Abschaum der modernen Arbeitswelt
26.12.2011 um 19:47
Zeitarbeit: Mindest(mini)lohn vereinbart
Wie IG Metall und ver.di ihre Chancen nicht nutzten und niedrige Leiharbeitstarife möglich machten / Hintergründe, Kritik und Rückschau der DGB-Leiharbeitspolitik
Er wird also kommen: ein „neuer“ Mindestlohn für die ca. 900 000 ZeitarbeiterInnen. Dies hat der Tarifausschuss beim Bundesministerium für Arbeit beschlossen und das Bundeskabinett in seiner letzten Sitzung des Jahres 2011 abgesegnet. Somit wird nach Baugewerbe und wenigen anderen Branchen ein weiterer Tarif nach dem Entsendegesetz als Mindestlohn definiert.
7,89 Euro im Westen und 7,01 Euro Brutto pro Stunde in den neuen Bundesländern sind wahrlich kein Anlass zum Jubel. Jedenfalls nicht für die Lohnarbeiter_innen. Allenfalls das Kapital kann sich freuen, sind doch damit bis Ende 2013 Niedriglöhne garantiert. Hartz-IV-Ergänzung ist möglich.
Unverständlich ist daher die Reaktion des DGB Bundesvorstandsmitglieds Matecki, der in einer Pressemitteilung vom 9.12.2011 verlauten liess: „Damit haben die DGB Gewerkschaften zusammen mit den beiden Arbeitgeberverbänden iGZ und BAP ein wichtiges Etappenziel zugunsten der Beschäftigten der Branche erreicht: eine flächendeckende Lohnuntergrenze in der Leiharbeit“.
Diese Aussage ist pure Augenwischerei.
Nach geltendem Recht sind für alle LeiharbeiterInnen Tarife anzuwenden. Dies regelt § 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Würde demnach eine Leiharbeitsfirma jemanden einstellen und keinen Tarifvertrag zur Anwendung bringen, hätte dieser Mensch einen Anspruch auf „Equal Pay“, d.h. einen Lohn in der Höhe wie er auch in dem Betrieb seines Arbeitseinsatzes gezahlt wird. Ohne Anwendung eines Zeitarbeitstarifs müsste folglich die LeiharbeiterIn die gleichen ca. 20 Euro pro Strunde bekommen, die etwa in einem Automobilkonzern am Band gezahlt werden. Erst durch die Anwendung der Tarife in der Zeitarbeitsbranche ist die Senkung auf Löhne in einer Höhe von 7,89 Euro in der untersten Lohngruppe möglich.
Vergleicht man jetzt die geltenden Tarife der Leiharbeitsbranche, so sind diese Mindestlöhne von 7,89 Euro jetzt schon festgelegt. Dies gilt sowohl für die Tarifverträge des DGB mit den beiden großen Arbeitgeberverbänden in der Zeitarbeit, iGZ und BAP als auch den Tarif des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGZP) mit dem BAP.
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Hintergrund I
Europaweit gilt für die Zeitarbeit das Prinzip Equal Pay – gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Die dazu 2002 verabschiedete Richtlinie der EU-Kommission sieht vor, dass für alle ZeitarbeiterInnen ab 2004 der gleiche Lohn und andere Regelungen wie Urlaub etc. gelten müssen, wie sie für die KollegInnen in den Betrieben gelten, in denen ZeitarbeiterInnen zum Einsatz kommen.
Kanzler Schröder ersparte 2002 den deutschen Zeitarbeitsfirmen und damit auch den Entleihbetrieben diesen „Wucherlohn“, indem das Arbeitnehmerüber-lassungsgesetz geändert wurde. Mit der Öffnungsklausel – wenn ein Tarifvertrag gilt, kann vom Prinzip des gleichen Lohns „Equal Pay“ abgewichen werden. Somit erhalten ZeitarbeiterInnen heute zwischen 30 und 40 Prozent weniger Lohn als KollegInnen mit vergleichbaren Tätigkeiten in den Entleihbetrieben. Gleichzeitig ist jedoch für ZeitarbeiterInnen immer ein Tarifvertrag per Arbeitsvertrag anzuwenden. Die unterste Lohngruppe der Zeitarbeitstarife ist damit faktisch zugleich der Mindestlohn in der Branche.
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In Frankreich ist das Prinzip des „Equal Pay“ durchgesetzt. LeiharbeiterInnen erhalten in Frankreich einen „Prekariatszuschlag“ von 10 Prozent über den üblichen Lohn im Einsatzbetrieb hinaus, da sie gezwungen sind ihren Arbeitsplatz häufig zu wechseln.
Einstiegslöhne – Lohngruppe I nach geltenden Tarifverträgen (1.11.2011)
BAP / DGB West 7,89
BAP / DGB Ost 7,01
AMP/ BAP / Chr. /CGZP West 7,89
AMP / BAP / Chr. / CGZP Ost 7,01
IGZ / DGB West 7,89
IGZ / DGB Ost 7,01
Darüber hinaus vereinbarten AMP und Christen (CGZP) Anfang 2010 für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie einen Zuschlag von 40 Cent pro Stunde.
Die Aufnahme der Mindestlöhne ins Entsendegesetz verbessert lediglich die Löhne in einigen Betrieben mit einem Haustarif des CGZP.
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Hintergrund II
Bundesweit gab es bis 2010 drei Arbeitgeberverbände in der Zeitarbeitsbranche. Der Bundesverband Zeitarbeit (BZA – 2000 Mitgliedsunternehmen) – ihm gehören die Großen der Branche, wie Randstad, Adecco, Manpower und USG People an – und die Interessengemeinschaft Zeitarbeit (IGZ – 1600 Mitgliedsunternehmen) schlossen Tarifverträge mit dem DGB und der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP – 1100 Mitglieder) mit den Christlichen Gewerkschaften ab.
Im Frühjahr 2011 haben BZA und AMP eine Fusion beschlossen. Der neue Arbeitgeberverband heisst jetzt BAP ( Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister) Der BAP hat jetzt zwei Tarifkommissionen, die eine verhandelt mit dem DGB die ehemaligen BZA Tarife und die zweite Tarifkommisson mit den christlichen Gewerkschaften (CGZP) für den ehemaligen AMP Bereich.
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Ein „historischer“ Rückblick
Nachdem die EU Kommission 2002 das europäische Kapital mit einer EU-Richtlinie zum „Equal Pay“ mit höheren Lohnkosten für ZeitarbeiterInnen bedroht hat, ist vor allem der Staatsapparat des Standorts Deutschland aktiv geworden, um diese Bedrohung abzuwenden. Mit der Öffnungsmöglichkeit das „Equal Pay“ Prinzip durch Tarifverträge zu unterlaufen, mussten jedoch auch Gewerkschaften gefunden werden, die solche Billigtarife abschliessen würden. Hätte sich keine Gewerkschaft zu einem solchen Tarifabschluss bereit gefunden, kämen folglich, die zumeist besseren Tarife in den Entleihbetrieben zur Anwendung.
Seitens des DGB wird heute oft eingewendet, er sei zum Abschluss genötigt worden, weil, bereits im Frühsommer 2003 einige Arbeitgeberverbände mit den christlichen Gewerkschaften Billigtarife abgeschlossen haben. Diese Aussage ist jedoch deutlich weniger als die halbe Wahrheit. Richtig ist, dass sich die christlichen Gewerkschaften im Frühjahr 2003 damit gerühmt haben, die ersten Tarife für die Zeitarbeit abgeschlossen zu haben, allerdings nur mit einem Miniaturarbeitgeberverband in Nordbayern.
Der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement hat seinerseits bereits 2002 bei den DGB Gewerkschaft die Bereitschaft zum Abschluss von Niedrigtarifen eingeworben. Auf dem Symposium des Branchenriesen Adecco zum Thema “Flexibilität am Arbeitsmarkt” am 27. November 2002 ließ er die anwesenden Chefs der Zeitarbeitsbranche wissen:
“Die künftigen Tarifpartner, namentlich die Spitzen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften, haben mir (Clement) zugesagt, dass sie bereit sind, solche Tarifverträge auch tatsächlich abzuschließen.. ” Clement hielt dort auch Abschlüsse über Tarifhöhen von 80 Prozent, möglicherweise noch tiefer, für erreichbar.
Er warb damit bei den Zeitarbeitsbossen für die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit den DGB Gewerkschaften.
Hier deutete sich also lange vor dem Abschluss von Tarifverträgen der Christen die Bereitschaft des DGB an, selbst Dumpinglöhne für die Zeitarbeit zu vereinbaren. Die Ausrede, man habe erst nach Abschluss der Christen abgeschlossen, ist ein plumpe Zwecklüge.
Im Dezember 2010 hat das Bundesarbeitsgericht den christlichen Gewerkschaften (CGZP) die Tariffähigkeit abgesprochen. Damit sind die von Ihnen abgeschlossenen Tarife rechtlich hinfällig. Ergo gilt für die im Bereich des ehemaligen AMP beschäftigten KollegInnen das Prinzip „Qual Pay“. In zahlreichen Fällen haben KollegInnen von Ihrem Klagerecht Gebrauch gemacht und für die Vergangenheit höhere Löhne eingeklagt. Dies ist nach der Ausschlussfrist im Bürgerlichen Gesetzbuch rückwirkend für zwei Jahre möglich.
In dieser Situation wäre es für den DGB Ende 2009/ Anfang 2010 möglich gewesen, seine eigenen Tarife nicht zu verlängern und somit das „Equal Pay“ Prinzip faktisch durchzusetzen. Dies hat der DGB jedoch nicht getan und im März 2010 Zeitarbeitstarife mit einer Laufzeit von fast 4 Jahren, bis Ende 2013, abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu den Tarifen des christlichen Gewerkschaftsbundes absehbar, denn die vorherigen Instanzen, Arbeitsgericht Berlin (April 2009) und das Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg (6.12.2009) hatten den christlichen Gewerkschaften bereits die Tariffähigkeit abgesprochen.
Gleiche Mindestlöhne seit 2010
Im Frühjahr 2010 haben sowohl die mit dem DGB, als auch mit den christlichen Gewerkschaften (CGZP) verhandelnden Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit, die Aufnahme der Zeitarbeitsmindestlöhne ins Entsendegesetz vereinbart.
Sowohl die christlichen Gewerkschaften (CGZP) als auch der DGB haben damals einen Mindestlohn / untere Lohngruppe von 7,60 Euro in den alten Bundesländern abgeschlossen. Die jeweils höchste Lohngruppe war ebenfalls auf den Cent gleich.
Nun soll keineswegs die Behauptung aufgestellt werden, der Christliche Gewerkschaftsbund habe tapfer gekämpft. Die von Ihm gegengezeichneten Tarife und Manteltarifelemente sind ihm faktisch in den Schoss gefallen.
Die Vereinbarung auf einen Mindestlohn und seine geplante Übernahme in das Entsendegesetz, sind ein Schutz vor der ab 2011 möglichen Konkurrenz aus den neuen EU Ländern. Beide Regelungen liegen im ureigensten Interesse der in den Unternehmerverbänden der Zeitarbeitsbranche vertretenen Unternehmen.
Dass der DGB und seine Großgewerkschaften, IG Metall und ver.di, diese „Notsituation“ der Zeitarbeitsbranche nicht ausgenutzt haben, ist ihnen zum Vorwurf zu machen. Sie hätten über ihre reale Macht in den Entleihbetrieben hinaus auch Aktionen organisieren können.
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Hintergrund III
Ab 1.Mai 2011 gilt in der EU die volle Freizügigkeit für Dienstleistungen und Arbeitnehmer. Damit könnten Verleihfirmen, z.B. aus Ländern mit niedrigen Löhnen, in deutsche Unternehmen verleihen und KollegInnen aus diesen Ländern mit Hungerlöhnen von 5-6 Euro pro Stunde abspeisen. Damit wären sie für hiesige Zeitarbeitsfirmen zu einer bedrohliche Konkurrenz geworden. Nicht zuletzt deshalb, haben sich die hiesigen Zeitarbeitsunternehmen dafür stark gemacht, ihre Tarife in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen zu lassen. Denn damit wären auch Zeitarbeitsfirmen aus anderen, vor allem Osteuropäischen Ländern gezwungen, „ihre“ ZeitarbeiterInnen nach den in Deutschland gültigen Mindesttarifen zu bezahlen und der Dumpingvorteil (ohne Aufnahme ins Entsendegesetz) wäre hinfällig.
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An zwei wichtigen Schnittstellen hat die DGB Tarifgemeinschaft für die Zeitarbeit real vorhandene Möglichkeiten nicht genutzt die Billigtarife in der Zeitarbeit zu verhindern: Beim Abschluss der Tarife im Sommer 2003 und bei der Fortsetzung der ausgelaufenen Tarife 2009 /Frühjahr 2010.
Dazu eine Einschätzung des Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler vom 21.Dezember 2010 – Zitiert nach Junge Welt:
Frage: Werden jetzt nicht die von der DGB-Tarifgemeinschaft abgeschlossenen Tarife zum Problem, die Mindestlöhne von 7,01 und 7,50 Euro im Osten sowie 7,89 und 8,19 Euro im Westen vorsehen?
Däubler: “Ja, denn ihre Existenz verhindert, daß der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verankerte Equal-Pay-Grundsatz überall zum Tragen kommt. Ich habe schon früher Tarifabschlüsse für einen großen Fehler gehalten. Man hätte sich 2004 verweigern können. Dann hätte es nur die CGZP-Dumpingtarife gegeben. Schon damals hätte man in einem gerichtlichen Verfahren die Tarifunfähigkeit der CGZP feststellen lassen können. Schätzungsweise 2007 wäre der Equal-Pay-Grundsatz dann wirksam geworden. Hinter dem Vorgehen der DGB Gewerkschaften steckte wohl die Vorstellung, durch die Ausweitung der Randbelegschaften die Stammbelegschaften schützen zu können.
DGB / IG Metall / ver.di als Steigbügelhalter für Kapitalprofite
Schon im Jahre 2002, bei Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und dem Unterlaufen des Prinzips – gleicher Lohn für gleiche Arbeit – hörte man von den DGB Gewerkschaften nur einen leisen Lufthauch von Kritik am Gebaren „ihres“ SPD Genossen, Kanzler Schröder. Schließlich saßen auch schon zwei ranghohe DGB Gewerkschafter in der Hartz-Kommission, die Lohn- und Sozialabbau sowie die Ausweitung der Leiharbeit inhaltlich vorbereitete. Seither haben die DGB Gewerkschaften maßgeblich den Abbau von Lohnstandards, insbesondere den Ausbau des Niedriglohnsektors unterstützt. Nicht verbal – da haben die Gewerkschaftsführungen heftig gewettert. Unterstützt haben sie den Lohnabbau durch Nichtstun.
Von 1998 bis 2008 sind die Reallöhne im Niedriglohnbereich um 17 Prozent gesunken. Der Anteil der Löhne und Sozialleistungen am Volkseinkommen ist von 72 Prozent im Jahre 2000 auf 61 Prozent im Jahre 2008 gesunken. Dementsprechend stieg der Anteil aus Unternehmens – und Zinseinkünften von 28 auf 39 Prozent.
Die Aufnahme von Zeitarbeitslöhnen in die Tarifverhandlungen der Metallindustrie durch die IG Metall ist sicherlich zu begrüssen, so wurde für die 4500 ZeitarbeiterInnen der Stahlindustrie die Zahlung von Tariflöhnen im Stahlbereich vereinbart. Dies hilft jedoch nur einem kleinen auserlesenen Kreis von ZeitarbeiterInnen. Die große Masse ist hiervon nicht positiv betroffen.
Die DGB-Gewerkschaften haben mit ihrem Agieren die niedrigen Zeitarbeitstarife erst möglich gemacht und damit dem deutschen Kapital zu einem enormen Standort- und Konkurrenzvorteil verholfen.
IWW – Bremen