claudiacardi schrieb:dass es in der Zeit nicht ungewöhnlich war, dass die nicht naturalistisch dargestellt waren, sondern dass man eher symbolische Bilder angefertigt hat,
Ja, die Darstellungsweise selbst ist nicht ungewöhnlich. Stutzig muss aber machen, dass Scharen von Experten sich nicht einig darüber sind, was es für Pflanzenarten sind und ob sie überhaupt existieren. Auch und gerade abstrahierte Darstellungen würden ja die wesentlichen Erkennungsmerkmale herausstellen.
claudiacardi schrieb:Außerdem fand ich noch interessant, dass gesagt wurde, dass die Anfertigung des Manuskripts mehrere Jahre gedauert haben dürfte -- stellt für mich die hoax-theorie auch wieder eher infrage.
Bei den aufwändigen Bilderhandschriften war das wirklich so, aber da geht es um die künstlerischen Spitzenleistungen (Stundenbuch des Herzogs von Berry usw.). Das Voynich-Manuskript ist dagegen nur flüchtig gezeichnet und auch die Schrift hat keinen kalligrafischen Anspruch, mich erinnert es darin ehrlich gesagt ein bisschen an unsere Schulhefte aus dem Sachkunde-Unterricht.
claudiacardi schrieb:Davon abgesehen haben mehrere expert:innen gesagt, dass man durchaus wegen der Verbreitung neuen Wissens der Ketzerei beschuldigt und verfolgt werden konnte. Es muss ja kein reines heilbuch gewesen sein, aber vielleicht die weltformel, Entstehung des Lebens o.ä. das nicht komplett mit dem damaligen christlichen Weltbild konform ging.
Pardon, aber da kommen wieder die Schauermärchen durch, dagegen ist leider auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht immun. Zumindest auf den Abbildungen ist nichts zu erkennen, was nicht auch in jeder Klosterbibliothek hätte stehen können. Zum Rest zitiere ich der Einfachheit halber mal:
Der in dieser Frage versierte Wissenschaftshistoriker Ronald Numbers stellt klar, dass die katholische Kirche keinen Wissenschaftler aufgrund seiner wissenschaftlichen Auffassungen auf den Scheiterhaufen gebracht hat: »No scientist, to our knowledge, ever lost his life because of his scientific views.« [...]
Kopernikus wurde jedoch nie verfolgt und auch Galilei, dem zwar von Seiten der Kirche mit der Verurteilung seiner Thesen Unrecht widerfahren ist, sah nie einen Kerker von innen, wurde nicht gefoltert oder gar auf dem Scheiterhaufen verbrannt, [...]
Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wird in der Literatur mit Nachdruck die vermeintliche Wissenschaftsfeindlichkeit des Mittelalters als Mythos entlarvt, wobei langsam eine breitere Öffentlichkeit die Unzulänglichkeit der These zu erkennen beginnt. [...]
Und zuletzt das Wichtigste:
Heute besteht unter den meisten Historikern darüber Konsens, dass das Christentum viele Intellektuelle des Mittelalters und der frühen Neuzeit dazu bewogen hatte, die Natur systematisch und empirisch zu erforschen. Durch die Vorstellung, dass die Natur nach christlicher Auffassung von Gott vernünftig geordnet worden und damit Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, entstand die Motivation, diese Gesetzmäßigkeiten zu entschlüsseln. Christen, ihr Glaube und ihre Institutionen spielten gemäß dem Historiker und Mitglied der Israeli Society for History & Philosophy of Science Noah Efron (ganz im Gegensatz zu den Schulbuchdarstellungen) eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der modernen Wissenschaft, wobei die Kirche ein ganzes Jahrtausend lang die Patronin der Naturphilosophie und der Wissenschaft war, indem sie theoretische Spekulationen, Experimente, Beobachtungen, Dokumentationen und Publikationen unterstützte. Die Geschichte der modernen Wissenschaft kann gemäß dem Tel Aviver Philosophen nicht ohne die Erwähnung der Bedeutung des Christentums erzählt werden. Der Oxforder Wissenschaftshistoriker John Heilbron wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die römisch-katholische Kirche in der Zeit der Spätantike bis zu Aufklärung mehr finanzielle und soziale Unterstützung für astronomische Studien leistete, als jede andere Institution und möglicherweise mehr als alle anderen Institutionen zusammen.
Quelle: Roland Bernhard, Geschichtsmythen über Hispanoamerika
https://www.gei.de/fileadmin/gei.de/pdf/publikationen/Schriftenreihe/fulltext/SRfulltext134.pdfAuch deshalb halte ich die Idee mit der Geheimhaltung gegen Verfolgung für unwahrscheinlich.
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@claudiacardi @Nemon Die Universität Köln hatte ein Voynich-Projekt. Dabei sind einige Videos entstanden, die sich mit verschiedenen Aspekten befassen, u. a. auch den Pflanzendarstellungen. Sie werden mit anderen Werken verglichen und die verschiedenen Theorien vorgestellt:
https://voynichsc.uni-koeln.de/pages/06-botanik/