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Faschiertes aus dem Bioreaktor
22.04.2009 um 18:11Universität Utrecht, Gebäude 104. Ein langgezogener Ziegelsteinbau neben der Klinik für Tiermedizin. Hier arbeitet der Biotechnologe Bernard Roelen. Manche Leute halten das, was er und seine Kollegen treiben, für pervers. Andere glauben, dass Biotechnologen wie Roelen die Welt retten werden. Er selbst ist angenehm unaufgeregt. "Nichts gegen die traditionelle Landwirtschaft", sagt er. "Aber Fleisch in Tieren heranwachsen zu lassen ist unvernünftig und veraltet."
Nein, noch gibt es Laborfleisch in Supermärkten nicht zu kaufen. Geht es nach Molekularbiologen aus Utrecht, soll es in spätestens zehn Jahren so weit sein.
Niederländische Forscher lassen Fleisch aus Stammzellen im Brutkasten wachsen. Eine Geschmacklosigkeit?
Der schlanke Vierzigjährige liebt Herausforderungen. Im Urlaub hat er den Kilimandscharo bezwungen. Im Labor will er noch höher hinaus: Wenn seine Träume wahr werden, wird es bald Faschiertes, Würstl und Schnitzel aus dem Bioreaktor geben, ohne dass Tiere dafür sterben mussten.
"Tissue Engineering" heißt das Forschungsgebiet: die Züchtung von Gewebe im Reagenzglas. Anfangs ging es dabei ausschließlich um Humangewebe für Transplantationen. Doch der Gedanke, aus tierischen Zellen Würste und Fleischstücke heranreifen zu lassen, war bald nicht mehr weit.
Die Niederlande gehören beim Tissue Engineering zur Weltspitze: Haut, Knochen, Nervenzellen, Herzgewebe für Humantransplantationen wachsen in niederländischen Labors heran. Nun will man auch in der essbaren Sparte den Durchbruch schaffen.
Roelen öffnet die Tür zu seinem Reich: DNA-Analysegeräte, Mikroskope, Saugapparaturen stehen auf den Labortischen, dazwischen liegen feine Pinzetten und Pipetten. In flüssigem Stickstoff, auf minus 196 Grad gekühlt, lagern in stählernen Tanks Zellproben von Rind, Schwein und Pferd. Mit feinen Nadeln wurden sie "Spender-Tieren" auf Bauernhöfen entnommen, sagt Roelen. "Nicht schmerzhafter als ein Mückenstich."
Stammzellen als Fleischbasis
Fleisch besteht in erster Linie aus Muskelgewebe. Für Geschmack und Textur müssen die Biotechnologen darüber hinaus Fett- und Bindegewebe züchten. Die besten Erfahrungen hat Roelen mit sogenannten adulten Stammzellen als Ausgangssubstanz gemacht. Die sind im Organismus etwa dafür zuständig, dass Wunden verheilen.
Das Prinzip der Fleischmacherei ist simpel: Mit einer Pipette gibt Roelen einige Stammzellen in flaschenförmige Kunststoffbehälter. In diesen Flaschen schwimmen die Stammzellen in einer Nährlösung aus Wasser, Zucker, Vitaminen und Aminosäuren und wachsen über Tage und Wochen zu Muskelzellen und -fasern heran. Derzeit spielt sich das noch im Zentimeterbereich ab. Eines Tages jedoch werde Retortenfleisch in Containern reifen, so der Forscher.
Unstrittig ist, dass die klassische Fleischherstellung Nachteile hat: Als Nebenprodukte entstehen Methangas und Jauche, Millionen Tonnen schadstoffhaltiger Emissionen. Umweltexperten haben errechnet, dass die Tierhaltung das Klima auf der Erde stärker belastet als die Abgase aller Lastwagen, Autos und Flugzeuge zusammen.
Rinder und Schweine etwa müssen sieben Kilogramm pflanzliche Proteine fressen, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren; alle Nutztiere weltweit futtern rund ein Drittel der Getreidevorräte weg. Dennoch will die Menschheit nicht auf Fleisch verzichten. Nach Hochrechnungen der UN-Welternährungsorganisation FAO wird sich der globale Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 auf 460 Millionen Tonnen verdoppeln.
Wenn Roelen und seine Kollegen Erfolg haben, könnten sowohl die hohe Umweltbelastung durch die Landwirtschaft als auch das Leid der Nutztiere bald Geschichte sein. Bisher werden allerdings erst hauchzarte Zellschichten im Bioreaktor gezüchtet.
Das Problem liegt in der Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nahrung. Bei dickeren Gewebestücken, aus mehreren Schichten von Zellkulturen, bräuchte man Blutgefäße zum Transport der Nährstoffe, erklärt Roelen. "Die unten liegenden Zellen sterben sonst schnell ab." Immerhin: Forschern vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston ist es kürzlich erstmals gelungen, Skelettmuskelgewebe zu züchten, das in der Petrischale seine eigenen Blutgefäße ausbildet.
Die technischen Hürden werden sich meistern lassen, sind Fachleute überzeugt. Doch die Revolution der Fleischherstellung könnte an einem anderen Hindernis scheitern: am Konsumenten. Viele Menschen denken bei Retortenfleisch eher an Dr. Frankenstein als an ein genießbares Abendessen. In einer repräsentativen Studie der EU-Kommission lehnten kürzlich mehr als die Hälfte der befragten Personen künstliches Fleisch radikal ab, und nur sechs Prozent äußerten keine Bedenken.
Omega 3 statt Omega 6
Nun wollen die Biotechnologen auch Skeptiker überzeugen: Ihre Produkte werde gesünder sein als klassisches Fleisch, lautete eines der Argumente. Bei Laborfleisch ließe sich zum Beispiel die ungesunden Omega-6-Fettsäuren durch Omega-3-Fettsäuren ersetzen, die besser verträglich sind.
Um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein, dauert das Zellwachstum allerdings noch viel zu lange. Die Forscher versuchen daher, Zellkulturen im Brutkasten durch Elektroschocks schneller dick und fett zu machen. Eine Art Faschiertes herstellen sei der nächste Schritt, sagt Bernard Roelen: "Man könnte das Zellgewebe dann auch rollen und bekäme eine Wurst." Bereits in knapp zehn Jahren werde es Laborfleisch in Supermärkten zu kaufen geben, prophezeit der Biotechnologe. (Till Hein/DER STANDARD, Printausgabe, 22.04.2009)
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Eure meinung ? Ist das die zukunft ?
Nein, noch gibt es Laborfleisch in Supermärkten nicht zu kaufen. Geht es nach Molekularbiologen aus Utrecht, soll es in spätestens zehn Jahren so weit sein.
Niederländische Forscher lassen Fleisch aus Stammzellen im Brutkasten wachsen. Eine Geschmacklosigkeit?
Der schlanke Vierzigjährige liebt Herausforderungen. Im Urlaub hat er den Kilimandscharo bezwungen. Im Labor will er noch höher hinaus: Wenn seine Träume wahr werden, wird es bald Faschiertes, Würstl und Schnitzel aus dem Bioreaktor geben, ohne dass Tiere dafür sterben mussten.
"Tissue Engineering" heißt das Forschungsgebiet: die Züchtung von Gewebe im Reagenzglas. Anfangs ging es dabei ausschließlich um Humangewebe für Transplantationen. Doch der Gedanke, aus tierischen Zellen Würste und Fleischstücke heranreifen zu lassen, war bald nicht mehr weit.
Die Niederlande gehören beim Tissue Engineering zur Weltspitze: Haut, Knochen, Nervenzellen, Herzgewebe für Humantransplantationen wachsen in niederländischen Labors heran. Nun will man auch in der essbaren Sparte den Durchbruch schaffen.
Roelen öffnet die Tür zu seinem Reich: DNA-Analysegeräte, Mikroskope, Saugapparaturen stehen auf den Labortischen, dazwischen liegen feine Pinzetten und Pipetten. In flüssigem Stickstoff, auf minus 196 Grad gekühlt, lagern in stählernen Tanks Zellproben von Rind, Schwein und Pferd. Mit feinen Nadeln wurden sie "Spender-Tieren" auf Bauernhöfen entnommen, sagt Roelen. "Nicht schmerzhafter als ein Mückenstich."
Stammzellen als Fleischbasis
Fleisch besteht in erster Linie aus Muskelgewebe. Für Geschmack und Textur müssen die Biotechnologen darüber hinaus Fett- und Bindegewebe züchten. Die besten Erfahrungen hat Roelen mit sogenannten adulten Stammzellen als Ausgangssubstanz gemacht. Die sind im Organismus etwa dafür zuständig, dass Wunden verheilen.
Das Prinzip der Fleischmacherei ist simpel: Mit einer Pipette gibt Roelen einige Stammzellen in flaschenförmige Kunststoffbehälter. In diesen Flaschen schwimmen die Stammzellen in einer Nährlösung aus Wasser, Zucker, Vitaminen und Aminosäuren und wachsen über Tage und Wochen zu Muskelzellen und -fasern heran. Derzeit spielt sich das noch im Zentimeterbereich ab. Eines Tages jedoch werde Retortenfleisch in Containern reifen, so der Forscher.
Unstrittig ist, dass die klassische Fleischherstellung Nachteile hat: Als Nebenprodukte entstehen Methangas und Jauche, Millionen Tonnen schadstoffhaltiger Emissionen. Umweltexperten haben errechnet, dass die Tierhaltung das Klima auf der Erde stärker belastet als die Abgase aller Lastwagen, Autos und Flugzeuge zusammen.
Rinder und Schweine etwa müssen sieben Kilogramm pflanzliche Proteine fressen, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren; alle Nutztiere weltweit futtern rund ein Drittel der Getreidevorräte weg. Dennoch will die Menschheit nicht auf Fleisch verzichten. Nach Hochrechnungen der UN-Welternährungsorganisation FAO wird sich der globale Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 auf 460 Millionen Tonnen verdoppeln.
Wenn Roelen und seine Kollegen Erfolg haben, könnten sowohl die hohe Umweltbelastung durch die Landwirtschaft als auch das Leid der Nutztiere bald Geschichte sein. Bisher werden allerdings erst hauchzarte Zellschichten im Bioreaktor gezüchtet.
Das Problem liegt in der Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nahrung. Bei dickeren Gewebestücken, aus mehreren Schichten von Zellkulturen, bräuchte man Blutgefäße zum Transport der Nährstoffe, erklärt Roelen. "Die unten liegenden Zellen sterben sonst schnell ab." Immerhin: Forschern vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston ist es kürzlich erstmals gelungen, Skelettmuskelgewebe zu züchten, das in der Petrischale seine eigenen Blutgefäße ausbildet.
Die technischen Hürden werden sich meistern lassen, sind Fachleute überzeugt. Doch die Revolution der Fleischherstellung könnte an einem anderen Hindernis scheitern: am Konsumenten. Viele Menschen denken bei Retortenfleisch eher an Dr. Frankenstein als an ein genießbares Abendessen. In einer repräsentativen Studie der EU-Kommission lehnten kürzlich mehr als die Hälfte der befragten Personen künstliches Fleisch radikal ab, und nur sechs Prozent äußerten keine Bedenken.
Omega 3 statt Omega 6
Nun wollen die Biotechnologen auch Skeptiker überzeugen: Ihre Produkte werde gesünder sein als klassisches Fleisch, lautete eines der Argumente. Bei Laborfleisch ließe sich zum Beispiel die ungesunden Omega-6-Fettsäuren durch Omega-3-Fettsäuren ersetzen, die besser verträglich sind.
Um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein, dauert das Zellwachstum allerdings noch viel zu lange. Die Forscher versuchen daher, Zellkulturen im Brutkasten durch Elektroschocks schneller dick und fett zu machen. Eine Art Faschiertes herstellen sei der nächste Schritt, sagt Bernard Roelen: "Man könnte das Zellgewebe dann auch rollen und bekäme eine Wurst." Bereits in knapp zehn Jahren werde es Laborfleisch in Supermärkten zu kaufen geben, prophezeit der Biotechnologe. (Till Hein/DER STANDARD, Printausgabe, 22.04.2009)
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Eure meinung ? Ist das die zukunft ?