horusfalk3 schrieb am 26.04.2011:Die Frage die hier im Raum steht ist: "Hattet ihr eine chronische depressive Erkrankung und seid die auf irgendeine Art und Weise losgeworden? Wenn ja: wie?"
Heute bin ich 31 und kämpfe schon seit 11 Jahren mit Depressionen. Wahrscheinlich hatte ich auch schon in der Jugendzeit schon welche. Auf meiner Diagnose stehen dann so Sachen wie rezidivierende Depression, also eine Depression die in Schüben kommt. In diesen 11 Jahren hat sich mein Blick auf den depressiven Zustand immer wieder gewandelt und ja, ich glaube nun einen Weg gefunden zu haben die Depression loswerden zu können. Es gibt reale Hoffnung auf eine substanzielle Verbesserung. Ein Stück bin ich diesen Weg schon gegangen - fertig bin ich aber noch nicht.
Ach ja und Medikamente habe ich auch zeitlang genommen, genauer gesagt Venlafaxin, teilweise auch hoch dosiert. Hab es aber vor 1,5 Jahren ausgeschlichen.
horusfalk3 schrieb am 26.04.2011:Hat euch eine Therapie weitergeholfen? Wenn ja was für eine Form? Normale Psychotherapie, Psychoanalyse oder etwas ganz Anderes?
Das Schwierige an Psychotherapie ist, dass man viel Glück haben muss, damit die richtige Kombination aus Patient * Therapeut * Therapiewissen zustande kommt. Ich hatte auch schon eine Verhaltenstherapeutin die ich super nett und vertrauenswürdig fand, aber wir nach wenigen Sitzungen festgestellt haben, dass sie mir im Grunde nicht helfen kann. Aktuell bin ich bei einer (tiefenpsychologischen) Therapeutin die mir schlichtweg die Augen geöffnet hat. Seit dieser Therapie betrachte ich mich und die Depression aus einen völlig neuen Blickwinkel, der mir bis dato völlig verschlossen war. Meine Therapeutin ist sehr fordernd und war gerade am Anfang nicht sofort sympathisch - sie trat eher wie eine strenge Lehrerin auf. Ich glaube, für viele Menschen wäre sie nicht die richtige Person zur Therapie, für mich aber passte sie zu 100%. Es war eben nicht die nette Therapeutin, bei der ich mich von Anfang öffnen konnte, sondern ein Mensch an dem ich mich abarbeiten musste. Wir mussten uns das Vertrauen gemeinsam (hart) erarbeiten. Außerdem, und das mag jetzt wenig kindisch klingen, erinnert sie mich an Kreja aus KOTOR 2 - sie sieht sogar wie sie aus und hat eine ähnlich ambivalente Einstellung zu Gesellschaft. Und KOTOR 2 ist halt eines meiner Lieblingsgames
:DIhr Ansatz ist zwar tiefenpsychologisch, aber sie nimmt auch sehr viel aus der Körperpsychotherapie mithinein. Am Anfang meinte sie, dass nicht Depression mein Problem sei - was mich ehrlich schockte, denn mein ganzes Leben drehte sich um diese Diagnose. Ich hatte angeblich eine Angststörung. Da wollte ich schon aufstehen und gehen, weil ich mich veräppelt fühlte. (Ich hatte auch dutzende Bücher gelesen und dachte ich wüsste es besser)
Es war ein ziemlich langer Weg, bis ich ihren Ansatz verstand. Und es hat mich Überwindung gekostet - trotz meines Wissens - mich auf ihren Blick einzulassen. Ich merkte aber schon in den ersten Sitzungen, dass meine Therapeutin unfassbar gut war, mein Inneres zu beschreiben. Heute weiß ich, dass das keine so große Kunst war (oder doch?), denn durch meine Körperhaltung, Atmung usw. war ich lesbar wie ein Buch.
Ich habe mit ihr trainiert meinen Körper wahrzunehmen: meinen Atem, meine Anspannung im Brustkorb, mein Zittern, den Klos im Hals, meine Körperhaltung, wie ich sitze, in welchen Winkel mein Kopf lag, wie ich schlucke, sogar wie mein Blick umherkreist. Das war ziemlich anstregend und oft wollte ich schon aufgeben, weil ich das als sinnlos empfand. Heute bin ich ihr so dankbar dafür - seinen Körper zu spüren ist so hilfreich, um erneute depressive Episoden zu verhindern. Denn Depressionen kündigen sich oft subtil an - sodass man rechtzeitig dagegen steuern kann. Und Angst hatte ich tatsächlich auch. Es ist unglaublich wie viel Angst ich habe, bloß habe ich sie nie gespürt. Früher bin ich Menschen aus den Weg gegangen, habe Parties mit fadenscheinigen Gründen abgesagt, hab Pausen mit Kollegen gemieden, gehe allgemein sozialen Situationen aus den Weg. Früher habe ich mich als introvertiert bezeichnet, zog mich lieber in die Einsamkeit zurück und verbrachte meine Zeit im "mentalen Raum": Lesen, zocken usw. Doch bei all diesen Dingen war immer Angst dabei, die mich wie eine Marionette gesteuert hat. Ich war blind gegenüber meiner Neurose, weil ich auch blind gegenüber meinen Körper war. In der Arbeit ging ich oft an Leistungsgrenzen, um nur ja keine Kritik zu bekommen, in Partnerschaften rannte ich Menschen hinterher und hab auch dort Grenzen nicht beachtet. Gleichzeitig war zwischen mir und den anderen Menschen eine Art "Mauer". Meine Therapeutin meinte mal: "Mein Körper schreit schon lange um Hilfe, aber ihr Kopf möchte das nicht hören." Ich kann meine Grenzen nicht richtig ziehen, ich lasse zu viel über mich ergehen. Die Depression ist dabei nur die Endstation. Es ist der letzte Versuch meines Körpers mich zur "Vernunft" zu bringen. Hat dann auch irgendwie geklappt, denn ich bin in Therapie... :-o
Es hat die ganze Kurzzeittherapie gedauert bis ich mein Körper lernte wahrzunehmen. Und erst danach sprachen wir um das Warum. Mein Symptombild entspricht eher dem einer komplexen PTBS. Sie hat mir ein einfaches Modell an die Hand gegeben, dass aber nur dann funktioniert, wenn man die subtilen Zeichen des Körpers hören kann. Es hilft mir sehr sehr gut und verhindert bis heute erfolgreich das hineinschlittern in die Depression.
Aktuell arbeite ich an meiner Angst vor tiefe Bindung, also echte und ehrliche Kommunikation. Denn auch dort war ich blind, es ist unglaublich wie oft ich log, um mich nicht zu zeigen. Nur wenn ich klare Kante zeigen kann, wenn ich mich zeige wie ich wirklich bin, nur dann komme ich an erfüllende Beziehungen. Und genau das ist es, was mich am gesund hält: die Bindung an Menschen, die mich echt mögen.
Ich habe wirklich Hoffnung das Kapitel Depression in meinem Leben zu schließen und ich bin heilfroh diese ungewöhnliche Therapie gemacht zu haben, die sicherlich nicht zu 100% den Therapie-Richtlinien entsprach, aber für mich genau das Richtige war.