Yooo schrieb:Erschließt sich mir nicht so ganz.
Würde da nicht bedeutet, dass der andere automatisch mehr Messer Erfahrung hat als man selbst? :D
Nicht zwingend.
Es geht eher darum, dass DU in einer Angriffssituation (also kein verabredeter Zweikampf) ja gar nicht auf Krawall gebürstet bist.
Soll heißen: DU willst Dein Messer eigentlich gar nicht einsetzen, aber Dein Angreifer hat bereits den Entschluss gefasst Dir blöd zu kommen.
Das erhöht das Risiko, dass er sich Dein Messer schnappt während Du noch hoffst, dass es reicht das Messer abschreckend in der Hand zu halten, denn für einen "normalen Mensch" ist es keine Kleinigkeit zuzustechen sondern nur der allerletzte Ausweg und das ist auch völlig normal und gut so, aber "zerstört" eben jede Chancengleichheit in Situationen in denen DU gar keinen Kampf möchtest, derjenige der Dich attackiert aber eben bereits in einer ganz anderen Gemütsverfassung ist, denn er hat entschieden Dich anzugreifen.
Das es zumindest möglich ist, dass Dein Angreifer besser mit einem Messer umgehen kann und/oder stärker ist als Du kommt lediglich noch dazu.
Deswegen gilt auch die Regel:
Man zieht ein Messer ausschließlich, wenn die Situation wirklich so ernst ist, dass Weglaufen oder Hilfe herbeirufen keine Option mehr ist und man sich ausreichend sicher ist, dass nur einer hier auf eigenen Beinen weggeht.
Das bedeutet aber eben auch, dass Du, wenn Du ein Messer ziehst es praktisch umgehend auch benutzen musst bevor Dein Angreifer überhaupt verstanden hat, dass Du 1. Willens und in der Lage bist Dich ernsthaft zu wehren und 2. bewaffnet bist.
Und da HIER wieder die begrüßenswerte Tatsache zum Tragen kommt, dass selbst trainierte Leute vorher kaum sicher sagen können ob ihnen das Zustechen im Ernstfall wirklich ausreichend "leicht" fällt um es durchzuziehen..
ist Untrainierten eben ganz gewaltig davon abzuraten in einer Konfliktsituation ein Messer zu ziehen (außer um es ungesehen vom Angreifer wegzuwerfen).
Da ist das "Hausschlüssel ins Auge rammen" wie es viele Selbstschutztrainer lehren definitiv die bessere Alternative zum Messer ziehen, wenn eine körperliche Konfrontation schon unvermeidlich wird.
insidiousgirl schrieb:Wahrscheinlich wusste der Freigesprochene, dass es nicht das Sicherste sei sich nachts mit einem Menschen zu treffen, den man "nicht gut riechen kann". Aber ich appelliere dann ganze einfach an den Menschenverstand - wenn du dich mit Jemanden um 3 Uhr nachts treffen möchtest, und du das Verlangen hast ein Messer mitzunehmen, dann lässt du es bleiben. Ist immer einfacher gesagt als getan, ich weiß.
Ich fürchte Viele vergessen hier, dass wir über einen 18 Jährigen sprechen, der in Form eines Kieferbruchs bereits wusste, dass sein Kontrahent es ernst meint.
Zu dem Treffen einfach nicht hinzugehen hätte bedeuten können, dass er damit rechnen müsste vom "Opfer" unvorbereitet irgendwo aufgelauert zu werden.
Und da sind wir wieder bei dem was ich nicht begreife:
Wer erklärt ihm jetzt wie er aus solch einer Lage gewaltfrei rauskommen kann, was ihm Schule, Betreuung oder sonstwer eigentlich schon vorher hätten vermitteln müssen.
insidiousgirl schrieb:2. Es ist nicht definiert wie weit Notwehr geht.
Das ist auch sinnvoll so, denn halbwegs gerechte Urteile können doch nur entstehen, wenn solche Fälle individuell betrachtet werden.
insidiousgirl schrieb:Ein Stich ins Bein und lauf' um dein Leben. Auch einfacher gesagt als getan.. aber sechs Stiche in den Brustbereich..?
Ja, das ist sehr viel einfacher gesagt als getan. Jemanden der Dir WIRKLICH schaden will, den stoppt kein "Stich ins Bein".
insidiousgirl schrieb:Keiner kann mir erzählen, dass der Angegriffene nach eins, zwei Stichen noch die Kraft hatte, den Angeklagten festzuhalten bzw. zu bekämpfen.
Nicht einmal Gerichtsmediziner und Gutachter?
Der Angeklagte hat angegeben, dass er von seinem Kontrahenten in den Schwitzkasten genommen wurde und in der Lage dann 6x an eine erreichbare Stelle, die dann aus anatomischen Gründen im Brustbereich liegt zugestochen hat um sich zu befreien.
Das ist dann ganz einfach:
Stimmt das so, dann hatte die Richterin ihre Gründe auf Notwehr zu entscheiden.
Stimmt das nicht, muss man genauer schauen was wirklich passiert ist.
Und Gerichtsmediziner und Gutachter, die Körpermaße abgleichen, Einstichwinkel feststellen, Stichkanäle nachvollziehen und durchaus auch Freiwillige mit vergleichbaren Körpermaßen der Kontrahenten um eine Nachstellung bitten können, können im Gegensatz zu Augenzeugen die oft mehr Verwirrung als Klarheit bringen verdammt genau sagen ob sich der Kampf so zugetragen hat, wie vom Angeklagten geschildert.
DAS ist nämlich der Punkt bei dem Viele vor Gericht gnadenlos auf die Fresse fallen, weil sie nicht daran denken, dass viele Tathergänge forensisch bestens nachvollziehbar sind und es nicht selten passiert, dass ein Angeklagten aufgrund solcher Gutachten gebeten wird seinen dritten, 3m langen Arm und die 3 Gelenke in der Wirbelsäule mal vorzuzeigen ohne die das geschilderte Szenario absolut unmöglich ist.
insidiousgirl schrieb:finde es aber mehr als bedenklich, dass einfach darüber hinweg geschaut wird, dass ein Mensch erstochen wurde
Das ist doch gar nicht passiert.
Zwei haben sich gekloppt, einer war hinterher tot, deswegen hat die Staatsanwaltschaft völlig korrekt reagiert und Anklage wegen Totschlages erhoben und während einer Gerichtsverhandlung, die die übliche Folge solch einer Anklage ist wurde dann anhand der vorliegenden Aussagen und Beweise von der Richterin entschieden, dass es sich nicht um Totschlag sondern um Notwehr handelte und der Angeklagte deswegen freizusprechen war.
insidiousgirl schrieb:man aber einfach davon ausgeht, dass er dem Angeklagten was Schlimmes wollte. Erzählen kann man viel, wenn der Tag lang ist.
Vermutlich haben die ärztlichen Atteste die entstanden sind als das Opfer dem Angeklagten bei einer vorausgegangenen Auseinandersetzung den Kiefer gebrochen hat dazu beigetragen, dass man gar nicht nur von irgendwas ausgehen musste, denn Bilder sagen ja bekanntlich mehr als Worte und das dürfte auch für Röntgenaufnahmen gelten.
Außerdem ist die Lage "Im Schwitzkasten mit einem Messer der Länge x auf den Brustkorb des Gegners einzustechen" wie bereits dargelegt derart konkret, dass leicht nachvollziehbar sein dürfte ob die Verletzungen des Getöteten mit dieser Aussage zusammenpassen.
insidiousgirl schrieb:Was bin ich happy, dass meine Betreuten so dankbar sind, dass sie nicht auf solche Ideen kommen würden
Es ist doch gar nicht geklärt ob das "Opfer" sich jemals dem Angeklagten gegenüber in der Rolle des Betreuers befunden hat und seine nächtliche Einladung zum "Duell Mann gegen Mann" dürfte auch nicht dem städtischen Flüchtlingshilfeprogramm entstammen.
borabora schrieb:Ich habe Schwierigkeiten, an Notwehr zu glauben, wenn der Getötete selbst keine Waffe mit sich führte u. wohl schon kampfunfähig durch den Schlag mit der Bierflasche am Kopf gewesen sein wird.
Na so kampfunfähig war er ja wohl nicht, wenn er den Angeklagten noch in den Schwitzkasten nehmen konnte.
Spukulatius schrieb:Ich auch nicht, aber vielleicht muss ich da meine alten Weisheiten nochmal überdenken, wenn Messer, Kabelbinder, Draht, Zange in eine 08/15 Damenhandtasche gehören... irgendwie habe ich da wohl einen Trend verschlafen. Pack noch ne Rolle Klebeband dazu
Klar hab ich auch Tape drin, früher das grüne Panzertape, jetzt das Silberne von Tesa, damit kann man auch neben zahlreichen anderen praktischen Dingen durchaus mal ne demolierte Stoßstange so zusammenbasteln das sie locker bis in die nächste Werkstatt hält.
Außerdem führe ich natürlich noch einen kleinen Kasten mit den wichtigsten Schraubaufsätzen bei mir den mir mein Bruder geschenkt hat und neben noch so Einigen anderen nützlichen Utensilien natürlich auch immer mindestens einen Kreisel.
Spukulatius schrieb: wenn Messer, Kabelbinder, Draht, Zange in eine 08/15 Damenhandtasche gehören...
Was treibt dich nu wieder zu der unfundierten Behauptung irgendwer habe gesagt das "jede Handtasche" so ausgestattet sein sollte?
Bone02943 schrieb:Aber wirklich erschreckend, was manche Menschen meinen alles mit sich rumzutragen müssen.
Ok, das macht mich nu neugierig.
WAS ist denn nun so "erschreckend" daran, wenn sich eine Person entscheidet ihre Handtasche nicht mit Puderdosen und Schminkspiegeln zu füllen, sondern mit Werkzeug und andere Dinge die Vielerorts nützlich sein können ?
"Ungewöhnlich" ist ja nachvollziehbar, aber "erschreckend" halte ich nun doch für massiv übertrieben.
In meinem ganzen Leben hab ich persönlich halt noch nie in einer Situation gesteckt, in der ich dachte "Sch... also, wenn ich JETZT einen Lippenstift dabei hätte... DANN wäre der Tag gerettet!"
Aber ich war schon verdammt oft froh darüber ne Zange, Kabelbinder, Tape Draht usw bei mir zu haben und die Radfahrer die verzweifelt mit nem kaputten Rad irgendwo aufm Feldweg standen haben sich auch nie an Leib und Leben bedroht gefühlt, wenn ich Werkzeug, Tape oder was grad gebraucht wurde ausgepackt hab um das Problem mal eben zu beheben.
Also Menschen die Pragmatismus "erschreckend" und "bedrohlich" finden hab ich bisher auch noch nie kennengelernt.
Dafür waren mir schon viele Mädels dankbar, wenn sie von mir vorm Präpsaal nen Kabelbinder, nen Stück Draht gekriegt oder sonstwas bekommen haben, weil sie kein Haargummi mit hatten und es unseren Profs völlig wurscht ist womit lange Haare zusammengebunden sind. Nur mit offenen Haaren kommt keiner rein und ne verpasste Anatomieübung ist gar nicht gut fürs kommende Testat.
Kc schrieb:Ich hab immer mal wieder ein Taschenmesser dabei, weil es nützlich ist.
Kann ich Verpackungen aufschneiden, kann ich mit Essen in der Mittagspause kleinschneiden, Briefe öffnen...
Gibt viele Situationen, wo das ganz nützlich ist.
Das macht mich nicht gleich zum suspekten Messerstecher oder?
Türlich.
Liest Du doch hier selbst. Brote schmieren und Gemüse schnibbeln ist nur die Vorstufe und bis Du anfängst Menschen abzustechen ist nur eine Frage der Zeit
;), einfach, weil es Dir bald unmöglich sein wird ne Brotzeit von nem Mord zu unterscheiden.
:)Kc schrieb:Musste der Angeklagte bereits im Vorfeld befürchten, dass er klar unterlegen sein würde?
Jup.
Auf der einen Seite die wegen sonst recht fragwürdigen Parolen wieder entfernt wurde war nen Zitat drin das beschrieb, dass zwischen dem "Opfer" und dem Angeklagten mehrere "Boxergewichtsklassen" lagen.
Den Link mit dem genauen Wortlaut kann ich Dir ("kenn" Dich ja gut genug um zu wissen, dass Du auf solche Propagandakacke nicht reinfällst) per PN zuschicken, aber es las sich schon erheblich nach "David gegen Goliath" und das auf ner Seite die bestens belegt und sehr eloquent (nein quatsch, eher billigst polemisch) auf den "fiesen, mörderischen Migranten und das Skandalurteil" hinweist.
Nerok schrieb: andyhamburg6 schrieb:
Also, wenn jemand SECHSmal mit einem Messer auf jemanden einsticht, halte ich das für alles andere, aber keine Notwehr!
Schonmal versucht jemanden der dir Körperlich Überlegen und anscheinend auf Drogen war von dir los zu bekommen?
Das ist nen guter Einwand von @Nerok.
Wenn man nicht ganz bestimmte Stellen trifft (von den 6 Stichen war soweit ich bisher gelesen habe EINER tödlich), dann wird jeder, der sich gegen einen aggressiven Angreifer verteidigt feststellen, WIE stabil so nen Mensch eigentlich ist.
Mannstoppwirkung wird durch das Hervorrufen erheblicher, körperlicher Beeinträchtigung und/oder Schmerzeinwirkung erreicht.
Allerdings ist das Schmerzempfinden ja nicht nur individuell, sondern auch gewaltig gedämpft, wenn jemand mit Adrenalin und Co vollgepumpt ist (sogar ohne zusätzlichen Drogenkonsum).
Wenn ich mich nur daran erinnere was für Verletzungen ich manchmal gar nicht bemerkt hab, weil wir so lustig im Wald gespielt haben und es dann abends daheim erstmal den Hinweis gab ich solle mit vergleichbaren Wunden doch in Zukunft BITTE heimkommen zum säubern und verbinden und dürfte danach auch garantiert wieder weiterspielen.
Und ich hab mich nicht vollgepumpt mit Wut und ggf gar Drogen zum Kloppen getroffen, sondern halt nur mit anderen Kindern und unseren Pocketkameras (die Kinderfotoapparate der 80er) "Jagd" auf Eichhörnchen, Rehe und Co gemacht und dabei eben nicht immer gemerkt wenn mir nen Dornenbusch oder ne Wurzel die irgendwo rausragte ne reichlich tiefe Wunde verpasst hat.
Klar wäre es schön, wenn einmal in die Nase kneifen jemanden so zuverlässig ablenken würde das man sich ausm Staub machen kann.. is aber leider nicht so.
AgathaChristo schrieb:Und was das Messer anbelangt, wird der Freigesprochene seine Gründe dafür dargelegt haben,
Spukulatius schrieb: zumindest die Richterin es völlig okay findet ein Messer zu einem Faustkampf mitzubringen,
borabora schrieb:Die Tatwaffe wurde dann irgendwo gefunden.
Doch was spielt das jetzt für eine Rolle..
Ggf hat auch GRADE dieses Brotmesser eine Rolle gespielt.
Der Angeklagte war volljährig, hätte also auch ein Outdoor-, Jagdmesser oder Ähnliches erwerben und Führen dürfen.
UND er ist bereits zuvor mit dem Gegner aneinandergeraten und war also wohl auch nicht überrascht, dass weitere Auseinandersetzungen folgen dürften.
Ggf hat die Richterin es ja auch miteinbezogen, dass der Angeklagte sich trotz dieser Umstände kein Jagdmesser, Pfefferspray, Baseballschläger oder sonst etwas zugelegt oder einen kunstvollen Jagdspeer geschnitzt hat, passend zur Kiregsbemalung, sondern eher spontan in Muttis Küchenschublade gefasst und dann auch noch ausgerechnet ein Brotmesser "ausgesucht" hat.
Ich gebe denen die darin die Bestätigung sehen, dass er wusste, dass die "Verabredung" eher keine gütliche Einigung bereithalten würde völlig Recht, aber wie sagt ein Kumpel von mir der bei der Kripo ist so gern:
"Man darf nie vergessen, dass "Dinge" die NICHT vorhanden sind häufig ebenso bedeutsam, wenn nicht gar bedeutsamer sein können als Dinge die da sind."
("Dinge" ist ein Wort das er für allerlei benutzt, in diesem Fall Spuren, Zeugen usw).
Und genauso könnte die Richterin eben auch berücksichtigt haben, dass der Angeklagte sich hier nicht auf lange Sicht geplant Frontreif ausgestattet hat, sondern seine Bewaffnung eher hemdsärmelig und spontan stattgefunden haben dürfte.