Nev82 schrieb:Aus deren Schilderung weiß ich, dass sowas durchaus möglich war
Tja, und wenn Du mich mal besuchen magst, dann zeige ich Dir einen ganzen Packen Papiere, die aus der Zeit stammen, als meine (im Westen lebende) Uroma ihren Bruder, der auf der Flucht aus Schlesien vermutlich umgekommen war (wir wissen es bis heute nicht), für tot erklären lassen wollte, damit sie alleine das Erbe der Mutter erhalten konnte. Da ist man auch 1946 nicht einfach aufs Gericht marschiert und hat gesagt: "Tja, also, der ist bestimmt von den Russen erschossen worden!" und hat ohne weiteres den Erbschein bekommen damit einem das Grundbuchamt die Felder und Wiesen überschreibt.
Und ich gehe mal davon aus, dass wir hier von einem Erbe im Westen reden. Wegen einem Rittergut im Kreis Bladupönen/Ostpreußen wird man wohl kaum 1947 seine Familie umgebracht haben um dann die Russen zu bitten, sie mögen einem doch das Gut zurückgeben.
schluesselbund schrieb:Aber ob das dann im Nachkriegs Deutschland auch immer von den Behörden überprüfbar war bezweifle ich.
Gehen wir mal von dem Fall meiner Familie aus (nur als Beispiel, weil ich die Unterlagen jetzt mal herausgekramt habe und es deshalb so wiedergeben kann): Der besagte Bruder, nennen wir ihn mal Willy W., Hochwürden, zuletzt in der Nähe von Breslau als Hausgeistlicher in einem Kloster, ist bei der Flucht der Nonnen aus besagtem Kloster dort zurückgeblieben weil er gehbehindert war und sich weiter um die Leute aus dem Dorf nahe dieses Klosters kümmern wollte, wo einige ältere Dorfbewohner geblieben waren.
1946, nach dem Tod seiner und ihrer Mutter, geht seine einzige Schwester, Maria F., geb. W., in K. am R. auf das Gericht und beantragt einen Erbschein. Ihr wird dann erklärt, dass sie Nachweise über den Verbleib ihres Bruder bringen muss, weil der ja auch erbberechtigt wäre.
Sie erklärt daraufhin, dass man seit Weihnachten 1944, als der letzte Brief kam, nichts mehr von ihm gehört hat, den Brief legt sie vor.
Darnn wird ihr erklärt, dass das nicht ausreicht, um anzunehmen, dass ihr Bruder tot ist. Er könnte ja doch noch geflohen sein oder irgendwo in einem russischen Lager sitzen. Sie wird aufgefordert, Zeugenaussagen zu bringen, wann und wo der Bruder denn zuletzt gesehen wurde, damit man entscheiden kann, was denn wahrscheinlich mit ihm passiert ist. Auch einen Suchantrag beim Roten Kreuz soll sie stellen (hatte sie bereits getan), damit vielleicht von dort ein Hinweis kommt.
Also geht Maria F., geb. W., wieder nach Hause und schreibt Briefe, damit sie mögliche Zeugen finden kann, die etwas darüber wissen, was denn wohl mit dem besagten Bruder passiert ist. Vom Roten Kreuz kommt die Meldung, dass man nirgendwo ihren Bruder registriert hat, weder in einem Lager noch als Zivilist, was passiert sein müsste, wenn er z. B. 1945 irgendwo im Westen aufgetaucht wäre und eine Wohnung oder Lebensmittelkarten beantragt hat (wir sind mittlerweile schon im Jahr 1947, und dass er seit 1945 in irgendeiner Ruine versteckt gelebt und sich von Trümmerstaub ernährt hat, erscheint wenig wahrscheinlich). Das Gericht bleibt weiter stur und verlangt Nachweise.
Mittlerweile hat Maria F. die Nonnen aus dem Kloster ausfindig gemacht (sind in Bayern gelandet und in einem anderen Kloster ihres Ordens untergekommen), und die Mutter Oberin schreibt einen ausführlichen Bericht des Inhalts, dass besagter Hochwürden W. bei der Flucht Anfang 1945 im Kloster geblieben war, dass man seitdem nichts mehr gehört hat usw. Leider weiß man aber nichts über das Schicksal der Dorfbewohner und des Klosters, denn hinfahren und nachschauen ist nicht möglich.
Auch das überzeugt das Gericht nicht, denn nur weil er Anfang 1945 noch dort war, muss er ja noch lange nicht tot sein.
Also gibt Maria F., geb. W. eine Anzeige in einer Zeitung für vertriebene Schlesier auf und fragt, ob jemand sich vielleicht daran erinnern kann, was in dem besagten Dorf nach der Flucht der Bewohner passiert sein könnte, speziell was denn wohl mit Hochwürden W. passiert sein mag.
Es melden sich auch ein paar Leute, die ihren Bruder gesehen haben, aber außer dass er bei der Abfahrt der Dorfbewohner noch dort gewesen ist, weiß niemand etwas. Die zurückgebliebenen Dorfbewohner sind allesamt wohl verschollen, eine Briefschreiberin sucht ihre Großmutter, die auch dort zurückgeblieben war. Ein ganzer Packen Briefe wird hin und her gewechselt, denn Maria F., geb. W. hat von den Leuten aus dem Dorf Hinweise auf andere Leute erhalten, die vielleicht etwas wissen könnten, die werden angeschrieben, manche antworten, andere aber nicht usw.
Über das Ganze ist man nun im Jahr 1948 angekommen, es gibt immer noch keine Nachricht von dem Bruder, das Rote Kreuz meldet auch keine Registrierung, weder in einem sowjetischen Lager noch irgendwo im Westen (und auch nicht in der SBZ). Das macht nun langsam Eindruck auf das Gericht, aber irgendwie will man dann doch noch mehr Nachweise, nicht dass Frau F., geb. W., ihren Bruder um das Erbe betrügt und er dann, wenn er plötzlich doch noch auftaucht, feststellen muss, dass seine Schwester alle Äcker und Wiesen der Eltern verkauft und das Geld alleine auf den Kopf gehauen hat.
Erst Anfang 1949 kommt dann ein neuer Zeuge aufs Tapet, der seiner Aussage nach als Angehöriger der Wehrmacht kurz vor dem Einmarsch der Sowjetarmee in besagtes Dort noch dort gewesen ist. Er gibt an, dass Hochwürden W. zu diesem Zeitpunkt bereits krank im Bett lag, da der Zeuge Arzt ist, glaubt man seiner Aussage, dass besagter W. ziemlich krank war, Herzschwäche, und dass unter den Bedingungen im Januar 45 wohl kaum damit zu rechnen sein dürfte, dass er noch lange überlebt hat. Damit, endlich, ist auch das Gericht überzeugt und erklärt Hochwürden W. für seinerseits verstorben, so dass nun endlich der Ausstellung eines Erbscheins an seine Schwester nichts mehr im Wege steht.
Also: Lange Rede, kurzer Sinn: Auch 1947 funktionierte die deutsche Bürokratie schon wieder so gut, dass man da nicht mal einfach irgendwo auftauchen konnte und fünf Minuten später das Erbe in der Hand hielt. Vor allem wenn es um ein Erbe im Westen ging, das ja in diesem Augenblick ganz real einen Wert hatte, im Gegensatz zum Rittergut in Ostpreußen.