http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gerichtsmediziner-ed-winter-der-arzt-der-toten-stars-11694108.htmlGerichtsmediziner Ed Winter Der Arzt der toten Stars
24.03.2012 · Der Gerichtsmediziner Ed Winter aus Los Angeles ist berühmt, weil viele Berühmte auf seinem Tisch lagen - zum Beispiel Brittany Murphey, Michael Jackson und Whitney Houston.
Von Christiane Heil, Los Angeles
Bei der Frage nach seinem kompliziertesten Fall zögert Ed Winter nicht lange. „Das war Michael Jackson, weil die Ermittlungsergebnisse monatelang versiegelt waren. Es sollte nichts zu früh an die Öffentlichkeit gelangen, schon gar nicht Fotos.“ Als der „King of Pop“ im Sommer 2009 tot in seiner Villa in Bel-Air gefunden wurde, lieferte sich der stellvertretende Ermittlungschef der Gerichtsmedizin des Bezirks Los Angeles bei der Suche nach der Todesursache einen bizarren Wettlauf mit den Medien. Immer wieder trat der Ermittler vor das Backsteingebäude an der North Mission Road und ließ aus den Spekulationen der Journalisten und Paparazzi mit Fakten die Luft raus.
Mit seinen klaren Sätzen ist der 56 Jahre alte Gerichtsmediziner inzwischen Stammgast der Fernsehsender. Sobald Prominente wie Jackson, Brittany Murphy oder Whitney Houston unter ungeklärten Umständen sterben, sind die Kameras auf Winter gerichtet. Als der Ermittler am 11. Februar in das Beverly Hilton Hotel eilte, wo wenige Stunden zuvor Whitney Houstons lebloser Körper in der Badewanne entdeckt worden war, überraschten ihn die ersten Reporter schon in der Tiefgarage. Winter wurde mit Fragen zu der Todesursache, dem Grund für den Aufenthalt der Achtundvierzigjährigen in Beverly Hills und der anstehenden Obduktion bombardiert, bevor er auch nur einen Fuß in das Hotel gesetzt hatte.
Selbst einfache Statements können zu Spekulationen führen
Seit der Ermittler vor fast neun Jahren vom Polizeidienst zur Gerichtsmedizin wechselte, wehrt er Fragen mit dem Standardsatz ab, dass das Obduktionsergebnis in sechs bis acht Wochen veröffentlicht wird. „Die kalifornischen Gesetze sehen vor, dass wir Angaben zur Todesursache auf Anfrage bekanntgeben“, sagt Winter. „Dabei beschränken wir uns auf das Wesentliche, um keinen Anlass für Missverständnisse zu geben.“
Bei „celebrity cases“ können aber selbst einfache Statements zu blumigsten Auslegungen führen. Als etwa ein Kollege nach der Durchsuchung von Houstons Hotelsuite ein paar Tablettenröhrchen erwähnte, waren sofort Spekulationen über Suizid oder gar Mord im Umlauf. „Ein Ergebnis haben wir erst, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen sind“, sagte Winter dazu. Manchmal sind über die üblichen pathologischen, neurologischen und toxikologischen Untersuchungen hinaus Sonderermittlungen nötig. Als Fotos die Sängerin an ihrem letzten Abend scheinbar orientierungslos vor einer Bar zeigten, suchten die Gerichtsmediziner nach den vielen sie angeblich behandelnden Ärzten. Die Tatsache: „Sie war bei einem einzigen Arzt, nichts Ernstes.“
Oft genügt schon die Nähe zu einem Prominenten, um in Los Angeles posthum selbst zur „Berühmtheit“ zu werden. Als ein Hausgast des Schauspielers Ving Rhames im August 2007 mit Bisswunden tot im Vorgarten einer Villa im Stadtteil Brentwood entdeckt wurde, brachten amerikanische Internetportale und Klatschmagazine in Umlauf, Rhames’ Bullmastiffs hätten seinen „Freund“ totgebissen. Fünf Monate später teilte Winter mit, Rhames’ Besucher James Adams sei an Herzversagen gestorben: „Die Hundebisse waren nicht tödlich.“
Michael Jacksons Fall zeigt aber, dass die Spurensuche der Ermittler manchmal auch spektakulär werden kann. So öffneten Anfang August 2009 gleich mehrere Gerichtsmediziner auf dem Friedhof Forest Lawn Memorial Park bei Los Angeles noch einmal Jacksons gelben Sarg mit dem blauen Futter. Im Beisein von Jacksons Schwester La Toya wurden dem toten Sänger Haarproben entnommen. Als nach der toxikologischen Untersuchung das Narkosemittel Propofol entdeckt wurde, empfahl die Gerichtsmedizin der Staatsanwaltschaft, Jacksons Tod als Tötungsdelikt zu behandeln. Als Winter das Ergebnis im Februar vor der Presse bekanntgab, erhoben die Behörden noch am selben Tag Anklage gegen den früheren Hausarzt Jacksons, Conrad Murray.
Ed Winter sieht sich als Fürsprecher der Toten, aller Toten: „Für uns macht es keinen Unterschied, ob ein Star auf dem Tisch liegt oder ein Obdachloser.“ Im Bezirk von Los Angeles werden jedes Jahr fast 20 000 Personen obduziert. Winter hat Leichname in jedem Zustand gesehen. Der Anblick toter Kinder erschüttert ihn bis heute. „Ich sehe Kinder, die durch Vernachlässigung gestorben sind oder umgebracht wurden. Auch jugendliche Bandenmitglieder gehen mir unter die Haut“, sagt der Gerichtsmediziner, der auf Reisen durch die Vereinigten Staaten mit seinen drei Söhnen und ihren Töchtern versucht, die belastenden Bilder wieder aus dem Kopf zu kriegen.
„Medikamente gehören zu den Werkzeugen des Todes“
Zwei Jahre nach den Ermittlungen zum Tod der jungen Schauspielerin Brittany Murphy scheint dem bei seinen Kollegen als Stoiker geschätzten Winter auch dieser Fall nahezugehen. Die Zweiunddreißigjährige war wenige Tage vor Weihnachten 2009 in ihrer Villa in den Hollywood Hills zusammengebrochen. Nach langen Untersuchungen teilte Winter damals mit, dass Murphy an einer Lungenerkrankung in Kombination mit der Einnahme von Schmerzmitteln starb.
„Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Auswirkungen der erhöhten Konzentration von Medikamenten eine Rolle spielten, zumal ihr Körper sehr geschwächt war“, hieß es vorsichtig im Ermittlungsbericht. Zuvor hatte Winter Murphys Witwer, den Drehbuchautor Simon Monjack, und auch ihre Mutter Sharon Murphy mehrmals zu Hause aufgesucht. Obwohl die ausgemergelte Murphy vor ihrem Tod über Leibschmerzen und andere Beschwerden geklagt hatte, konnten die Ermittler keine Hinweise auf Arztbesuche finden.
Dass der Missbrauch von Medikamenten epidemisch geworden ist, sieht Winter fast jeden Tag. „In den Siebzigern starben die Leute an Kokain, LSD und Mushrooms. Heute gehören rezeptpflichtige Medikamente zu den Werkzeugen des Todes“, resümiert er in seiner typischen Trockenheit. „Wirklich sterben wollen aber die wenigsten, die sie nehmen.“
Lindsay Lohan musste in der Leichenhallte die Toilette putzen
Die Aufmerksamkeit, zu der prominente Tote der Gerichtsmedizin verhelfen, versucht Winter zur Aufklärung zu nutzen. Nachdem vor einigen Jahren gleich mehrere Kleinkinder innerhalb weniger Wochen tot in Swimmingpools und Badewannen gefunden worden waren, rief der Ermittler die kalifornischen Eltern zu mehr Umsicht auf.
Erzieherische Maßnahmen ergreift Winter seit einigen Monaten auch bei dem gestrauchelten früheren Kinderstar Lindsay Lohan. Als die nach dem Diebstahl einer Halskette zu Sozialstunden verurteilte Fünfundzwanzigjährige im Oktober mit 40 Minuten Verspätung zum Dienst in der Leichenhalle des Bezirks Los Angeles erschien (sie hätte dort die Toiletten putzen sollen), schickte der Ermittler sie wieder nach Hause. „Ich war nicht verärgert, aber es gibt Regeln, an die sich alle zu halten haben.“ Am nächsten Morgen erschien Lohan überpünktlich. „Sie hat sich seitdem sehr gut benommen. Wir hoffen, dass sie ihre Stunden wie vorgesehen bis zum Ende des Monats ableistet“, sagt Winter mit einem Lächeln, das eher nachsichtig als maliziös ist.
Amüsant für Winter sind gelegentliche Hilfsangebote von Hobbyforensikern und Fans. Neben Ferndiagnosen aus aller Welt erreichen ihn immer wieder Mails wie die eines osteuropäischen Jackson-Anhängers. „Wir sollten ihm ein Flugticket nach Los Angeles schicken, damit er uns bei der Obduktion helfen kann.“ Weniger unterhaltsam sind Drohbriefe, die Winter erhält, wenn die Fans die Todesursache ihres Idols nicht akzeptieren wollen. „Oft setzen dann Verschwörungstheorien ein, weil wir angeblich etwas verschleiert haben.“ Dagegen hilft nur Information, die Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse.