Waldorfschulen
25.06.2020 um 21:20
Ich (Lehrerin, nicht Waldorf) antworte hier auch mal (habe glaube ich schon mal mitgeschrieben) - wobei man einschränkend sagen muss, dass Waldorfschule nicht Waldorfschule ist.
Zunächst mal -klingt trivial- ist die Waldorfschule eine Privatschule. Wenn eine Privatschule gut läuft, hat sie einige Vorteile: Man kann sich die Schüler aussuchen und damit einige Probleme von vorn herein ausschließen. Weiter eingeschränkt ist das Interessentenfeld dadurch, dass die Schule meistens so 10% des Einkommens der Eltern kostet und eine bestimmte Anzahl der Stunden an Elternarbeit eingefordert wird. Du bekommst also Kinder von Eltern, denen das Kind so viel Geld wert ist und die bereit sind, sich einzubringen. Das ist -m.E. - ein großer Vorteil gegenüber staatlichen Schulen.
Das Konzept hat durchaus Vorteile - man geht ganzheitlich vor, berücksichtigt Landwirtschaft, Natur, musikalische Erziehung und fokussiert auf die unbeschwerte Kindheit und öffnet Phantasiewelten wie Märchen- und Feenlandschaften - auch davon würden viele "Regelschulkinder" profitieren. Im Kindergarten gibt es eine klare Struktur, es wird mit allen gebastelt und es werden nicht nur "Angebote" gemacht, mit denen v.a. Dreijährige ziemlich überfordert sind.
Als Eltern und Kind findet man schnell Anschluss und wird Teil einer Gemeinschaft, was sich wieder sehr positiv auf das eigene Kind auswirken kann.
Warum ich trotz allem meine Kinder nicht hinschicken würde:
Unterrichtsstandards
Die Waldorfkinder haben keine Bücher, der Lehrer "entscheidet". Ehrlich - es gibt Tage, da bin ich über Buch und roten Faden froh. Z.B. in Fremdsprachenunterricht gibt mir das Buch die Lernschritte vor, ich habe Zugang zu authentischem Lernmaterial, ich vergesse nichts und habe Zugang zu differenziertem Übungsmaterial - ich muss ja 27 Stunden die Woche unterrichten, nebenher noch Klassenarbeiten korrigieren, den Konferenznachmittag überleben, Elternarbeit machen, etc. Ich komme ehrlich und wirklich auf 40+ Stunden die Woche. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man das als Lehrer ohne "roten Faden" schafft. Dazu kommt ja auch bei Waldorf, dass Waldorfkind nicht Waldorfkind ist - du hast ja bis zu 40 Schüler in der Klasse, vom superschlauen Überflieger bis zum Kind mit Lernschwierigkeiten. Du musst also binnendifferenzieren. Dazu kommt aber, dass du deine Klasse ja von Klasse 1 bis 13 führst, d.h., der übliche Lehreralltag "morgen sechs Stunden und Pausenaufsicht" - ah, die Doppelstunde habe ich erst letztes Jahr gehalten (Ordner zieh - was habe ich denn da gemacht ...), die dritte und vierte muss ich neu vorbereiten und bei der fünften funke ich Kollegin A an, ob die Material hat - das fällt flach. Waldorfrückläufer auf unsere Schule haben mitunter riesige Wissenslücken, die auch mal ein oder zwei Schuljahre umfassen können.
Fixierung auf einen Lehrer
An Gymnasium/ anderen weiterführenden Schulen sind meine Kinder mit vielen Lehrertypen konfrontiert und lernen, mit ihnen zu interagieren. Ich finde schon das Grundschulprinzip mit der einen Lehrkraft bedenklich - wenn du Glück hast, super, aber nicht jedes Kind hat viel Glück und wenn du die Eule erwischt, dann hast du ein echtes Problem. Falls dich an der Waldorfschule 13 Jahre lang eine Eule hast ....
Fehlende Abschlussmöglichkeiten
Du musst immer die Schulfremdenprüfung machen, weil die Schule nicht staatlich anerkannt ist. Das ist immer ein Risiko, weil es immer auf deine Performance an diesem Tag ankommt. Auch bist du sehr eingeschränkt: Hier gibt es z.B. in der gymnasialen Oberstufe die Möglichkeit, nochmals auf z.B. ein berufliches Gymnasium mit anderen Schwerpunktfächern zu wechseln. Mit 16 wissen viele Kinder, wohin die Reise geht und was sie vertiefen wollen und was nicht. Bei Waldorf hängst du fest, auch wenn du lieber einen WirtschaftsLK haben würdest oder Latein lernen.
Erzwungene Parallelwelt
Waldorf bietet dir eine Parallelwelt - über das Kindergarten- und frühe Grundschulalter hinaus. Allen würde mehr Kindheit gut tun, aber diese zum Teil erzwungene Fokussierung auf Feen, Zwerge, heile Welt etc. - das ist befremdlich und nicht zeitgemäß. Kinder werden sehr kindlich gehalten - und, egal, was der Entwicklungsstand ist, werden sie erst mit sieben eingeschult - zu der Zeit war meine Tochter schon 1,5 Jahre mit sehr viel Spaß in der Schule. So Gott will, wird sie nach dem Abi für ein Jahr ins Ausland gehen - das Jahr finde ich da sinnvoller angelegt, als ihr die Einschulung zu verwehren. Und wenn du ehrlich bist - Waldorf sieht immer aus wie Waldorf :-).
Fehlende MedienerziehungUnsere Kinder leben in einer visuell geprägten Mediengesellschaft - der Waldorfansatz, dass es keinen Konsum geben sollte - (mitunter wird ja beim Hausbesuch des Lehrers der Fernseher versteckt) ist auch problematisch, vielmehr sollte ein verantwortungsbewusster Umgang mit Medien gelehrt werden.
Druck der Gemeinschaft Die enge Gemeinschaft erfordert Anpassung - es gibt auch einen Konsensmeinung, der man sich anschließt - oder so tut. Ich weiß von Leuten, die ihre Kinder "heimlich" geimpft haben, sich aber öffentlich gegen Impfungen ausgesprochen haben, weil das die Erwartungshaltung war. An unserer Waldorfschule gab es schon mehrfach große Probleme mit Infektionskrankheiten (z.B. ein massiver Ausbruch an Keuchhusten), bei denen das Gesundheitsamt gefordert war.
Bedenkliche LehreViele Argumentationen machen keinen Sinn - Kinder können erst eingeschult werden, wenn sie den Zahnwechsel hinter sich haben - kein Witz, mein 12 Jähriger hat noch immer viele Milchzähne und ist nun in der 6. Klasse, er hatte bis zur 2. Klasse keinen einzigen Zahnwechsel ... vermutlich wäre er nach Waldorfkriterien noch immer nicht schulfähig.