Körperwelten, plastinierte Leichen, Kunst aus Leichen.
07.02.2008 um 22:47
Hallo!
Ich habe nun nicht den gesamten Thread durchgelesen, aber ich möchte trotzdem einen Kommentar zum Thema abgeben:
Ich habe die Körperweltenausstelltung während meines Medizinstudiums zweimal besucht und ich muß meine Meinung eigentlich etwas differenzierter darstellen.
Wir haben im Medizinstudium ja den sogenannten Präpkurs, also einen Kurs, in dem man durch Formalin konservierte Leichen zerlegt und auf diesem Wege die Anatomie des Menschen erlernt. Dieser Kurs war zugegebenermaßen einer der interessantesten des Studiums, er hat mich sehr fasziniert und ich habe auch später im Studium nebenher noch als Assistent im Präpkurs gearbeitet, weil es einfach auch Spaß gemacht hat, das Wissen an die nachfolgenden Studenten weiterzugeben.
Der Präpkurs ist ein essentielles und wichtiges Mittel, um den Aufbau und die Anatomie des Menschlichen Körpers zu erlernen, es ist einfach von grundlegender Wichtigkeit, daß man die Dinge nicht nur lernt, sondern im wahrsten Sinne des Wortes auch "begreift".
Nun präparieren im Kurs aber Studenten in den unteren Semestern, unter Anleitung der Assistenten und Professoren, da gehen auch schonmal Dinge schief, wichtige Strukturen werden durchtrennt, Nerven einfach abgeschnitten, Blutgefäße mitsam dem Fettgewebe weggworfen etc., so daß zwar ein großer Lerneffekt entsteht, oftmals aber nicht genau das perfekte Präparat, das man sich wünscht - und das ist im großen und ganzen auch gut so.
Kommt man aber vor diesem Hintergrund in die Körperweltenausstellung, dann eröffnet sich einem ein gänzlich neuer Kosmos. Man sieht fantastische Präparate und Strukturen, wie man sie sich während des Anatomiekurses zum lernen nur so gewünscht hätte. Ich kann nicht behaupten, daß ich mich dieser Faszniazion entziehen konnte, im Grunde hat man sich gefühlt wie ein Kind mit zehn Jahren und Weihnachten und Geburtstag gleichzeitig.
Andererseits, sehe ich aber auch die Kehrseite der Medaille, der Bildungsanspruch wirkt deutlich vorgeschoben, es stellt sich die Frage, ob jemand, der keinerlei medizinische Vorbildung hat, wirklich so viel mitnimmt aus der ganzen Geschichte - abgesehen von der Tatsache eben, daß er mal einen Blick "hinter die Kulissen" werfen durfte. Ein gewisses Maß an Voyeurismus ist da auch dabei, und daran appelliert diese Ausstellung meiner Meinung nach bewusst.
Weiterhin erhebt die Ausstellung ja auch einen künstlerischen Anspruch, wobei ich mir hier die Frage stelle, ob das in diesem Zusammenhang angebracht erscheint. Es liegt mir fern, darüber zu urteilen, aber seit Beginn meines Studiums habe ich die Anatomie immer als grundlegende Wissenschaft angesehen, die es uns ermöglicht, unseren Beruf gut auszuüben - obgleich sie natürlich einer gewissen Ästhethik nicht entbehrt.
Und obwohl viele anatomische Darstellungen wirklich kunstvoll sind, scheue ich mich dennoch irgendwie sie als künstlerische Disziplin anzusehen, was in den Körperwelten aber ja schon zum Teil so passiert.
Solange aber die Spende der Körper freiwillig vonstatten geht, kann ich keine Verletzung der Würde des Menschen erkennen, etwas anderes wäre es, wenn die Herkunft der Leichen wirklich obskur wäre, darüber kann ich aber kein abschließendes Urteil fällen. Wenn jemand aber seinen Körper für diese Zwecke zur Verfügung stellt, dann tut er dies in vollem Bewußtsein, was nach seinem Tode mit ihm passiert. Außerdem ist die Darstellung ja durchaus ästhetisch und keine Leichenfledderei.
Zur Person des Gunther von Hagen selbst: mir ist der Mensch nicht sympathisch, aber so wirklich kann ich seine Seriösität nicht einschätzen, man steht halt immer zwischen den Stühlen, was nun Wahrheit und Unwahrheit angeht. Er hat seine Verfechter und seine Feinde, und beide versucehn das Ihrige in die Waagschale zu werfen, was dabei herauskommt, dürfte ein deutlich verschwommenes Bild sein.
Abschließend kann ich nur sagen, daß die Körperwelten sicherlich eine kommerzielle Veranstaltung sind, die zu einem gewissen Teil auch auf Voyeurismus und Sensationsgier abzielen, andererseits aber auch sehr ästhetische und gute Einblicke in den menschlichen Körper gewähren.
Es wird niemand gezwungen hinzugehen, diejenigen, die es sehen wollen, können es tun, und alle anderen sollten es einfach bleiben lassen.
Ich und die meisten meiner Mitstudenten haben es jedenfalls nicht bereut, mal dort gewesen zu sein!
Sebastian