Rao schrieb:on Elefanten und Menschenaffen ist das bekannt, daß sie frisch verstorbene Artgenossen "aufzuwecken" versuchen
Kein Ritual, sondern das normale Verhalten einem lebenden Artgenossen gegenüber - bis die Erkenntnis des Todes einsetzt.
Rao schrieb:Elefanten mit ihrem sprichwörtlichen Gedächtnis merken sich aber den Ort und noch Jahre später, wenn noch ein paar abgenagte Knochen vom früheren Herdenmitglied herumliegen (weil dicke Elefantenknochen sich nicht so schnell zersetzen), werden die Knochen bei jedem Vorbeizug der Herde begutachtet und getätschelt, von den Tieren die sich noch an das lebende Exemplar und seinen Tod erinnern können.
Hatte ich ja ebenfalls angesprochen. Aber auch hier würde ich nicht von einem Ritual sprechen. Klar kann man alles, was in seinem Handlungsablauf standardisiert ist, auch "ritualisiert" nennen. Dann aber sind alle typischen Handlungen, Verhaltensweisen udgl. Rituale.
Es geht ja darum, ob hier ein "Verhalten Toten gegenüber" entwickelt wurde. Und das wurde es nicht. Die Elefanten verhalten sich den Toten gegenüber nicht "spezifisch". Sondern sie verhalten sich dem Toten gegenüber entweder wie einem Lebenden, den sie so begrüßen, oder wie einer Sache gegenüber, die sie wiedererkennen. Es ist zwar beeindruckend und eine enorme Verstandesleistung, daß Elefanten hier einen Toten wiedererkennen und mit ihm quasi "interagieren", obwohl sie ja wissen, daß dieser tot ist. Das ist wirklich herausragend. Doch dieses ihr Interagieren ist noch eine völlig normale Verhaltensweise Artgenossen bzw. bekannten Objekten gegenüber. Das ist vergleichbar dem Akt, einem Toten die Haarsträhne aus der Stirn zu wischen; etwas, das eine Mutter bei ihrem Kind ebenfalls zu tun pflegt; in der Regel ohne darüber nachzudenken. Automatisch, unreflektiert.
Eine Beerdigung ist aber kein solcher "gewöhnlicher" Umgang mit einem Artgenossen, oder mit einem Objekt. Auch kein normaler Umgang mit allmählich müffelndem Essensabfall, der schon die Aasfresser anlockt. Eine Beerdigung ist eine sehr spezifische Aktion, die nicht aus normalem Verhalten Artgenossen, oder Objekten gegenüber besteht und nun einfach am Totern genauso ausgeführt wird wie sonst bei den anderen Personen oder Sachen. Beerdigung ist eine eigens für einen toten Artgenossen entwickelte Aktion. In diesem Sinne ein Ritual.
Und damit nicht mit dem Umgang von Elefanten mit deren Toten vergleichbar. So beeindruckend und über das "normal Tierische" hinausgehend das bei den Elefanten auch ist.
Rao schrieb:Daß irgendwann die Urmenschen damit begannen, ihre eigenen Toten irgendwo zu "verstecken", damit keine Raubtiere an den Leichnam herankamen, ist so gesehen kein allzu großer Kultursprung
Noch heute lassen manche Naturvölker ihre Toten schlicht liegen, in Ozeanien etwa, oder auf Neuguinea die Fayu. Auch die Parsen im Iran beerdigen nicht, sondern bahren ihre Toten extra auf, damit deren Fleisch von Aasvögeln gefressen wird. Auch unter Indianern gibt es Gruppen, bei denen die Toten auf Bäume oder Gestelle gelegt werden, oder die Alten gehen schlicht fort von der Gemeinschaft, in die Wildnis, um dort zu sterben. Auch da gibt es keine Beerdigung.
Wir heutigen sind nun mal von unserer Kultur geprägt, uns erscheint es als eine Art Selbstverständlichkeit, sich um den Leichnam eines Nahestehenden zu kümmern. Daß er nicht rumliegt, daß er nicht stinkt, daß sein Verfall nicht mit angesehen werden muß, daß keine Tiere an ihm nagen etc. p.p. Aber das ist nicht die Voraussetzung für ein Beerdigen, sondern das ist die Folge von Beerdigung, daß wir so denken. Ich weiß ja, daß das schwer nachzuvollziehen ist, weil wir unser Empfinden (z.B. bzgl. des Umgangs mit Toten) als "normal" empfinden und denken, das steckt so schon grundsätzlich im Menschen, also wird so auch das Beerdigen entstanden sein, es erscheint ja so logisch. Nee, die Fakten zeigen, daß diese unsere Beweggründe, einen toten Nahestehen so zu behandeln (Schützen, verstecken...) etwas kulturspezifisches ist. Andere Kulturen machens anders, eben so, wie sie geprägt sind, was für sie "normal" ist. Einzig Kulturen wie z.B. die Fayo könnten eine kulturell unabhängige Praxis des Umgangs mit den Toten haben, weil deren Umgang praktisch der selbe ist wie der Umgang unserer tierischen Vorfahren: liegen lassen. Vielleicht noch mal dran vorbeigehen und gedenken, wie die Elefanten, aber sonst nix.
Der Akt der Beerdigung kann so nicht erklärt werden, nicht mit unserem heutigen Empfinden, eben weil dieses das Ergebnis unserer Kultur ist, nicht deren Ursache. Auch all die rationalen Gründe wie das Vermeiden von Gestank, Unansehnlichkeit, Gesundheitsgefährdung, Aasfressern etc. greifen nicht, da wir wissen, daß die Frühmenschen sich auch sonst nicht um solche Sachen geschert haben.
Man macht sich echt keine Vorstellung davon, was für eine kulturelle Leistung das ist, auf die Beerdigung zu kommen. Ist aber so. Es ist ein gewaltiger "Kultursprung".