Ohne Arbeit glücklich, ist das möglich?
23.05.2022 um 23:33
Das hängt sehr stark von der Tätigkeit ab und von den eigenen Erfahrungen die man im Leben gemacht hat.
Vor etwa 10 Jahren habe ich nach einer schweren Knieverletzung samt folgendem Langzeit-Krankenstand über 9 Monate, meinen Job den ich damals hatte verloren. Das hat mich erstmal wenig gekümmert, es war kein Traumjob, auch nicht gut bezahlt, kurz gesagt nicht wirklich schade darum und angesichts meiner Knieverletzung und der Tatsache dass ich längere Zeit mit Gips und Krücken flachlag, und mich danach mit Physiotherapie etc wieder zurück kämpfen musste, hatte ich natürlich auch andere Sorgen als den Job.
Leider war es damals jedoch so, dass ich dann nachdem ich wieder gesund gemeldet war, sehr lange keinen Job gefunden habe. Die Gründe dafür sind verschiedene, zwar habe ich tatsächlich mit jedem Monat das ich zuhause war meine Ansprüche soweit hinunter geschraubt dass ich nach spätestens 6 Monaten Jobsuche eigentlich bei "völlig egal welcher Job Hauptsache irgendeiner" angelangt war, dennoch will ich jetzt nicht behaupten dass ich nicht irgendwo selbst schuld war, denn vor allem zu Beginn meiner Arbeitosigkeit verkannte ich die Situation, machte mir keine Sorgen da ich noch sehr jung (Anfang 20) war und auch eine Berufsausbildung habe.
Dass ich in dem Moment in dem ich wieder gesund geschrieben und beim Arbeitsamt angemeldet war, aufgrund des Krankenstands doch schon 9 Monate nicht mehr beruflich beschäftigt war, war nicht sonderlich hilfreich und so schnell kann man dann gar nicht schauen ist man 1 Jahr zuhause (dann schreibt man eine Massenbewerbung wo man jeden Tag 50x einfach Firmennamen und Anschrift austauscht die man überall hinschickt, womit vermutlich noch niemand Erfolg hatte) und ich glaube am Tiefpunkt meines Lebens nach 3 Jahren Arbeitslosigkeit ohne jegliche Perspektive, habe ich beim Arbeitsamt gebeten einfach irgendwas machen zu dürfen, ich wusste dass es Möglichkeiten gibt sich weiter zu bilden, ich wusste auch dass es Möglichkeiten gab am "zweiten Arbeitsmarkt" eine auf wenige Wochen bis wenige Monate befristete Beschäftigung zugewiesen zu bekommen als schwer vermittelbarer Arbeitssuchender, ich und das Arbeitsamt waren uns einig dass ich als solcher zähle und ich war einfach nur todunglücklich, nicht nur weil es finanziell vor allem mit Kind extrem schwierig war das Auslangen zu finden ohne Job (das wird jetzt keinen überraschen) sondern auch weil ich mich persönlich nutzlos fühlte, schämte, die Gesellschaft anderer Menschen mied weil ich einfach nicht wollte dass mich irgendjemand fragt wie es beruflich aussieht, einfach Horror und damals war ich der Meinung ohne Arbeit nie wieder glücklich sein zu können.
So kam es dass ich mit Unterstützung des Arbeitsamtes erstmal ein Jahr eine zusätzliche Ausbildung machen durfte, im Metallbereich, obwohl ich in der Zeit trotzdem nur das Arbeitslosengeld bezog freute ich mich weil ich zumindest IRGENDWAS zu tun hatte und obwohl ich ursprünglich aus einer ganz anderen beruflichen Richtung komme habe ich mich für den Metallbereich sehr begeistern können und bin richtig aufgeblüht, die Arbeit an den Maschinen hat mir Spaß gemacht und ich hab viele nützliche Dinge gelernt.
Nach der Ausbildung war ich erstmal on fire, körperlich nach der Verletzung und der langen Arbeitosigkeit so fit wie lange nicht mehr, ich war es wieder gewohnt einen festen Tagesablauf zu haben und kam auch wieder unter Menschen und knüpfte soziale Kontakte. Ich war mehr als nur bereit für einen Job, doch wie man sich denken kann haben die Firmen nicht gerade auf meine Bewerbung gewartet.
Daher nochmal der Weg zum Arbeitsamt, ich wusste wie gesagt dass es für Langzeitarbeitslose die Möglichkeit gibt einer befristeten Beschäftigung zugewiesen zu werden. Also bat ich darum, einfach irgendwo hin geschickt zu werden, völlig egal was ich machen muss und wenn ich Toiletten reinigen muss.
Genau so kam es dann auch, ich musste mich erst 9 Wochen beweisen um später in ein anderes Programm zu rutschen bei dem ich 6 Monate bleiben konnte, eben unter anderem für Reinigungstätigkeiten aber auch Grünschnitt und eben allgemeine Hilfstätigkeiten aller Art, wo auch zB Besorgungen für gesundheitlich eingeschränkte Menschen zu erledigen (Lebensmittel Einkauf oder Medikamente von der Apotheke holen etc.) aber großteils bestand die Tätigkeit aus Reinigungstätigkeiten und umfasste u.a. auch öffentliche Toiletten, der Lohn war quasi ein Mindestlohn und nur unwesentlich höher als das Geld welches ich von Arbeitsamt bekam, und ich hab es einfach geliebt und hab quasi gelebt für diesen Job, ich hab mir soviel Mühe gegeben dass es durch diverse Tricksereien am Ende sogar möglich war die Beschäftigung um weitere 6 Monate zu verlängern, was bei geförderten Arbeitsplätzen schwierig ist da es auch andere Leute gibt die darauf warten.
Ich bräuchte es in jeder Hinsicht, einerseits persönlich/mental, einfach mal wieder einen Job haben, eine Aufgabe, sich auspowern und Wertschätzung erhalten, andererseits wusste ich natürlich dass das auch für meinen Lebenslauf wichtig ist, denn ich wusste ja dass ich nach der Frist wieder einen Job suchen muss und wenn man dann vorweisen kann dass man jetzt eine Zeit lang nicht inaktiv war dann geht das natürlich deutlich einfacher, und so kam es dass ich danach nach nur einem Monat eine neue Tätigkeit fand, im Sicherheitsbereich.
Ich war motiviert und bereit, stand vor allem rund um die Uhr zur Verfügung und war einfach nur dankbar einen Job zu haben. Dass dies durchaus vom Arbeitgeber ausgenutzt wurde habe ich erst einmal ausgeblendet, weil es mir irgendwo sogar egal war, ich hatte einen fixen Job und endlich auch ein normales Gehalt, das zählte. Die Firma war sehr unzuverlässig, der Dienstplan hielt meistens nur 1,2 Tage und auch an freien Tagen musste ich kurzfristig einspringen, da ich wie gesagt auch ein Kind habe ging mir das schon dezent auf die Cojones, doch wenn ich an einem Punkt war an dem ich zweifelte, erinnerte ich mich wieder an die Arbeitslosigkeit und hielt durch. Schwieriger wurde es jedoch nach einem halben Jahr. Zuerst kam das Gehalt 2 Tage zu spät, dann eine Woche zu spät, dann fehlten einige Arbeitsstunden auf der Abrechnung und da war für mich klar dass die Grenze überschritten ist, denn natürlich wollte und brauchte ich den Job, in erster Linie geht man aber arbeiten um Geld zu verdienen. Da ich keinesfalls wieder aufs Arbeitsamt wollte, habe ich begonnen nebenbei nach anderen Jobs zu suchen, und da ich wirklich dringend weg wollte nahm ich das erste Angebot an dass ich bekommen habe, habe dann umgehend gekündigt (war insgesamt 9 Monate dort) und nach der Frist eben in einem anderen Unternehmen begonnen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt 2 Probleme die mir da noch nicht bewusst waren. Erstens, die Firma bei der ich kündigte, zahlte mir meinen letzten Lohn samt Überstunden nicht aus (ich musste mit Arbeiterkammer und einem Anwalt gegen die Firma vorgehen um nach 6!!! Monaten endlich mein Geld zu bekommen). Zweitens, ich war jetzt in der Gastronomie. Ich habe mir nichts dabei gedacht, und obwohl ich wusste dass die Bezahlung katastrophal ist und sich das Thema Wochenende und Feiertage erledigt hat, obwohl ich zu so ziemlich jeder Uhrzeit bereit sein musste (am schwersten war es für mich vor allem früh morgens um 6 oder früher), die Schichten oft sehr stressig und die Gäste zu einem Großteil Hundesöhne waren, hatte ich natürlich immer noch die Langzeit-Arbeitslosigkeit im Kopf. So kämpfte ich mich durch, machte meinen Job sehr gut, und bewies vor allem eine enorme Belastbarkeit, ich erkannte dass ich wirklich arbeiten kann wie eine Maschine wenn ich will, immer wieder opferte ich freie Tage, da ein Unternehmen in der Gastronomie naturgemäß unterbesetzt ist und dazu auch immer wieder Krankenstände und dergleichen kommen. Die Überstunden wurden nicht ausbezahlt, es war nur Zeitausgleich möglich der jedoch nie wirklich möglich war (man durfte aber stattdessen noch mehr Überstunden machen) und selbst das Trinkgeld durften wir in der Firma wo ich war nicht behalten (wurde zwar für einen guten Zweck gespendet was irgendwo eh löblich ist aber davon kann ich mir halt auch nichts kaufen). Kurz gesagt eben einfach Gastronomie, die kaputteste Branche die es gibt, der unattraktivste Arbeitsplatz den man sich vorstellen kann, aber mit meinem Lebenslauf passiert es dir eben dass du dort hinein rutscht.
Sei es wie es sei, nachdem ich mich über einige Monate allen Widrigkeiten zum Trotz etablierte und auch irgendwann endlich meinen eigenen Wert als Mensch und als Arbeitskraft erkannte, deponierte ich klar dass mir die verbale Anerkennung die ich durchaus bekam, zu wenig ist, und dass ich schon irgendwo das Gefühl habe dass ich nicht froh sein muss hier sein zu dürfen, sondern dass das Unternehmen eigentlich froh sein muss mich zu haben. Dass das in der Gastronomie eigentlich fast immer so ist lernte ich da ja erst, war schließlich mein erster Job in der Branche (man sieht hier auch dass es mir grundsätzlich immer egal war was ich machen muss Hauptsache ich habe einen Job). So bekam ich nach einer Zeit die Chance mich für Beförderungen zu empfehlen, da gab es firmenintern ein eigenes Ausbildungsprogramm, und im zweiten Jahr war es dann tatsächlich so dass ich insgesamt 5 mal befördert wurde, de facto alle zwei Monate, und eigentlich nur mehr der Inhaber und der Geschäftsführer in der Hierarchie noch über mir standen. Das ging natürlich nicht im Vorbeigehen, das bedeutete harte Arbeit, 60-Stunden-Wochen, ich musste vieles lernen und vor allem Verantwortung übernehmen, nicht nur im Personalbereich was durchaus nicht immer einfach war (da es doch ein paar Mitarbeiter gab die schon lange vor mir im Unternehmen waren und ebenfalls Ambitionen hatten, jedoch schlicht nicht gut genug waren bzw zwar Positionen wollten, jedoch nicht das dafür tun wollten was verlangt wurde), sondern allgemein auch im Lebensmittelbereich, wo sich sehr viele wahrscheinlich gar nicht vorstellen können was es heißt bei unzähligen Produkten von Salaten und Gemüse über Desserts bishin zu tiefgekühlten Produkten (Fleisch etc), dafür verantwortlich zu sein dass die Lagerung und die entsprechenden Temperaturen in Ordnung sind, da kann jeder Fehler viel Geld kosten und man darf sich nicht die geringste Unachtsamkeit erlauben. Unnötig zu erwähnen dass man all diese Dinge und zusätzlich noch Geräte wie Öfen, Griller, Toaster und Fritteusen i Überblick haben musste während zu Stoßzeiten unzählige Bestellungen abzuarbeiten waren. Also wirklich keine leichte Aufgabe und wo ich auch ganz selbstbewusst sagen kann, dass das nicht jeder schafft, vermutlich die meisten würden früher oder später aufgeben. Habe ich dann aber auch durchgehalten, da mein Gehalt mit jeder Beförderung erhöht wurde und ich am Ende, sprich am höchsten Punkt meiner dortigen Karriere tatsächlich zum ersten Mal in meinem Leben nicht nur okay/sorgenfrei, sondern auch wirklich gut verdiente, mir viel zur Seite legen konnte (gut, ich hatte ohnehin keine Zeit um etwas auszugeben) und mir eigentlich alles kaufen konnte was ich wollte, wenn's nicht gerade ein Sportwagen oder eine Eigentumswohnung ist lol
Die Zeiten als Langzeitarbeitsloser hatte ich da schon längst verdrängt, und die Erfahrung war auch wichtig für mich da ich wie gesagt gelernt habe, dass ich eine gute und wertvolle Arbeitskraft bin und niemand der auf Knien angerutscht kommen muss um eine Stelle zu erbetteln.
Nach einiger Zeit in der Position habe ich dennoch aufgegeben, da ich einfach erkannte dass ich über einen sehr langen Zeitraum nur gelebt habe um zu schlafen und zu arbeiten, das ging mir irgendwann auf die Nerven, gleich wie die Branche an sich die einfach nur scheisse ist, genau so wie auch die Unternehmer und die Gäste, und ich denke allgemein dass niemand in dieser Branche arbeiten sollte. Was halt auch mitspielte ist dass ich wieder mehr Zeit mit meiner Familie verbringen wollte bzw mit meinem Kind, und zum damaligen Zeitpunkt dachte ich auch dass ich meine Beziehung noch retten kann wenn ich nur mehr Zeit investieren könnte und nicht immer schlecht gelaunt bin (gut, das war ein Irrglaube, aber rückblickend betrachtet bin ich auch nicht traurig drüber).
Mit neu gewonnenem Selbstvertrauen und einem massiven Upgrade im Lebenslauf durch die hohe Position die ich am Ende hatte, fand ich sofort einen neuen Job der tatsächlich wirklich entspannt war. Es waren zwar auch hier viele Stunden zu leisten, jedoch war die Tätigkeit weder körperlich noch geistig anstrengend (eigentlich fast chillig), die Leute waren nett (mittlerweile sind sie eine zweite Familie), und für viel weniger Arbeit verdiente ich sogar noch mehr als in der Führungsposition in der Gastro. Was man hier aber dazu sagen muss ist dass es ein Pandemiejob war, eine extra für die Covid Pandemie geschaffene Abteilung die durch den Staat Österreich finanziert wurde, und wo natürlich auch klar war dass der Job kein Langzeit-Job sein wird, da er an die Pandemiemaßnahmen der Regierung geknüpft war, und als diese die Pandemie quasi für beendet erklärte wurde dementsprechend auch die Abteilung geschlossen und ich wurde wie ausnahmslos alle anderen meiner Kollegen, gekündigt. Jedoch durch diese zwei Jobs samt sämtlicher Nachzahlungen und Abfertigungen am Ende, auf dem finanziellen Höchststand meines Lebens, ausfinanziert auf einige Monate (sollten genügend sein um in der Zeit wieder einen Job zu finden) und obwohl ich nach mehreren Jahren in Beschäftigung jetzt wieder beim Arbeitsamt gelandet bin, was ich eigentlich nie wieder wollte, bin ich auch ohne Job jetzt nicht unglücklich.
Gut, zugegeben bin ich auch noch nicht lange Zuhause, erst ein Monat (wird trotzdem langsam langweilig) aber ich habe keinen finanziellen Druck, da meine Rücklagen eine eventuelle Bezugssperre auffangen würde, zB wenn mich das Arbeitsamt wieder in die Gastronomie schicken will, kann ich einfach sagen dass ich es verweigere und mir das Geld streichen lassen. Das macht es einfacher, zusätzlich eben zur Tatsache dass ich in einer viel besseren Position bin als bei meiner letzten Arbeitslosigkeit, und ich habe mir auch fest vorgenommen mich nicht mehr unter Wert zu verkaufen, wer sich mit meiner Person befasst kann überall wo ich tätig war nachfragen und in Erfahrung bringen dass ich ein fleißiger und verlässlicher Arbeitet bin, und zwar egal in welcher Branche ich war, dafür verlange ich aber auch gewisse Dinge, wie zB dass mir Überstunden prinzipiell jeden Monat ausgezahlt werden, die Lohnbetrugsmasche vom Zeitausgleich zieht nicht mehr bei mir, weil ich nicht mehr so verzweifelt bin wie früher. Gastronomie kommt ebenfalls nicht mehr in Frage wie eben auch Mindestlohn-Jobs, sprich ich habe es mir erarbeitet Ansprüche zu haben - deshalb bin ich ja auch nach einem Monat noch zuhause, mit meinen damaligen Ansprüchen hätte ich wohl nach 2 Tagen eine neue Stelle gehabt. Ich bin für den Moment ohne Job glücklich und möchte mir selbst treu bleiben, habe jedoch meine unschöne Vergangenheit noch immer in Erinnerung und weiß auch, dass ich wenn sich die Arbeitslosigkeit länger hinzieht, früher oder später nicht mehr glücklich sein werde. Ich bin guter Dinge dass es nicht soweit kommt und ich eine neue Stelle habe bevor es eben so weit ist, in 1,2,3 Monaten kann die Welt auch wieder anders aussehen, und dann müsste ich wohl auch wieder beginnen Schritt für Schritt meine Ansprüche zu senken, aber wenn es die Situation erfordert kann und werde ich auch das problemlos bewältigen.
Sehe gerade erst dass ich jetzt meinen halben Lebenslauf hier aufgelistet habe nur um EINE FRAGE zu beantworten ohne diese tatsächlich eindeutig zu beantworten, WTF, keine Ahnung wie ich wieder derart abschweifen konnte, sorry Leute, vielleicht steht trotzdem irgendwas dabei was für den ein oder anderen interessant oder hilfreich sein könnte 🙈🙈🙈🙈🙈