Kältezeit schrieb: Dann kenne ich wohl sehr viele Lehrer, die laut deiner Definition keinen guten Unterricht gestalten.
Dann solltest du mal daran arbeiten, gute Staatsschullehrer kennenzulernen, damit du kein einseitiges Bild vermittelst :-).
Kältezeit schrieb:Ist aber Inhalt des Artikels den ich hier verlinkt habe und doch, ich sehe den Unterschied gerade in der Didaktik und nicht im "elitären Kreis", der diese Schulen formt. Das ist in meiner Schule sehr durchwachsen.
Natürlich gibt's da Akademiker und andere Oberschichtler, aber eben auch genug Leute wie uns, die das trotz niedrigerem Budget ihren Kindern ermöglichen wollen.
Ich arbeite an einer Brennpunktschule - da bist du sehr froh, wenn du einen Schüler oder eine Schülerin hast, die von einem Elternteil betreut wird und im Fokus dieses Elternteils ist - und das Elternteil vernünftige Entscheidungen für das Kind trifft und Stuktur und "basics" einfordert - daher würde ich den elitären Kreis nicht nach dem Einkommen definieren, sondern nach dem "Vernunftfaktor" der Eltern und der Bereitschaft, sich mit dem eigenen Kind zu beschäftigen.
Doors schrieb:Meine beiden Jüngsten gingen auf eine Gemeinschaftsschule, da reichte die Spannweite der Eltern vom Unternehmer bis zum ALG-II-Empfänger, vom Grossbauern bis zum Frührentner.
Doors schrieb:Inzwischen sind die beiden schon längst aus der Schule raus und stehen mit beiden Beinen fest in der Arbeitswelt im Bereich Film/TV bzw. Werbewirtschaft, sind politisch, sozial und kulturell engagiert.
Ich arbeite seit 20 Jahren an der gleichen Schule - leider muss man sagen, dass sich die Bedingungen an meiner Schule im letzten Jahrzehnt stetig verschlechtert haben und dass man heute Gemeinschaftsschulen oder auch Realschulen nicht mehr mit der Schulart vor 10-20 Jahren vergleichen kann. Warum? Hier ein Einblick in den Alltag:
Bei uns in B-W fiel so gegen 2008 oder 2009 die verbindliche Grundschulempfehlung weg, d.h. es zählt heute nur noch der Elternwille, auf welche Schulart das Kind nach der Grundschule wechselt. Das alte System (Lehrer empfiehlt verbindlich) hatte schon auch seine Tücken, aber z.B. an meiner Schule hast du Klassen mit bis zu 50% der Schüler, die gar keine Empfehlung für die Schulart bekommen haben - bei manchen klappt das erstaunlich gut, beim Großteil zeigt sich jedoch schnell, dass die Kinder überfordert sind, zu Hause keine angemessene Förderung erhalten und die Schule alleine die großen Lücken nicht aufarbeiten kann: Schnell entwickeln die Kinder dann Verhaltensauffälligkeiten im Unterricht, die den Unterricht für alle "bremsen".
Der Anteil an verhaltensauffälligen Kindern ist ohnehin gestiegen - bei uns in B-W schlossen viele Sonderschulen. da das Ziel eine Integration der Kinder war - an sich eine sehr schöne Idee, leider kein Personal. Da hast du nun 30 SuS in der Klasse, 15 ohne Empfehlung für die RS, die du eigentlich besonders fördern musst, und 10 davon, die einfach schon Probleme haben, sich an Regeln zu halten - die musst du auch besonders im Auge behalten. Bei uns an der Schule sind ca. 15 davon Schülerinnen und Schüler, die Deutsch nur in der Schule sprechen, d.h. eigentlich musst du dieses Defizit auch noch ausgleichen. Nun hast du aber beispielsweise noch einen Autisten, der eine Einzelintegration durchläuft und z.B. 10 Stunden eine Unterrichtsbegleitung hat (auf dem Papier) - wenn du Pech hast, ist die mehr krank als da.
Nun ein Beispiel, wie ein Schulalltag ablaufen kann. Du hast 90 Minuten Biologie und das Ziel ist, die Verwandlung von Kaulquappe zu Frosch zu besprechen. Du kommst pünktlich zum Unterricht - zwei deiner verhaltensauffälligen Schüler haben sich aber schon in die Wolle bekommen und geprügelt - Stimmung ist so aufgeheizt, dass du zwei weitere Kollegen bittest (ich gendere nun nicht), dir zu helfen = es findet in drei Klassen nun kein Unterricht statt. Die Klärung des Vorfalls dauert 20 Minuten, der Aggressor ist völlig uneinsichtig, du bringst ihn zur Schulleitung - die hat aber keine Zeit. Du setzt ihn extra, gehst und beruhigst die Klasse. Nach 30 Minuten kann der Unterricht starten.
Nun kannst du nicht mit einer Kaulquappe einsteigen - die glauben sonst, es ist ein Spermium - ganz viele unserer Schüler gehen nie aus ihrem "Kiez", die wissen nicht, dass es Frösche gibt bzw. wissen nichts über Frösche (hier ist, wo die Mittelschichterziehung greift, diese Kinder wissen das). Du bringst sie also auf den Stand. Dabei hast du aber noch die 15 SuS ohne ausreichende Deutschkenntnisse, du führst also nebenher die Vokabeln Amphibie, Frosch, Kaulquappe, Tümpel, Laich ... ein. Wenn du Pech hast, kommen sie aus einem Teil der Welt, wo es keine Amphibien gibt und du musst erst mal grob Vorwissen aufbauen.
Erledigt - 15 Minuten gebraucht - 45 Minuten vergangen. Nun zum eigentlichen Unterrichtsbeginn: Geht nun leider doch nicht, weil dein Schüler auf dem Gang beginnt, sich zu langweilen und den Unterricht in der Parallelklasse stört - also wieder zur Schulleitung. Die hat keine Zeit, glücklicherweise ist beim Sozialarbeiter ein Termin weggefallen, der kann sich kümmern. Zurück ins Klassenzimmer. Da ist nun dein Autist total gestresst - weil ihn das immer stresst, die Lautstärke, die vielen Schüler, kein Lehrer, .... du bringst ihn kurz auf den Gang - verteilst aber eine Stationenarbeit. Du beruhigst den Autisten und bringst ihn zurück.
80% der Schüler haben noch nicht anfangen. Du klärst, wo die Schwierigkeiten im Einzelnen sind. Dein nach dem Autisten schwierigster Schüler fängt nicht an - du führst ein Einzelgespräch. Dann hast du noch zwei SuS, wo du dich fragst, warum sie auf der Realschule sind, sie haben einen reduzierten IQ - du hast die Stationenarbeit schon differenziert für sie, aber sie schaffen es ohne Hilfe trotzdem nicht - du darfst auch nicht zieldfferent unterrichten, dein Unterricht soll ja Realschulniveau haben, .... Fünf Minuten läuft es, dann klopft der Kollege nebenan ... einem Schüler ist heftig schlecht geworden, er muss ins Krankenzimmer, du musst die Klasse mit übernehmen. Du schaffst es nur, sie ruhig zu halten, aber nicht, dass jemand weiterarbeitet ...
So ist Unterricht derzeit. Daher will den Job auch niemand mehr machen und der Burnout bei Lehrern ist so hoch.
Wenn du dann eine Schule mit gemäßigter Schülerschaft hast, dann ist dein Wirkungsgrad als Lehrer besser - das würde ich aber den extrem schlechten Bedingungen auf der staatlichen Schule und nicht der Waldorfschule zuschreiben.