Liebe und solche Sachen
15.10.2011 um 11:03Als ich mich heute, wie üblich, durch die Feuilletions der Tagespresse klickte, las ich folgende Rezension des Buches "Warum Liebe weh tut-Eine soziologische Erklärung" von Eva Illouz, Suhrkamp, Berlin 2011 .
Interessantes Thema, fand ich, schließlich betrifft das ja jeden von uns, mal mehr, mal weniger und war dennoch sehr erstaunt, wie sehr selbst eine Professorin es schafft, aus korrekten Beobachtungen, völlig unlogische Schlüsse zu ziehen, oder lag es lediglich am Unvermögen der Rezensentin? Was meint Ihr?
Liebe und solche Sachen
Eva Illouz blickt uns ins Herz und entdeckt darin so manches Schmerzliche. Ihre Analyse ist gnadenlos, die Aussichten sind mau.
Wer über die Liebe redet, hat schon verloren. Frauen gehen gerne in diese Falle, ewiges Nachgeforsche, wie es mit dem Herzen steht. Männer ziehen es vor, über Liebe, über diesen ganzen Plunder von Frauenfragen und Männerproblemen – zu schweigen. Insofern ist es nicht ganz egal, anders gesagt: typisch, dass hier eine Frau über das Buch einer Frau über die Liebe schreibt.
Ihr Buch Warum Liebe weh tut, erklärt die israelische Soziologin Eva Illouz, sei aus der Intimität unendlich vieler, langer Gespräche mit Freunden und Kollegen entstanden, es habe sich aus diesen Unterhaltungen quasi von selbst erhoben, als Notwendigkeit, etwas zu klären. Es habe sie fassungslos gemacht, in so vielen Geständnissen, Herzensergüssen, von diesem Elend zu hören, von dem »die zeitgenössischen romantischen und sexuellen Beziehungen« erfüllt sind.
Dies Irae, Tag des Zorns. Nach Jahrzehnten der proklamierten sexuellen Befreiung, der ersehnten Gleichstellung der Geschlechter, der versuchten Emanzipation der Frauen und der Aufweichung männlicher Fassaden von Macht und Überlegenheit – kommt dies Buch als ein unfreundliches Resümee. Womöglich könne es »wie eine Anklageschrift gegen die Liebe in der Moderne erscheinen«, schreibt Illouz fast schuldbewusst. So ist es. Ihre Bilanz ist so trostlos wie das Haushaltsbudget von Griechenland. Die Rede ist von überzogenen Gefühlskonten, panischen Rückzügen, ausbleibenden Rettungsankern, tumulthafter Auflehnung gegen den Zusammenbruch von Hoffnungen. Die Koinzidenz der Phänomene mit den wirtschaftlichen Turbulenzen kommt nicht von ungefähr. In Zeiten, in denen kapitalistische Heilsversprechungen als dramatische Abwärtskaskaden in allen Medien erscheinen, wäre es nicht naiv, anzunehmen, dass ausgerechnet unsere fragile Gefühlswelt ungeprägt bleibt vom Einfluss eines global herrschenden Kapitalismus?
Es ist Illouz’ dritter Anlauf zu diesem Thema. Bücher von Illouz haben dieses Thema erkannt, gesetzt, bearbeitet, sie heißen Gefühle in Zeiten des Kapitalismus oder Konsum der Romantik, Illouz liebt es, über die Wunden der bürgerlichen Gesellschaft zu streichen. In der sie doch ein erfolgreiches Mitglied ist, Professorin für Soziologie und Anthropologie an der hebräischen Universität von Jerusalem, Mutter dreier Kinder, mit 50 Jahren eine weltläufige Wissenschaftlerin eines Typs, der alle ihre Theorien Lügen zu strafen scheint. Geht doch, scheint dieser Lebenslauf zu sagen. Wo liegen die Probleme?
Wer Illouz gelesen hat, wird nie mehr in aller Unschuld in diesem angesagten Restaurant für einen Jahrestag der Liebe den teuren Fensterplatz buchen oder naiv die Reise zu zweit in den Süden für eine individuelle Entscheidung halten, also blind sein gegenüber dem Ausleben von intimen Beziehungen als Konsumvergnügen. In ihrem neuen Buch verfolgt Illouz diese Spur, wie immer bewaffnet mit Analysen von Pierre Bourdieu und Überlegungen von Sigmund Freud, auch den Gedichten von Emily Dickinson und fetten Romanen von Jonathan Franzen. Sie hat aber den Blick noch einmal enger gestellt. So geraten die Gefühle selber in den Fokus, und wir, liebesbedürftige Wesen, die sich auf dem Terrain der Gefühle in konsumierendes Konsumgut verwandeln. Partnerschaftsbörsen sind dabei nur das extremste Beispiel dafür, wie Liebeswillige sich ausstellen, angefeatured wie eine Ware, was nur ein Vorgriff darauf ist, wie auch der Rest des Lebens sich zukünftig bei Facebook und Co um eine globale Vermarktungsstrategie herum organisieren lässt, für Freundschaften, Shoppen etc.
Die Analyse federt ab in einer Welt des 18. Jahrhunderts, die sich Illouz etwa in den Romanen von Jane Austen auftut. Dort findet sie das Individuum umhüllt von Familie und Freunden, es folgt seiner Lebensbahn im Rahmen eines ausgefeilten Systems von Zugehörigkeit und Ritualen, in dem sich Sozialbeziehungen dadurch erneuern, dass junge Menschen darin eingebunden werden. Eine Heirat empfiehlt sich dadurch, dass sie sozial passt und die Familie das nahelegt. Gefühle werden also freigiebig geäußert, in Seelenergüssen ohne lauernden Peinlichkeitsindikator, weil das Soziale genau das vorsieht. Männer verpflichten sich und halten Wort, weil sich darin männliche Standfestigkeit bestätigt. Welch ein Gegensatz zur späteren Moderne, in der Studien unentwegt mit dem tristen Befund aufwarten, dass es gerade die jungen Männer sind, die vor den Verpflichtungen einer Liebesbeziehung fliehen, schon gar vor der Zumutung, lebenslang ein Vater zu sein.
Illouz versichert, sie halte die vergangene Welt nicht per se für glücklicher, sie wolle nur auf die Mühen des modernen Ich verweisen, wie es nach dem Wegbrechen all dieser Strukturen auf einem unregulierten Heiratsmarkt sich ganz allein und selber an den Mann oder die Frau zu bringen hat – und jedes Zögern oder Scheitern noch individuell zurechnen lassen muss, als psychische Störung. Nun, diese Kapitel wirken tatsächlich so, als habe sich Illouz davontragen lassen von der sprichwörtlichen Ironie einer Austen, die alle Trauer über individuelle Verluste in ein Lesevergnügen verwandelt. Aber das Leben ist kein Roman, man möchte Illouz darauf verweisen, wie tapfer die Figuren der Austen den Schmerz ihrer wundgescheuerten Seelen überspielen, oder sie daran erinnern, dass lange vor Austen die Schmerzen der Individualisierung die Literatur beflügelten, etwa die Tragödien Shakespeares.
Sexuelle Attraktion als Leitwährung
Es geht also um eine Transformation der Natur des Begehrens und des Willens unter den Bedingungen der Moderne. Die Gefühle zwischen Männern und Frauen, so führt Illouz aus, entfalten sich heute auf sexuellen Feldern, die sie als eine Arena der Konkurrenz beschreibt. Liebe entsteht aus dieser Sicht quasi im Getümmel eines Kontakthofs, im Strom der gegenseitigen Taxierung unter fortgesetzter Selbstbefragung. Was fühle ich? Wie lange? Leitwährung auf diesem Börsenparkett ist sexuelle Attraktion. Sexy sein ist der unique selling point, auch so gesehen ist das Liebes-Ich ein Produkt, etwa der aufgeblähten Kosmetikindustrie, assistiert von Fitnessstudios, die Körpersilhouetten am Laufband produzieren. Illouz spricht von »nacktem Kampf«. Die Banden von Familie oder Status werden von Sexiness durchtrennt, wodurch es zu einer Explosion in der Zahl der möglichen Partner kommt, Stichwort: Deregulierung.
So modern das daherkommt, so merkwürdig ist es, dass Illouz ausgerechnet die klassische Machtverteilung zwischen Mann und Frau verstärkt sieht. Männern böte sich ein wachsender Markt potenzieller Partnerinnen aller Altersgruppen, anders als Frauen, deren Körper frühe Verfallsdaten tragen. Es herrscht Hektik wie vor Börsenschluss. Und die nämliche Unsicherheit: Wo investieren? Wann aussteigen, wenn eine Gefühlsanlage wackelt? Liebe ist so Investmentmanagement.
In solchen Passagen liegen die Stärken des Buches. Wie die Ware Liebesobjekt billig wird, wenn ein Überangebot (für Männer) vorliegt und durch die eilfertige Verkofe (von Frauen) die eigene Position geschwächt wird und gerade das Sich-bedeckt-Halten (des Mannes) zu einer Position der Stärke wird. Als kluges Management von Sexualkapital. Illouz spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen »emotionalen Herrschaft« von Männern über Frauen.
Nun, zwar ist wahr, dass bürgerliche Männer nach wie vor auf dem Markt jenseits des Liebesgeschehens die besten Positionen für sich verteidigen konnten und Frauen nach wie vor auf Liebeskarrieren verwiesen sind zur Sicherung von Ansehen und Wohlstand. Unter den Bedingungen des einstürzenden Kapitalismus aber sind auch die ökonomischen Vorteile von Männern gefährdet. Und natürlich geraten auch sie auf vermintes Gelände, etwa wenn auf dem Laptop täglich 40 oder 50 neue Angebote aufblinken. Wann bloß die Suche beenden? Wäre nicht jede Festlegung voreilig? Heute erscheint diese Frau sexy, aber wie sieht sie in zehn Jahren aus? Mit kaltem Herzen sind Optionen abzuwägen, denen man sich doch blind vor Leidenschaft entgegenwerfen müsste. Der Rest ist Therapie.
Das macht alles furchtbar Sinn. Andererseits: Die Beschwörung einer mystischen Gegenwelt, in der Gefühl und Liebesobjekte noch heilig sind – klingt wie ein Rückzug ins Dunkel eines Vorrationalismus. Immerhin, über Liebe wird man nicht mehr diskutieren können, ohne sich auf dieses Buch zu beziehen. Auch wenn ungeklärt bleibt, wie es im falschen Sein ein richtiges Lieben geben könnte. Neue Formen leidenschaftlicher Liebe werden in Aussicht gestellt. Nur schade, dass das Buch an diesem Punkt endet.
Und hier noch ein, wie ich finde, passender Leserkommentar, der es auf den Punkt bringt:
Das ist jetzt der dritte Kommentar zu diesem Buch, den ich in einem Feuilleton lese, und auch jetzt bin ich nicht schlauer, was denn nun die Thesen sein sollen. Ist die Entwicklung nun begrüßenswert? Oder nicht? Oder wie? Oder was? Außer das übliche: Die Verhältnisse gehen zu Lasten der Frauen, und die Männer sind wie immer die Gewinner.
Und was da nicht passt, wird halt passend gemacht. Zumindest von den Rezensent(innen). Da widerspricht frau sich dann schon gerne in nur einem Satz: "Männern böte sich ein wachsender Markt potenzieller Partnerinnen aller Altersgruppen, anders als Frauen, deren Körper frühe Verfallsdaten tragen". Ähm. Wenn die Frauen früher "verfallen", dann kommen mehr Männer auf eine Frau, und nicht umgedreht. Mit anderen Worten: Die Frauen haben die Auswahl in dieser Welt. Zumindest vor ihrem "Verfallsdatum". Und, wie jeder Mann täglich erfährt: So verhalten sie sich auch.
Da denkt man sich nur noch ein leises "Frauen und Logik" (schreibts aber nicht, weil sonst wieder die Redaktionspraktikantin zuschlägt mit "Bitte pauschalieren sie nicht"). Und weiß, was man von dem Buch zu halten hat: Nur ein weiterer Versuch, die Welt ins Weltbild zu quetschen.
Was meint Ihr zum Thema?
Interessantes Thema, fand ich, schließlich betrifft das ja jeden von uns, mal mehr, mal weniger und war dennoch sehr erstaunt, wie sehr selbst eine Professorin es schafft, aus korrekten Beobachtungen, völlig unlogische Schlüsse zu ziehen, oder lag es lediglich am Unvermögen der Rezensentin? Was meint Ihr?
Liebe und solche Sachen
Eva Illouz blickt uns ins Herz und entdeckt darin so manches Schmerzliche. Ihre Analyse ist gnadenlos, die Aussichten sind mau.
Wer über die Liebe redet, hat schon verloren. Frauen gehen gerne in diese Falle, ewiges Nachgeforsche, wie es mit dem Herzen steht. Männer ziehen es vor, über Liebe, über diesen ganzen Plunder von Frauenfragen und Männerproblemen – zu schweigen. Insofern ist es nicht ganz egal, anders gesagt: typisch, dass hier eine Frau über das Buch einer Frau über die Liebe schreibt.
Ihr Buch Warum Liebe weh tut, erklärt die israelische Soziologin Eva Illouz, sei aus der Intimität unendlich vieler, langer Gespräche mit Freunden und Kollegen entstanden, es habe sich aus diesen Unterhaltungen quasi von selbst erhoben, als Notwendigkeit, etwas zu klären. Es habe sie fassungslos gemacht, in so vielen Geständnissen, Herzensergüssen, von diesem Elend zu hören, von dem »die zeitgenössischen romantischen und sexuellen Beziehungen« erfüllt sind.
Dies Irae, Tag des Zorns. Nach Jahrzehnten der proklamierten sexuellen Befreiung, der ersehnten Gleichstellung der Geschlechter, der versuchten Emanzipation der Frauen und der Aufweichung männlicher Fassaden von Macht und Überlegenheit – kommt dies Buch als ein unfreundliches Resümee. Womöglich könne es »wie eine Anklageschrift gegen die Liebe in der Moderne erscheinen«, schreibt Illouz fast schuldbewusst. So ist es. Ihre Bilanz ist so trostlos wie das Haushaltsbudget von Griechenland. Die Rede ist von überzogenen Gefühlskonten, panischen Rückzügen, ausbleibenden Rettungsankern, tumulthafter Auflehnung gegen den Zusammenbruch von Hoffnungen. Die Koinzidenz der Phänomene mit den wirtschaftlichen Turbulenzen kommt nicht von ungefähr. In Zeiten, in denen kapitalistische Heilsversprechungen als dramatische Abwärtskaskaden in allen Medien erscheinen, wäre es nicht naiv, anzunehmen, dass ausgerechnet unsere fragile Gefühlswelt ungeprägt bleibt vom Einfluss eines global herrschenden Kapitalismus?
Es ist Illouz’ dritter Anlauf zu diesem Thema. Bücher von Illouz haben dieses Thema erkannt, gesetzt, bearbeitet, sie heißen Gefühle in Zeiten des Kapitalismus oder Konsum der Romantik, Illouz liebt es, über die Wunden der bürgerlichen Gesellschaft zu streichen. In der sie doch ein erfolgreiches Mitglied ist, Professorin für Soziologie und Anthropologie an der hebräischen Universität von Jerusalem, Mutter dreier Kinder, mit 50 Jahren eine weltläufige Wissenschaftlerin eines Typs, der alle ihre Theorien Lügen zu strafen scheint. Geht doch, scheint dieser Lebenslauf zu sagen. Wo liegen die Probleme?
Wer Illouz gelesen hat, wird nie mehr in aller Unschuld in diesem angesagten Restaurant für einen Jahrestag der Liebe den teuren Fensterplatz buchen oder naiv die Reise zu zweit in den Süden für eine individuelle Entscheidung halten, also blind sein gegenüber dem Ausleben von intimen Beziehungen als Konsumvergnügen. In ihrem neuen Buch verfolgt Illouz diese Spur, wie immer bewaffnet mit Analysen von Pierre Bourdieu und Überlegungen von Sigmund Freud, auch den Gedichten von Emily Dickinson und fetten Romanen von Jonathan Franzen. Sie hat aber den Blick noch einmal enger gestellt. So geraten die Gefühle selber in den Fokus, und wir, liebesbedürftige Wesen, die sich auf dem Terrain der Gefühle in konsumierendes Konsumgut verwandeln. Partnerschaftsbörsen sind dabei nur das extremste Beispiel dafür, wie Liebeswillige sich ausstellen, angefeatured wie eine Ware, was nur ein Vorgriff darauf ist, wie auch der Rest des Lebens sich zukünftig bei Facebook und Co um eine globale Vermarktungsstrategie herum organisieren lässt, für Freundschaften, Shoppen etc.
Die Analyse federt ab in einer Welt des 18. Jahrhunderts, die sich Illouz etwa in den Romanen von Jane Austen auftut. Dort findet sie das Individuum umhüllt von Familie und Freunden, es folgt seiner Lebensbahn im Rahmen eines ausgefeilten Systems von Zugehörigkeit und Ritualen, in dem sich Sozialbeziehungen dadurch erneuern, dass junge Menschen darin eingebunden werden. Eine Heirat empfiehlt sich dadurch, dass sie sozial passt und die Familie das nahelegt. Gefühle werden also freigiebig geäußert, in Seelenergüssen ohne lauernden Peinlichkeitsindikator, weil das Soziale genau das vorsieht. Männer verpflichten sich und halten Wort, weil sich darin männliche Standfestigkeit bestätigt. Welch ein Gegensatz zur späteren Moderne, in der Studien unentwegt mit dem tristen Befund aufwarten, dass es gerade die jungen Männer sind, die vor den Verpflichtungen einer Liebesbeziehung fliehen, schon gar vor der Zumutung, lebenslang ein Vater zu sein.
Illouz versichert, sie halte die vergangene Welt nicht per se für glücklicher, sie wolle nur auf die Mühen des modernen Ich verweisen, wie es nach dem Wegbrechen all dieser Strukturen auf einem unregulierten Heiratsmarkt sich ganz allein und selber an den Mann oder die Frau zu bringen hat – und jedes Zögern oder Scheitern noch individuell zurechnen lassen muss, als psychische Störung. Nun, diese Kapitel wirken tatsächlich so, als habe sich Illouz davontragen lassen von der sprichwörtlichen Ironie einer Austen, die alle Trauer über individuelle Verluste in ein Lesevergnügen verwandelt. Aber das Leben ist kein Roman, man möchte Illouz darauf verweisen, wie tapfer die Figuren der Austen den Schmerz ihrer wundgescheuerten Seelen überspielen, oder sie daran erinnern, dass lange vor Austen die Schmerzen der Individualisierung die Literatur beflügelten, etwa die Tragödien Shakespeares.
Sexuelle Attraktion als Leitwährung
Es geht also um eine Transformation der Natur des Begehrens und des Willens unter den Bedingungen der Moderne. Die Gefühle zwischen Männern und Frauen, so führt Illouz aus, entfalten sich heute auf sexuellen Feldern, die sie als eine Arena der Konkurrenz beschreibt. Liebe entsteht aus dieser Sicht quasi im Getümmel eines Kontakthofs, im Strom der gegenseitigen Taxierung unter fortgesetzter Selbstbefragung. Was fühle ich? Wie lange? Leitwährung auf diesem Börsenparkett ist sexuelle Attraktion. Sexy sein ist der unique selling point, auch so gesehen ist das Liebes-Ich ein Produkt, etwa der aufgeblähten Kosmetikindustrie, assistiert von Fitnessstudios, die Körpersilhouetten am Laufband produzieren. Illouz spricht von »nacktem Kampf«. Die Banden von Familie oder Status werden von Sexiness durchtrennt, wodurch es zu einer Explosion in der Zahl der möglichen Partner kommt, Stichwort: Deregulierung.
So modern das daherkommt, so merkwürdig ist es, dass Illouz ausgerechnet die klassische Machtverteilung zwischen Mann und Frau verstärkt sieht. Männern böte sich ein wachsender Markt potenzieller Partnerinnen aller Altersgruppen, anders als Frauen, deren Körper frühe Verfallsdaten tragen. Es herrscht Hektik wie vor Börsenschluss. Und die nämliche Unsicherheit: Wo investieren? Wann aussteigen, wenn eine Gefühlsanlage wackelt? Liebe ist so Investmentmanagement.
In solchen Passagen liegen die Stärken des Buches. Wie die Ware Liebesobjekt billig wird, wenn ein Überangebot (für Männer) vorliegt und durch die eilfertige Verkofe (von Frauen) die eigene Position geschwächt wird und gerade das Sich-bedeckt-Halten (des Mannes) zu einer Position der Stärke wird. Als kluges Management von Sexualkapital. Illouz spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen »emotionalen Herrschaft« von Männern über Frauen.
Nun, zwar ist wahr, dass bürgerliche Männer nach wie vor auf dem Markt jenseits des Liebesgeschehens die besten Positionen für sich verteidigen konnten und Frauen nach wie vor auf Liebeskarrieren verwiesen sind zur Sicherung von Ansehen und Wohlstand. Unter den Bedingungen des einstürzenden Kapitalismus aber sind auch die ökonomischen Vorteile von Männern gefährdet. Und natürlich geraten auch sie auf vermintes Gelände, etwa wenn auf dem Laptop täglich 40 oder 50 neue Angebote aufblinken. Wann bloß die Suche beenden? Wäre nicht jede Festlegung voreilig? Heute erscheint diese Frau sexy, aber wie sieht sie in zehn Jahren aus? Mit kaltem Herzen sind Optionen abzuwägen, denen man sich doch blind vor Leidenschaft entgegenwerfen müsste. Der Rest ist Therapie.
Das macht alles furchtbar Sinn. Andererseits: Die Beschwörung einer mystischen Gegenwelt, in der Gefühl und Liebesobjekte noch heilig sind – klingt wie ein Rückzug ins Dunkel eines Vorrationalismus. Immerhin, über Liebe wird man nicht mehr diskutieren können, ohne sich auf dieses Buch zu beziehen. Auch wenn ungeklärt bleibt, wie es im falschen Sein ein richtiges Lieben geben könnte. Neue Formen leidenschaftlicher Liebe werden in Aussicht gestellt. Nur schade, dass das Buch an diesem Punkt endet.
Und hier noch ein, wie ich finde, passender Leserkommentar, der es auf den Punkt bringt:
Das ist jetzt der dritte Kommentar zu diesem Buch, den ich in einem Feuilleton lese, und auch jetzt bin ich nicht schlauer, was denn nun die Thesen sein sollen. Ist die Entwicklung nun begrüßenswert? Oder nicht? Oder wie? Oder was? Außer das übliche: Die Verhältnisse gehen zu Lasten der Frauen, und die Männer sind wie immer die Gewinner.
Und was da nicht passt, wird halt passend gemacht. Zumindest von den Rezensent(innen). Da widerspricht frau sich dann schon gerne in nur einem Satz: "Männern böte sich ein wachsender Markt potenzieller Partnerinnen aller Altersgruppen, anders als Frauen, deren Körper frühe Verfallsdaten tragen". Ähm. Wenn die Frauen früher "verfallen", dann kommen mehr Männer auf eine Frau, und nicht umgedreht. Mit anderen Worten: Die Frauen haben die Auswahl in dieser Welt. Zumindest vor ihrem "Verfallsdatum". Und, wie jeder Mann täglich erfährt: So verhalten sie sich auch.
Da denkt man sich nur noch ein leises "Frauen und Logik" (schreibts aber nicht, weil sonst wieder die Redaktionspraktikantin zuschlägt mit "Bitte pauschalieren sie nicht"). Und weiß, was man von dem Buch zu halten hat: Nur ein weiterer Versuch, die Welt ins Weltbild zu quetschen.
Was meint Ihr zum Thema?