Kephalopyr schrieb:Muss man jetzt eigentlich hier in Deutschland wirklich Angst vor einer Pandemie haben? Ich schaffe es zeitlich leider nicht alle Kommentare hier mitzulesen, daher muss ich hier mal so damit hineinplatzen. Ich mache mir echt nur noch Sorgen diesbezüglich und leider weiß man ja nun auch nicht, wem man glauben kann bezüglich der Medien und so.
Ich kann deine Sorgen verstehen und würde mich dazu gerne äußern, da ich Ärztin bin und die Situation aufgrund privater Kontakte nach Hongkong bereits seit langem aufmerksam verfolge. Zudem wohne ich in Düsseldorf und wohne daher recht nahe an den neuesten Ausbrüchen.
Eine Pandemie ist zunächst einmal nur eine Ausbreitung über mehrere Kontinente. Ob das unsere Situation vor Ort großartig ändert, ist zumindest in naher Zukunft nicht zu erwarten.
Wir werden hier in Mitteleuropa höchstwahrscheinlich eine Epidemie zu erwarten haben, und ich gehe davon aus, dass die WHO auch bald eine Pandemie verkündet.
In Fachkreisen wird das Coronavirus als gefährlicher als die saisonale Grippe, also das Influenzavirus, gehandelt. Das hat verschiedene Gründe, die ich gerne beleuchten würde. Zum einen liegt es an dem Virus selbst.
1) Bei Viren, die von der Tierwelt auf den Menschen als Wirt übergehen, ist es typisch, dass das Virus sich noch nicht an den neuen Wirt "angepasst" hat. Daher kommt es zu sehr unterschiedlichen und unvorhergesehen Verläufen. Während die Influenza-Grippe vor allem ein Risiko für Ältere und geschwächte Menschen darstellt, kann man dies nicht so auf das Corona-Virus übertragen. Die ursprünglichen Meldungen aus China sind diesbezüglich falsch. Hiesige Experten vermuten, dass dies zum Teil zur Beruhigung des medizinischen Personals dort geschah. Mittlerweile gibt es zahlreiche Fälle von Menschen ohne Vorerkrankungen jüngeren Alters, die schwere Verläufe gezeigt haben oder gestorben sind. Dennoch, die Zahl ist nicht allzu hoch.
Typischerweise nimmt die Aggressivität eines Virus während dem Anpassungsprozess ab (Das SARS-Virus von 2003 ist sogar völlig "verschwunden". Einige Virologen vermuten, dass es mutiert ist und dabei stark an seiner Pathogenität eingebüßt hat). Das gibt uns also schon mal Hoffnung.
2) Unser Immunsystem hat mit diesem Virus bisher noch nichts zu tun gehabt - während die meisten von uns in ihrem Leben bereits 1-2 Mal oder häufiger mit der Influenza in Kontakt gekommen sind, ist dieses Virus für unseren Körper neu. Und das bedeutet leider, dass manche Menschen eine "überschießende" Immunreaktion haben - das ist aber keinesfalls gut, weil das den Körper ab einem Punkt mehr schwächt als schützt.
3) Es besteht keine Herdimmunität durch Impfungen in der Bevölkerung, sodass dieser Schutz - gerade von Risikogruppen (Ältere Menschen, Vorerkrankte, Krebspatienten etc.) - nicht vorhanden ist.
4) Im Gegensatz zur Influenza haben wir keine erprobten Medikamente.
5) Die Sterblichkeit ist etwas höher als bei der Influenza. Die Zahlen schwanken je nach Bericht, ich gehe derzeit von einer durchschnittlichen Sterblichkeit von ca. 0,5-1% aus. Ab dem Alter von 60 Jahren allerdings schon 3,6 %, ab 70 8 %, und bei den über 80-Jährigen ca. 15%.
Wir haben aber auch einige Probleme, die durch unser Gesundheitssystem hervorgerufen werden.
1) Wir haben leider absolute Lieferengpässe und Unterversorgung von schützenden FFP2/FFP3-Masken. Die chirurgischen Masken aus dem Fernsehen sind nicht zum Eigenschutz geeignet. In manchen Krankenhäusern sind kaum welche vorhanden. Das wird unser Personal vor viele Schwierigkeiten stellen, da mind. FFP2-Masken vom RKI empfohlen werden. Wichtig ist, dass die Produzenten in Europa jetzt viel nachliefern und nachproduzierten.
2) 5-10% der Patienten zeigen einen schweren Verlauf, einige davon müssen künstlich beatmet werden - wir haben, sollte es zu einer Situation wie in Italien kommen, vermutlich nicht genug Personal und Intensivstation-Betten, um das deutschlandweit zu Verfügung zu stellen. Daher ist wichtig, eine Verbreitung zu verzögern (dabei können wir alle helfen), sodass nicht auf einen Schlag sehr viele Betten benötigt werden.
3) Aus meiner Erfahrung der letzten zwei Wochen kann ich sagen, dass viele Praxen und Krankenhäuser nicht wissen was sie tun sollen und überfordert sind. Auch das Personal hat Angst. Heute saß in Düsseldorf ein Verdachtsfall 4 Stunden in der Notaufnahme, bevor jemand erkannt hat, worum es sich handelt. Die Aufregung war danach groß, die Person hatte dadurch flüchtigen Kontakt zu fast 50 Menschen im Krankenhaus. Solche Szenen habe ich heute auch von zwei anderen Kollegen in anderen Krankenhäusern gehört.
4) Je mehr Fälle wir haben, desto schwerer wird die Nachverfolgung der Infektionskette. Ich denke, wir werden das schon bald nicht mehr stemmen können. Dann wird es darum gehen, mehr Isolationsbetten und Material zu sammeln um die Fälle so gut es geht zu versorgen. Ich denke, wir werden das irgendwie hinkriegen.
Kephalopyr schrieb:WO stehen die wirklich wahrhaftigen Fakten, wie die Situation momentan aussieht?
Ich finde die Updates des Robert Koch Institutes (www.rki.de) als nicht ausreichend zufriedenstellend. Ich schaue daher zusätzlich auf der Seite der WHO da sie dort regelmäßig Situation Reports hochladen (
https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports), des European Center of Disease Control und finde die Beiträge von Prof. Dr. Kekulé sehr verständlich und präzise formuliert. Dieser Beitrag von ihm neben seinem Auftritt bei Markus Lanz gestern Abend finde ich sehr gut:
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/coronavirus-pandemie-lungenkrankheit-virologie-alexander-kekuleKephalopyr schrieb:Es kommt dann auch irgend ein Spahn daher (Weiß nicht wer das sein soll) und schwört eine Pandemie für Deutschland herauf! -_- Dank dieser Aussage habe ich einfach nur noch Angst, dass die Erde in einigen Wochen aussieht wie bei World War Z !!! Natürlich keine Zombies, aber soll DAS das "Ende" sein?!
Das RKI hat drei Stufen der Verbreitung und Handhabung des Coronavirus definiert. Wir sind gestern innerhalb von 24 Stunden von Stufe 1 auf Stufe 2 gegangen. Bei dieser Geschwindigkeit ist eine Unterbindung der Verbreitung in Deutschland unwahrscheinlich, da man die Infektionsketten nicht bis auf Patient 0 zurückverfolgen und damit stoppen kann, daher bereitet Spahn Deutschland jetzt medial auf eine weitere Verbreitung (Epidemie) vor.
Die WHO hat ebensolche schnellen Entwicklungen bereits seit einiger Zeit angedeutet und wird vermutlich in naher Zukunft eine Pandemie, also eine globale Verbreitung verkünden (das ist zumindest meine Vermutung).
Das ist erstmal aber nur ein Statement über die Verbreitung und erlaubt verschiedenen Institutionen, ihre Befugnisse auszuweiten, ist zum Teil also auch eine politische und organisatorische Maßnahme (die ich daher gut finde).
Das bedeutet nicht, dass die Welt morgen untergehen wird. Das Virus ist nicht aggressiver geworden, ich glaube auch nicht, dass das passiert (im Gegenteil). Die allermeisten Menschen heilen aus, daher wird diese Erkrankung am Ende vor allem wirtschaftliche Folgen für die Welt haben und keine gesundheitlichen.
Kephalopyr schrieb:ich mir auch Sorgen um meine Eltern, vor allem meine Mutter! Sie hatte Krebs und ein geschwächtes Immunsystem, sie sind beide auch so um die 50 ca. Ich mein soll so ein ***** Virus womöglich das Ende von dem eigenen Frieden sein, den man so innerhalb seiner Familie hat?
80% der Betroffenen haben keinerlei Symptome oder nur leichte Erkältungssymptome. Und selbst wenn es zu schweren Verläufen kommen sollte: derzeit sind wir in der Anfangsphase einer Verbreitung und es besteht Hoffnung, dass die Geschwindigkeit der Verbreitung ausreichend reduziert werden kann um allen Betroffenen eine umfassende medizinische Betreuung zu ermöglichen. Da unsere Möglichkeiten hier in Deutschland zu den Besten weltweit gehören, hat damit jeder eine gute Chance die Erkrankung zu überstehen.
Ich würde mich daher jetzt nicht zu sehr ängstigen, sondern die Situation aufmerksam verfolgen und einige Basismaßnahmen ergreifen. Wenn alle das tun (und ich denke, das werden die meisten), ist schon viel geholfen:
Das Virus wird über 2 Wege übertragen: Tröpfchen (Sprechen, Husten, Niesen) und Schmierinfektion (ich greife mir an die Nase und tatsche dann den Haltegriff im Bus an, du hälst dich nach mir dort fest).
- Häufiges Händewaschen und Desinfizieren (keine Gels von dm sondern viruzide Desinfektionsmittel aus der Apotheke) --> gegen Schmierinfektionen
- möglichst 1-2 m Abstand zu fremden Menschen und hustenden Menschen halten und sollten erste Infekte in deiner nahen Umgebung (Stadt, Stadtteil, Dorf) auftreten den Aufenthalt in öffentlichen Verkehrsmitteln und der Öffentlichkeit einschränken --> gegen Tröpfcheninfektionen
- Ggf. eine Brille tragen (mag man schon übertrieben finden, ich trage eine durchsichtige Sonnenbrille, die aussieht wie eine normale Nerd-Brille, und fühle mich dadurch etwas besser) --> gegen Tröpfcheninfektionen
- Ich fahre zur Zeit in Düsseldorf nur noch mit Fahrrad und Auto, auf Bahn/Bus verzichte ich
- Bevor ich ins Haus gehe desinfiziere ich meine Hände und nachdem ich meine Kleidung abgelegt habe auch (so stelle ich sicher, dass ich keine Keime in meine Wohnung verschleppe)
Kephalopyr schrieb:Ich mein, was wenn das alles Absicht ist? Wenn irgend jemand, wer auch immer, das Virus auf die Menschheit losgelassen hat um einfach zu sehen, wie die Menschheit sich gegen sowas wehrt?
Das ist nicht der Fall, es gibt bereits einige vielversprechende Theorien, von welchen Tieren das Virus auf dem Tiermarkt in Wuhan übergesprungen ist, da man das Virus in einigen Tieren gefunden hat.
Dass neue Viren ihren Weg zum Menschen finden ist ganz normal und passiert in regelmäßiger Häufigkeit (siehe SARS 2003, etc.) - die Situation ist diesmal aufgrund des globalen (und medialen) Zeitalters einfach gruseliger, weil die Verbreitung wesentlich schneller geht als vor der Globalisierung. Das macht allen Angst weil es ein Zeichen von Kontrollverlust bedeutet, aber im Endeffekt werden die meisten das Virus völlig unbeschadet überstehen.
Kephalopyr schrieb:aber ganz ehrlich...die essen die ganzen ominösen Sachen nicht erst seit Gestern...ich finde es doch sehr komisch dass von Heute auf Morgen ein Virus dort ausbricht, welches auch noch mutiert ist und zufälligerweise ist auch ein Viren-Labor in Wuhan.
Die Mutation kann die Ursache dafür sein, dass es im Menschen als Wirt fortbestehen konnte und eine Übertragung auf unsere Spezies möglich geworden ist. Und vergiss nicht, auch in der Tierwelt verändern sich Viren auf ganz natürliche Weise, dahinter muss kein Labor stecken. Ich bin mir sogar relativ sicher, dass dahinter kein Labor steckt, da das Virus wirklich nicht besonders tödlich ist (zumindest verglichen mit anderen bereits bekannten und "erhältlichen" Viren wie SARS oder MERS). Das Virus wird sich in Zukunft auch noch verändern, und wahrscheinlich wird es dadurch sogar schwächer werden. :-)
Kephalopyr schrieb:, aber es ist einfach seltsam dass aus dem Nichts so ein extremes Virus erscheint und mal eben weltweit die Runde macht.
Das passiert ständig, nur meistens überträgt sich das Virus nicht so schnell dass es weltweit die Runde macht, daher bekommen wir das hier in Deutschland nicht so oft mit. Das Virus ist auch nicht besonders extrem, aber ja, es ist etwas außergewöhnlich. Dennoch, diese Dinge sind in der Menschheitsgeschichte immer wieder passiert und wir werden auch diese Erkrankung überstehen.
Kephalopyr schrieb:Es gibt noch genug andere Viren, die genauso ansteckend sind und doch auch nicht so umher reisen
Die ganze Welt erlebt Influenzaviren, RSV-Viren, Adenoviren, Enteroviren... "Um die Welt zu reisen" ist eine Spezialität von Viren, nur an die meisten Viren sind wir schon sehr gewöhnt und werden nicht so stark von ihnen betroffen, daher fällt uns das nicht wirklich auf. :-)