cavalera schrieb am 16.04.2021: Niemand wird dazu gezwungen seine Lebenszeit an einen Arbeitgeber zu verkaufen und den hart verdienten Lohn für große Autos, teure Klamotten und sonstiges Gedöns auszugeben. Ich glaube man nennt es auch die „Lifestyle-Inflation“ wenn mit steigendem Einkommen die Ausgaben immer größer werden.
Das kannst du ja kontrollieren - ich glaube eher, dass jeder so ein "Finanzmindset" hat. Ich finde es z.B. immer witzig, wenn in Foren gefragt wird "wie viel spart ihr im Monat"? Das könnte ich gar nicht sagen - ich bin ein Fan von niedrigen Fixkosten und es gibt Monate, da leiste ich mir einfach was, z.B. wenn meine Kinder alle neue Winterschuhe brauchen - oder wir fahren in Urlaub, oder ... dann gibt es Monate da kaufen wir nur Essen und Benzin.
Es ist mehr so, dass es eine Gesellschaftsschicht gibt, die alles Geld bis zum Anschlag ausgibt. Beispiel: Wir haben vor einigen Jahren ein Haus gekauft. Wir haben davor einige Punkte festgelegt, die uns wichtig waren (jedes Kind ein eigenes Zimmer, kein so großes Grundstück (ich mag Gartenarbeit nicht so gerne), das Gymnasium musste mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein). Der Typ von der Bank fand das voll "drollig" und sagte immer "Sie können sich viel mehr leisten". Das war vor vier Jahren. Mr Mary arbeitet in der Gastro- Eventbranche. Seit März letzten Jahres hat er kaum eigenes Einkommen generiert. Ich bin so froh, dass ich auf meine innere Stimme und nicht auf den Bankmensch gehört habe (wir haben ein Einfamilienhaus "gehobene Ausstattung" angeschaut, mit Pool und Felderblick - hätten wir das gekauft, wären wir nun schon in er Finanzfalle). Auch wenn meine Kinder dachten, ich bin die volle Spaßbremse und Mr. Mary auch dem Bankheini vertraut hätte.
rhapsody3004 schrieb am 18.04.2021:Geld macht zwar freier, aber gleichzeitig auch abhängig. Abhängig von Arbeit, die Geld bringt. Und das umso mehr umso höher die eigenen Ansprüche sind, denn umso mehr Geld und vor allem regelmäßig braucht man und umso abhängiger ist man auch von Arbeit, die Geld bringt.
Die Abhängigkeit und ein seltsames Mindset hast du auch ohne Geld :-)). Eine Kostprobe wie sich Armsein anfühlt: Ich habe 10 Jahre am absoluten Existenzminimum gelebt und hatte sehr diskrete Wege, das zu kaschieren. Du hättest es mir damals nicht angesehen - aber es macht etwas mit dir ... wenn du wochenlang z.B. Bananen isst, weil das das billigste Obst im Supermarkt ist. Wenn du Mahlzeiten ausfallen lässt, damit du Rechnungen bezahlen kannst. Wenn du kein Geld hast -und keinen Plan B- hast du viel Stress und Angst, dass irgendwas passiert, das du nicht unter Kontrolle hast.
Ich hatte damals einen 450€ Job. Von dem war ich so abhängig, das war meine Lifeline. Es war ein Job in der gehobenen Gastro. Da kellnerst du Samstagabend einen 80ten Geburtstag und servierst Essen, das du dir nie leisten könntest und wo der Preis für eine Portion dein Essenswochenbudget für zwei Wochen übersteigt und du kommst dir echt doof vor, so schäbig, so, als ob du nicht dazu gehörst und zu einem anderen Level Menschen gehörst (Manche Gäste sind supernett, andere sind totale Snobs). Du bedienst den gesamten Abend die eine Geburtstagsparty - der Gastgeber investiert gut 100€ pro Person, hat 80 Leute eingeladen und rundet am Ende das Trinkgeld für die sechs Kellner auf 20€ auf - also 3€ für jeden. Ohne die Party hättest du viel mehr verdient und dein Gehalt war darauf abgestimmt, dass es 10% der Summe sind - war lange vor dem Mindestlohn. Somit hast du an dem Abend nicht mal 4€ die Stunde verdient. Du musst also ewig lang klotzen, um auf die 450€ zu kommen und hoffst, dass du auf diese Stunden kommst.
Und manchmal, wenn der Koch gute Laune hat, versteckt er dir ein wenig von dem Kalbsfilet + Beilage in deinem Spind - du kommst nachts um drei, totmüde, in die Umkleide und freust dich über ein kostenfreies tolles Essen für den Folgetag - schmuggelst es durch das kleine Fenster der Umkleide raus (und hast Angst, wenn du erwischt wirst, dann bist du den Job los), holst es, hoffst, dass der Hund nicht anschlägt und dich das Chefehepaar nicht erwischt - und dann läufst du 5km vom Landgasthof zu deiner Studibude, weil dir irgendein Idiot mal wieder vor ein paar Wochen das Fahrrad geklaut hat und du nun wieder auf ein neues sparst und hoffst, dass dir unterwegs nichts Schlimmes passiert. Du bist totmüde, es ist nun fast drei Uhr nachts und bei jedem Auto, das da kommt, hast du Angst. Dann kannst du eine Weile nicht einschlafen, weil du dich über den Abend ärgerst, Angst hast, dass du nicht mehr auf die 450€ kommst und ein schlechtes Gewissen, wegen des geklauten Kalbsfilets hast - auch wenn dir der Gast deinen Lohn "geklaut" hat.
Du wachst am Sonntag mit riesigem Hunger auf - und isst Kalbsfilet zum Frühstück und hoffst, dass du den restlichen Tag satt bleibst. Dann setzt du dich an den Unistoff und träumst davon, dass du eines Tages, nach dem Abschluss, das 10qm Zimmer zur Untermiete im Keller verlassen kannst und das führst, was "Leben" ist. Momentan "existierst" du die meisten Tage - das ist billiger, während du das Gefühl hast, das Leben rauscht an dir vorbei. Es ist so paradox, du lebst in einer Großstadt und kannst z.B. nicht auf ein Konzert deiner Lieblingsband, weil die Konzertkarte fast so viel wie deine Monatsmiete kostet. Du fühlst dich wie hinter einer Scheibe - du siehst Leute Dinge tun, die für dich unerreichbar sind.
rhapsody3004 schrieb am 18.04.2021:Frei sind eigentlich nur die, die für Geld nicht mehr arbeiten müssen (von Steuerabgaben mal abgesehen) oder die, die sich grundversorgen lassen (von den Auflagen/Pflichten mal abgesehen)
Die letzteren unterliegen ja sehr vielen Auflagen vom Arbeitsamt - und frei bist du nur, wenn du dir auch Dinge leisten kannst, die du auch gerne machst. Wenn du sehr reich bist (von passivem Einkommen leben kannst) - kommt es auf dich und deine Lebensgestaltung an, ob du wirklich komplett frei bist oder nicht.