navi12.0 schrieb am 29.09.2020:Man kann hier auch etwas immaterielles annehmen, das durchaus plausibel diesem Problem begegnet. E-magnetische Wellen zB, die zwar nicht materiell sind, physikalisch aber dennoch greifbar...
Naja, das tangiert dann aber auch eh noch einmal ganz andere Problemkreise. Historisch ist der Materialismus ja aus dem Atomismus der Antike hervorgegangen und ging entsprechend von kleinsten Teilchen als Grundsubstanz bzw. "Urstoff" aus. Dass die Reduktion der Materie (bzw. stofflichen Wirklichkeit) auf eine "körnige Substanz" problematisch ist, wurde aber spätestens mit der Entdeckung der Wellennatur des Lichts (u.a. durch Huygens, glaube ich, während bspw. Newton noch die sog. Korpuskeltheorie vertrat), mit (quantenmechanischen) Phänomenen wie dem Teilchen-Welle-Dualismus, der Kopenhagener Deutung, moderneren Auffassungen von Teilchen als Felder oder von Wahrscheinlichkeitsfunktionen abhängigen Observablen und diversen weiteren Erkenntnissen klar, die den Materialismus längst obsolet gemacht haben. Von moderneren Auffassungen über Teilchen als Felder oder Wahrscheinlichkeitsfunktionen von Observablen ganz zu schweigen. Und im Prinzip gibt's hier zwei Ansätze: Entweder lehnt man den Materialismus ab (es gibt nicht nur Materie, sondern auch noch XYZ, bspw. Wellen, Felder...), oder man passt den Begriff der Materie den modernen Erkenntnissen an (Materie umfasst auch XYZ, bspw. Wellen, Felder...). Letzteres mündet insbesondere im sog. Physikalismus, hat nur mit dem klassischen Materialismus herzlich wenig zu tun und scheitert auch immer noch am Qualiaproblem...
Das aber nur am Rande.
Gerlind schrieb am 29.09.2020:Es wird da m.E. eine dualistische Sicht produziert, die nicht sein müsste.
Absolut! Ist aber auch schwierig, ein monistisches Weltbild plausibel, konsistent und im Einklang mit modernen Erkenntnissen zu formulieren. Hinzu kommt, dass wir der Wirklichkeit immer noch und in erster Linie eine Ding-Ontologie überzustülpen gewohnt sind, d.h. die Wirklichkeit in Dinge & Eigenschaften einteilen, nicht etwa nach
Prozessen - mir persönlich ist es zwar etwas zu harter Tobak, aber bspw. die Ansätze der Prozessphilosophie (u.a. Whitehead) klingen ja nicht ganz uninteressant und haben durchaus das Potential, unser Verständnis der Wirklichkeit komplett auf den Kopf zu stellen.
off-peak schrieb am 29.09.2020:Von Dogma kann doch wohl keine Rede sein.
Das kann man wohl auch nur stark hoffen.
off-peak schrieb am 29.09.2020:Und wenn Du schon für Deine Hypothese keine Gründe und Argumente hast, wie wäre es denn dann mal mit solche für Deine Zweifel?
Sicher. Diese Zweifel sind das Resultat ausführlicher Beschäftigung mit Naturwissenschaft, Naturphilosophie, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte.
Und weil dieser Begriff erst neulich in einer anderen Diskussion fiel: Neben der für die Philosophie durchaus typischen Haltung des
Staunens kommt insbesondere auch eine gewisse Form der
Demut vor den Mysterien der Natur bzw. Einsicht, dass wir Menschen keine allwissenden Götter sind und es ferner auch ziemlich vermessen wäre, zu glauben, dass wir ausgerechnet jetzt, im 21. Jhd., am Ende der Wissenschaftsgeschichte angelangt wären, wo so ziemlich sämtliche Rätsel der Natur gelüftet und die großen Menschheitsfragen bis auf wenige unbedeutende Lücken in unserem gegenwärtigen Weltbild geklärt seien, hinzu. Genau genommen wäre eine solche Haltung nicht nur vermessen, sondern sogar ziemlich arrogant und in etwa vergleichbar mit der Anmaßung, dass wir die "Krone der Schöpfung" seien.
FlamingO schrieb am 29.09.2020:...vielmehr gehen die Qualia bzw. das Ich-Gefühl aus dem Materiellen, dem Körperlichen hervor.
Ja, dieser Schluss liegt nahe - und das tat er ja auch schon in der Antike, ist insofern also alles andere als eine neue und überraschende Erkenntnis moderner Naturwissenschaft - aber dieser Schluss ist eben nicht zwingend. Dahinter steckt erst einmal nur eine Annahme, eine Ad-hoc-Hypothese, im Einklang mit dem unmittelbaren Augenschein (ähnlich wie seinerzeit das geozentrische Weltbild...), mehr allerdings nicht. Und wie trügerisch der unmittelbare Augenschein sein kann, braucht nach über 2000 Jahren der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte vermutlich nicht weiter ausgeführt werden.
:)FlamingO schrieb am 29.09.2020:Da existiert kein Bewusstsein, das unabhängig vom Gehirn ist und die Qualia registriert, sondern die Qualia sind die Wahrnehmung. Befindet sich das mit der Welt verbundene Gehirn in einem bestimmten sinnesorganischen Zustand, entstehen Qualia von selbst.
Puuh... wir drehen uns hier leider immer noch im Kreis... Bewusstsein, Qualia, Wahrnehmung, mentale Zustände... soweit ich es mitbekommen habe, sind wir bzgl. der genannten Phänomene ja immer noch beim generellen
Nachweis der Existenz, welcher meines Wissens aber noch nicht erbracht wurde. Es bleibt also dabei:
Noumenon schrieb am 28.09.2020:Aufbau und Funktionsweise des Gehirns sind ferner hinreichend bekannt und die Annahme zusätzlicher Entitäten wie "Bewusstsein" oder "mentaler Zustände" scheint genauso unnötig und nicht belegbar wie die Annahme einer vis vitalis.
Oder anders gefragt: An welcher Stelle genau muss ich so etwas wie "Schmerzempfinden" postulieren, um das Verhalten eines Organismus als Reaktion auf einen bestimmten Reiz erklären zu können, welches sich nicht ebenso auch durch rein mechanistische Reiz-Reaktionsketten erklären ließe? :ask:
Noumenon schrieb am 28.09.2020:Wieder behauptest du, dass im Gehirn etwas entsteht, dessen Existenz erst noch zu zeigen ist (hier: "Bewusstsein").