Moin zusammen,
ich wollte hier mal mein Erfahrung von 13 Jahren Waldorfschule schildern. Ich bin 1990 in eine wenige Jahre zuvor gegründete Waldorfschule einer mittelgroßen Stadt eingeschult worden.
T E I L IAngeregt durch den Waldorfsalat-Podcast und diesen Strang hier ist einiges wieder hochgekommen, das ich zuvor völlig vergessen hatte.
Ich denke, dass in den ersten Jahren dieser Schule dort noch ziemlich massiv gesteinert wurde. Zumindest deckt sich das mit meiner Erfahrung meiner ersten 5 - 6 Schuljahre. Das Gründungskollegium stand in verbindung zur Hiberniaschule, die meines Wissens eher der Betonfraktion angehört(e) (korrigiert mich gerne).
Schön wars in den Kinderjahren - heimelig, irgendwie geheimnsisvoll. Es herrschte dieser unsägliche salbungsvolle Sprech der Lehrer, die Priestergleich mit langsamer bedeutungsvoller diktion und heiliger Miene sprachen und gestikulierten.
Wer das kennt, wird wissen, was ich meine.
Recherchen auf dem Anthroposophenhügel Teil 1
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Hier kommt es bei minute 8:04 ganz gut raus. Übringens schien unserer damiliges Lehrerzimmer oder andere Räume die exakte Kopie dieses Raumes zu sein. Selbe Stühle, Farben... der Tisch..
Diese unbeschreibbare Aura des Geheimnisvollen war allgegenwärtig. Als ich vor ca. 10 Jahren in einer Ausstellung zur Waldorfarchitektur inklusive Innenräume war. Erlebte ich diese Aura noch einmal. Allerdings kam jetzt ein weiteres Gefühl hinzu: nämlich etwas Erdrückendes Weltfremdes, Surreales. Es war wie ein Traum, in dem die Phantasiewelt gerade im Begriff ist, von einer mystischen Erfahrung in dieses mulmige Gefühl überzugehen und sich zu einem Albtraum entwickeln könnte.
Als ich in dieser Ausstellung dieser unheimlichen Atmosphäre ausgesetzt war - die Formen der Lampen, die Möbel, die Farben, Modelle des totenschädelgleichen Götheanums, die Steinerbilder, die Eyrythmiebilder, Aquarelle, die ich eins-zu-eins wieder erkannte - erlebte ich dieses unangenehme Gefühl ziemlich intensiv.
Ich bin nicht traumatisiert oder so, aber da ich nach vielen Jahren plötzlich und intensiv dem gesamten Anthro-Frenchise-Krempel ausgesetzt war, wurde mir klar, dass der ungute Anteil dieses Gefühls nicht aktuell kam, sondern ich ihn auch von früher kannte. Ich hatte es vermutlich als Kind nicht einordnen können und es einfach vergessen.
Unabhängig von mir wurde es meinem Vater (kein Waldi) übrigens auch mulmig und wir verließen die Ausstellung.
Für mich ist diese Ambivalenz zwischen heimeliger Geborgenheit mit Mosgärtlein und Adventsspirale gegenüber der Weltfremdheit, Morbidität, und Gruselig-Surrealem ein Ausdruck meines jetzigen Bildes dieser Schulzeit in den ersten Jahren.
Auch die Lehrerpersonen waren (nicht alle) surreal, priesterhaft. Ein abgeschlossener Raum - eine Welt unter einer geschlossenen dumpfen Glocke, fernab der Realit im außerschulischen Leben.
Nach dieser zugegebenermaßen sehr subjektiven Schilderung komme ich nun zu den konkreten Erinnerungen meiner Geschichte mit den Anthros. Mein derzeitiges Urteil wird am Ende dieser Beschreibung ebenso ambivalent sein.
Lieb war es in der ersten Klasse. Kümmerig und geborgen. Das bleibt ungenommen und es hat mir als emotionalem Spätentwickler sehr gut getan, noch einzwei Jahre mehr Kind sein zu dürfen und noch nicht der brutalen Realität ausgesetzt zu sein.
So emotional verzögert ich mich entwickelte, war ich im Gegensatz dazu intellektuell sehr weit vorne. Ich konnte bereits vor der Schule lesen und eigene Geschichten schreiben, hatte z.B. beide Bände Grimms Märchen im Urtext (außer die Plattdeutschen vermutlich) schon intus. Kinderbibel, Astrid Lindgren und anderes kam im Laufe der Zeit sehr schnell dazu.
Kurzum war ich extrem unterfordert, wenn einer 32-Köpfigen Klasse in quälender Langsamkeit irgendein Buchstabe in einer Dauer von gefühlt zwei Wochen erklärt wurde. Er wurde gemalt, mit Geschichten umrankt, in Sprachübungen verpackt. Wärend die langsamsten unter uns noch unter liebevollster geduldigster Animation des Papas...-äh.. Klassenlehrers
"Braunbär brummelt am Birnenbaum"
stammelten, hab ich vermutlich schon unterm Tisch Michael Endes Wunschpunsch oder ähnliches gelesen; ein Buch, das von meinem Lehrer glaube ich auch mal einkassiert wurde.
Diese Unterforderung zog sich anfangs durch viele Fächer. Englisch hatte ich durch spielen mit englischen Kindern teilweise schon aufgeschnappt - also konnte mir auch hier anfangs nichts geboten werden, dass mich vom Hocker gerissen hätte.
Die Rassentheorie mit den Ariern, Atlantis und dieser ganze (sorry) Bullshit hatte ich bis heute völlig vergessen. Aber wir hatten das alles. In ein paar Dokus sah ich meine Epochenhefte wieder. Kein Wunder: ist ja teil des Steiner Frenchise.
Zusätzlich zur Unterforderung kam jetzt auch noch hinzu, dass ich diesen ganzen Esotherik Quark als genau das entlarvte, was er ist. Ich erinne mich teilweise an den Menschen, der als Krone der Schöpfung unsäglich überhöht wurde. Ich konnte das mit dem, was ich von Löwenzahn oder Sendung mit der Maus kannte nicht vereinbaren, weil dort ja z.B. Umweltterstörung auch behandelt wurde.
Meine Eltern hatten uns vor längerer Zeit schon anhand von Obst die groben geometrischen Verhältnisse von Erde und Sonne am Abendbrotstisch erklärt - als mein Lehrer programmgemäß und mit weiser Priesterlichkeit ein geozentrisches Weltbild präsentierte.
Ich glaube, das war eine Art Kipppunkt. Zuvor hatte ich mich wegen der Unterforderung zu einem Störenfried entwickelt, der ständig rumblödelte und sehr oft auch rausgeschmissen wurde. Jetzt aber empfand ich diesen Quatsch vermutlich als Beleidigung meines Intellekts. Es kam jetzt hinzu, dass ich die Lehrer - insb. den Klassenlehrer - nicht mehr ernstnahm. Ich wurde renitent, frech und aufmüpfig und rebellierte. Ich wurde zum persönlichen Arschengel des Klassenlehrers.
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Da ich jetzt erstmal weg muss, folgt bald Teil II