese Sektoren früher staatlich, bis man sie im neoliberalen Traumtanz privatisiert hat mit der Erwartung, dass die Qualität der Dienstleistungen zunehmen würde, wenn die Privatwirtschaft zusätzliche Gewinne aus dem Sektor extrahiert. Mit ganz wenigen Ausnahmen hat das überhaupt nicht funktioniert. Stattdessen wurde kritische Infrastruktur heruntergewirtschaftete und Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen(Gesundheitsversorgung, Bildung, Pflege) erschwert, während gleichzeitig die Leute die in diesen Bereichen tatsächlich arbeiteten praktisch stagnierende Lohnentwicklungen sahen, obwohl Konzerngewinne enorm wuchsen.*
Also selbst in einem Decoupling-Szenario müssten viele Wirtschaftssektoren trotzdem lernen damit umzugehen, nicht ewig zu wachsen.
Genauso ist es andersrum einem Degrowth-Szenario so, dass trotzdem praktisch jeder Sektor, auch wenn er nicht mehr wächst, seine bestehende Wirtschaftsleistung von Emissionen entkoppeln muss.
Ich denke was beide Ansätze gemeinsam haben ist eine scharfe Kritik an der Annahme, dass das bloße Profit-Motiv eine ausreichend informierte Perspektive ist um auf ihrer Basis verantwortungsvoll zu Wirtschaften und Politik zu machen.
Also nicht "Wenn jeder an sich selbst denkt ist an jeden gedacht", sondern "Wenn jeder an sich selbst denkt, geraten wir in hochkomplexe emergente Krisensituationen, die zu lösen uns kollektives, koordiniertes Handeln abverlangen würde, in einer Art und Weise die mit unseren bestehende Systemen, Praktiken und Institutionen nicht möglich ist."
*Kleiner Exkurs hier:
Im Neoliberalismus wurde argumentiert, dass Konzerne besser als der Staat investieren. Überlässt man ihnen also "mehr vom Kuchen" wird angenommen, dass dieses Geld reinvestiert wird und zu mehr und besserem Angebot und zu Innovation führt und gleichzeitig mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
Unterm Strich sollte das für alle besser sein.
Das war die Annahme, die Wirklich sieht ganz anders aus.
Die Optimierung hin auf Konzerngewinne hat zur Folge Lohndumping und eine Stagnation und sogar einen Rückgang von Netto-Investitionen.
Das ist die Folge von Policies wie Deregulierung, Steuersenkung und Privatisierung. Das ist die Entwicklung für die Union und FDP werben.
Wachsende Konzerngewinne, stagnierende Löhne, fehlende Investitionen und Innovationen und das ganze auch noch furchtbar umweltschädlich und alles andere als nachhaltig.
Die Kapitalakkumulation durch steigende Konzerngewinne wird in politischen Einfluss umgemünzt und ganz schnell hat ein System, dass sich selbst dient und nicht mehr der Bevölkerung.
Ich hoffe das macht deutlich warum Fragen des Klimaschutzes und des Wirtschaftssystems so eng verknüpft sind.
Die Wirtschaftswissenschaftlichen Thesen der 1980er Jahre, auf denen wir unser globales Finanzsystem aufgebaut haben zerbröseln im Lichte der empirischen Wirklichkeit.
Deswegen finde ich es so wichtig, dass in der nächsten Bundesregierung keine Partei beteiligt ist, die blind und dogmatisch an diesen falschen Thesen fest hält. Die Parteien, die das tun sind Union und FDP.