Der Abstract verweist auf die Literaturangabe 0,3% für unchanged Propofol im Urin, die Grafiken listen dann anhand von 5 Patienten mit (0,002 - 0,004%) ein Hundertstel dieses Wertes. Die Tabellen entsprechen nicht wissenschaftlichen Standards.
Das tun meine Milchmädchenrechnungen sicher auch nicht und mir ist das durchaus bewusst (Die Blutkonzentration auf die Blutmenge hochzurechnen zieht nicht in Betracht, daß sich Propofol in allen Geweben verteilt). Man muss sich aber fragen, woher die Abweichungen stammen, und ob hier durch die Vorführung selektiver Daten überrumpelt werden soll. Das tat Walgren schon durch die Vorführung von Alvarez, dessen Angaben schon im Vorfeld als mit denen der Rettungssanitäter im Widerspruch stehend auffielen. Warum tut Walgren das?
Wenn sich aus den Messergebnissen der Autopsie zweifelsfrei auf eine Überdosierung schliessen liesse (2000mg sind im hier zur Diskussion stehenden Zeitraum eine lethale Dosis), dann wäre das Verfahren völlig anders verlaufen und man bräuchte nicht Wochen für einen relativ niedrig angesetzten Tatvorwurf.
Ich habe nach anderen wissenschaftlichen Quellen gesucht, um in Erfahrung zu bringen, was es mit der Angabe 0,3% auf sich hat, nach der Murrays Angaben realistisch erscheinen, und dabei etwas ganz überraschendes gefunden, das diese Widersprüche aufklären könnte. Die Quelle ist seriös, über jeden Zweifel erhaben, und vor allem vollständig im Web einsehbar:
http://bja.oxfordjournals.org/content/101/2/207.fullHier ist zunächst eine Grafik, die den Verlauf der Blutkonzentration und der Sekretion über die Nieren im Kontext zur verabreichten Menge anzeigt:
Zitat:
"Fig 1
Time profiles of plasma concentration and renal excretion rate of propofol (solid dots) and its glucuronide metabolites after a dose of propofol (P) (1800 mg 150 min−1 infusion) in an example surgical subject."Um diese Grafik zu verstehen, muß man sich den Verlauf der Infusion aus dem Text heraus vorstellen. Es werden 1800mg über einen Zeitraum von 150 Minuten verabreicht, d. h. 12 mg pro Minute. Auf der Zeitskala kann man dem die Blutkonzentration zuordnen, und die Gesamtmenge Minute für Minute aufaddieren.
Geht man von Murrays 25 Milligramm aus, die er innerhalb von etwa 2-3 Minuten injiziert haben will, dann würde man bei etwa der dritten Minute auch ungefähr den Wert ablesen, den die Autopsie bestätigt. Dazu passt dann sogar die Urinkonzentration.
Die Frage wäre dann, was es mit den verschiedenen Angaben zur Ausscheidung unveränderten Propofols über die Nieren auf sich hat. Sind 0,3% realistisch oder doch 0,003%? Interessanterweise findet sich in der hier vorgestellten Arbeit der Hinweis auf einen (von zehn) Probanden, der sogar 12% über die Nieren ausgeschieden hat (in Worten zwölf, da fehlt kein Komma!).
Die hier vorgestellte Arbeit stammt aus dem Jahr 2008, während die im Prozess herangezogene Tabelle aus dem Jahr 2002 stammt. Noch eine Beispielrechnung aus dem Obduktionsbericht nach TMZ, zu dem der verantwortliche Facharzt erklärte, er nenne Werte am Rande der technischen Grenzen seines Labors, deren Gültigkeit er nicht gewährleisten könne:
Es werden 0,15 Mikrogramm (150ng) pro Milliliter ausgewiesen, und etwa (ich runde hier auf) 0,5 Liter Urin genannt. Das ergäbe etwa 70-80 Mikrogramm, also denjenigen Wert, von dem aus auf 2000mg Propofol geschlosssen wurde. Bei einer Ausscheidung von 0,003% entspräche das tatsächlich 2000mg, bei einer Ausscheidung von 0,3% aber nur 20mg. Ein Patient in der Studie von 2008 schied 12% aus. Bei ihm entsprächen 82,5ng etwa 0,6 Mikrogramm Propofol.
Bemerkenswert sind auch die Abweichungen in der Blutkonzentration der verschiedenen Arbeiten. In der von der Anklage (und wohl auch dem Pathologen) herangezogenen Arbeit wird die maximale Blutkonzentration mit 0,44 Mikrogramm pro Milliliter angegeben. Demgegenüber ist der in Jacksons Blut gemessene Mittelwert von rund 3 Mikrogramm als Indiz für eine lethale Überdosis zu verstehen. Die jüngere Arbeit hingegen nennt Blutkonzentrationen von bis zu 10 Mikrogramm, woraus man folgern kann, daß nur ein Drittel der typischen Narkosedosis verwendet wurde.
Für letzteres spricht letztlich auch die innerhalb von zehn Wochen laut dem Lieferanten verbrauchte Gesamtmenge, mit der man auf etwa 0,8mg/kg Körpergewicht/10 Minuten kommt.
Mein Fazit ist: Man hätte die Todesursache präziser abklären müssen, um zu vermeiden, daß aus diesen Widersprüchen bis in alle Ewigkeit Restzweifel genährt werden.