Wie fühlt sich älter werden an?
12.12.2019 um 18:05
Man merkt es in vielen Dingen. Bei mir steht auch der 30er an in Kürze. Auf der einen Seite denke ich manchmal zurück an Kindheit und Jugend, und es kommt vor dass, ausgelöst durch verschiedene Ereignisse, es wieder greifbar ist und Erinnerungen zurückkehren die sich "nah" anfühlen. Ereignisse die besonders waren, der erste Schultag, die erste Kopulation, später dann der erste Arbeitstag in der Lehre. Mit 20 kam das erste Kind, all diese Erinnerungen sind, als wäre es gestern passiert. Und dann merkt man nach und nach wie lange es eigentlich her ist, in Wahrheit vergeht die Zeit gefühlt viel schneller, je älter man wird. Das Kind bald 10 Jahre, die ehemaligen Kollegen die man im ersten Job hatte sind schon ganz grau, teils pensioniert, die Großeltern sind tot, und der Großteil der ehemals besten Freunde mit denen man die Kindheit verbracht hat, ist seit Jahren völlig verschwunden und man erinnert sich kaum noch an die Namen.
Weitere Dinge die mir auffallen (da mich Zeit und Vergänglichkeit allgemein sehr faszinieren) sind zB der Blick auf andere Menschen. Als ich in der Jugend war, haben wir Sido gehört, oder italienische Discomusik. LAN-Parties (ja, mit Kabel!) gemacht, YouTube war noch ganz neu, Netzwerke wie Facebook und später Instagram kamen sowieso erst im Erwachsenenalter. Heute mach ich das Internet auf, sehe Influencer, eSportler, allgemein einfach Leute wo ich mir denke das gibt es nicht, die haben nie im Leben gearbeitet oder etwas geleistet, können nichts, wissen auch nicht wirklich was aber damit erzielen sie ein hohes Einkommen und die 12-jährigen Fangirls fallen in Ohnmacht wenn sie ihnen auf der Straße begegnen, so wie sie in meiner Kindheit gekreischt haben als sie beim Backstreet Boys Konzert in der ersten Reihe standen (was ich aber genauso schwachsinnig finde). Als ich ein Kind war wollte ich erst Dolmetscher werden, dann Fußball-Kommentator, dann Hotelier, dann einfach irgendwas wo man im Ausland viel unterwegs ist und am Ende wurde eh aus allem nichts weil mit 16,17 liegen die Prioritäten klar bei Alkohol, Frauen und Playstation. Meine Tochter sagt sie will einmal YouTube-Star werden, als ich sie fragte. Musste mir die Antwort verkneifen. Es gibt Dinge die verstehe ich wohl nicht, will ich auch nicht verstehen, ich verstehe nicht was toll dran ist wenn irgendeine Arbeitslose ihren 2 Millionen Abonnenten oder Followern erklärt "Ich bin Lifestyle Influencerin und viele von euch haben mich gefragt welche Hautcreme ich verwende" weil mir mit knapp 30 eben einleuchtet dass das ein Werbedeal mit irgendeinem Kosmetik-Hersteller ist der die Reichweite erkennt und ensprechend dafür bezahlt, aber gut - ich bin wohl einfach zu alt dafür und die Diskussion darüber mit der Tochter erspare ich mir weil beim zu erwartenden "Ok Boomer" als Antwort würde mir wohl mein erstes graues Haar wachsen.
Es gibt auch einfachere Dinge. Bis vor ein paar Jahren habe ich auf der Straße im Vorbeigehen ausschließlich jungen Damen, so von 18-25 hinterher geguckt. Langsam merke ich wie ich auch schon 40-Jährigen hinterherschaue. Und ich denke mir das schönste am 30 sein ist, du kannst sowohl mit einer 40-jährigen Mutter als auch mit ihrer 20-jährigen Tochter etwas anfangen und beides wäre nicht verwerflich oder unnormal. Jedes Alter hat seine Vor- und Nachteile, man muss also nicht verzweifeln weil man "alt" wird - man kann es sowieso nicht aufhalten. Ich spreche dann gern mit Kollegen und Bekannten die nochmal viel älter sind als ich und da bestätigt sich das. Der eine sagt er wird jetzt 50, es ist eben so. Der einzige Weg, nicht 50 zu werden ist schon vorher ins Gras zu beißen und soll das wirklich die bessere Alternative sein? Eine nette Kollegin von mir ist 62. Man merkt dass die 45 Arbeitsjahre schon an ihr zehren und viele Dinge fallen ihr nicht mehr so leicht wie noch vor 10 Jahren, sagt sie. Aber auch in ihrem Alter gibt es Vorteile, sie zählt schon die Tage bis zur Pension und wird dann 4x im Jahr nach Italien und Kroatien an den Strand fahren sagt sie, weil die Kinder sind schon lange groß, Arbeiten muss sie nicht mehr, also wird sie nochmal alles raushauen auf ihre letzten 20,30 Jahre.
Bewusst wird es einem durch gewisse Ereignisse. Bei mir zB die Zeit von 1998-2000 ungefähr. Mein Lieblings-Fußballklub war damals in der Champions League, war dort Gruppensieger, es war eine goldene Zeit und ich hab sie live vorm TV und im Stadion miterlebt, solche Erfolge gab es davor und danach nie wieder. Weniger positiv aber genau so einprägend zB 9/11, damals war ich 11 und saß vorm Fernseher und konnte es nicht glauben. Heute denke ich mir Junge, das ist solange her. Es gibt jetzt Menschen, die wurden 2003 geboren, lange nach alldem, aber dürfen trotzdem schon Moped fahren und Bier saufen. Da wird es mir wieder bewusst. Auch durch Kleinigkeiten, wenn ein Familien-Essen oder dergleichen stattfindet. So ab 20-25 wird man von den älteren, also Onkeln etc. ernst genommen. Davor hat man einfach immer von jedem einen 10er bekommen und damit hatte es sich.
Aber um diesen elendslangen nichtssagenden Post auf eine Message zusammenzufassen: Es gibt keinen Grund, negative Gefühle ob des eigenen Alters oder Älter werdens zu bekommen. Alles hat Vor- und Nachteile, man muss eben das Beste draus machen.