Obrien schrieb am 06.11.2017:Solche Fälle gelten als arm oder armutsgefährdet, dabei führt sie ein sehr gutes Leben. Hat also wirklich das Einkommen abgenommen oder die Ansprüche zugenommen? Ich glaube eher letzteres. Es reicht nicht mehr, satt zu sein, es warm zu haben und ein Dach übern Kopf, sich nur ab und zu einen kleinen Urlaub leisten zu können, gilt vielen schon als Zumutung.
Ich glaube, das liegt an der sehr heterogenen Gesellschaft und damit meine ich nicht nur die Schere arm vs reich.
Die Lebensmodelle insgesamt sind wesentlich vielfältiger geworden und man orientiert sich immer an den Sonnenseiten der jeweiligen Ausprägungen.
Ich kenne einige Leute mit wesentlich höheren Einkommen, für die ist das alles Kleinkram: Frisör, Handy, Urlaub, Lebensmittel, Essen gehen. Die arbeiten aber auch in sehr fordernden Positionen. Mal ein Wochenende durcharbeiten, Urlaub verschieben, mehr als 150 Übernachtungen im Hotel pro Jahr, 12h Arbeitstage, alle paar Jahre umziehen, usw.
Da ist auch so manche "Karrierefrau" darunter, die wohl keine Familie mehr gründen wird, obwohl das eigentlich so nicht geplant war.
Natürlich geht es diesen Leuten nicht schlecht, man muss sie nicht bedauern aber auch nicht bewundern. Es ist halt ein anderer Lebensentwurf bzw. Pfad, so richtig frei ist die Auswahl ja oft doch nicht. Letztendlich wandeln solche Leute Freizeit/Lebenszeit in Geld um, teilweise zu einem gar nicht so tollen Wechselkurs.
Dann gibt es natürlich noch die wirklich reichen Leute, von denen hat man früher nicht so viel mitbekommen. Heute kann man im TV oder Internet zusehen, was einige davon so den ganzen Tag machen.
Der Erzieherin gönne ich jeden Euro und grundsätzlich ist eine Aufwertung der sozialen Berufe sehr wichtig. Die Leistung und Belastung einer alleinerziehenden und berufstätigen Mutter ist wahnsinnig.
Aber trotzdem sollte man sich bewusst sein, in welchem Luxus wir bereits leben mit Netflix, Internet, Handy, Kosmetiker und Frisör, Klavierunterricht und Voltigierverein und Salsakurs.
Auch das andere Beispiel ist beachtlich
http://www.zeit.de/arbeit/2017-09/erzieherin-wohngruppe-jugendliche-gehaltsprotokollHobby&Freizeit: 210€ Bücher&Musik: 70€ Reisekosten: 230€ in Summe also 510€ für die angenehmen Dinge des Lebens.
Zu viert kauft die WG für 1.200€ Biolebensmittel (Ihr Anteil ist 300€)
Bio ist auf jeden Fall wichtig und richtig, aber da scheint mir der Fokus eher auf rechtsdrehenden Kombuchatee mit Lichtkristallen zu liegen statt auf Biogemüse der Saison und Region.
Ich bin bestimmt kein Kosumverächter, aber irgendwie war das vor 30 Jahren noch anders. Ein Telefonanschluss für 20 DM war schon verdammt teuer, es gab drei ÖR TV Programme (Kabelanschluss war vorhanden, aber zu teuer) Haare wurden in der Familie oft selbst geschnitten und in unserer Freizeit sind wir draußen rum gerannt. Ganz normal auch in der Nachbarschaft, obwohl beide Eltern berufstätig waren und mehr verdienten als in diesen Beispielen.
Irgendwie muss man auf der einen Seite natürlich die ungleiche Einkommensverteilung nach Möglichkeit verbessern, auf der anderen Seite weniger aufwendige Lebensentwürfe nicht als arm auffassen.