Areela schrieb:@MissMary
Wie schaffst du es den Kontakt noch aufrechtzuerhalten? Und warum hast du eigentlich noch Kontakt zu deinen Eltern?
Mein Vater hat mir immer gesagt, dass mein Bauch viel zu dick bin und ich nicht so hübsch und beliebt wäre, wie andere Mädels. Er hat mich jahrelang als Teenager damit aufgezogen, dass ich schwanger aussehen würde, obwohl ich wirklich sehr schlank war. Glücklicherweise war ich damals schon sehr selbstbewusst, trotzdem habe ich mich sehr viele Jahre immer für hässlich gehalten.
Wenn Eltern einem solche Dinge an den Kopf werfen, ist es unwahrscheinlich schwierig da noch ein gesundes Selbstbild zu bewahren.
Zuerst zu deiner ersten Frage: Da gibt es verschiedene Gründe. Erstmal habe ich Kinder und zu denen sind sie ganz nett (na ja, zu zwei von ihnen, das dritte mögen sie nicht, verreisen immer über seinen Geburtstag und ognorieren ihn die meisten Zeit). Ich will nicht zwischen den Enkeln und meinen Eltern stehen. Allerdings war schon, als sie klein waren, die Übergabesitutation "kalt". Sie wurden vor die Haustüre gefahren und aussteigen lassen. Fertig.
Dann hat mein Vater vor einiger Zeit ein Versprechen gebrochen, was uns finanziell fast in den Ruin gestürzt hat. Um das einigermaßen zu überleben, hat er uns einen Teil des Erbes ausgezahlt. Die Finanzkrise hat er maßgeblich mitverschuldet (kann hier nicht ins Detail gehen), darüber wurde auch geredet (also im Dorf, was für ihn ein absoluter Horror ist). Hätte er uns danach im Regen stehen lassen, dann hätte er seinen Ruf verloren. Wir hätten so lange überlebt, bis ein Kind studieren wollte. Da hätten wir dann "nein" sagen müssen. Das wusste er - und da es seine Lieblingsenkelin getroffen hätte, hat er da eine Reißleine gezogen. Da ich einiges an Geld in die (dann leere) Versprechung investiert hatte, war es mehr ein "Zurückzahlen einer Investition" - das sieht er natürlich komplett anders. Würde ich nun den Kontakt abbrechen, würde ich hingestellt werden als "naja, das Erbe ausgezahlt bekommen und sich dann vom Acker gemacht, völlig materialistisch, die Frau".
Dann leben wir in einem kleinen Ort, wir würden uns ohnehin über den Weg laufen und es ist einfacher, kurz "Hallo" zu sagen und weiterzulaufen als vor jeder zufälligen Begegnung und ihrem Ausgang Angst zu haben. So ist die Situation planbar.
Das dritte ist, dass sich mitunter Begegnungen längerer Art, z.B. auf Familienfesten von dritten nicht vermeiden lassen. Es wäre belastender (auch für die ganzen Unbeteiligten) , mit im Raum zu sitzen, wo sich zwei Parteien ungekonnt ignorieren. Es wäre auch nicht gut für die Kinder.
Wir haben nie darüber geredet, aber ich denke, meine Eltern sehen das ähnlich. An Geburtstagen gehen wir kurz vorbei und gratulieren ... Sie feiern oft größer (im Restaurant), da werden wir seit Jahren nicht mehr eingeladen. Meine Eltern glauben, wir bekommen das nicht mit - wir sagen nichts. Problem erledigt. Mitunter lädt er auch nur die Große ein (absoluter Lieblingsenkel) und sagt "es gab leider nicht mehr Tische im Restaurant". Wir sagen dann "oh, wir hatten nicht mit einer Einladung gerechnet und daher eh schon was vor". Fall erledigt.
Zu deinem zweiten Punkt: Ja, die Kritik an meinem Aussehen kenne ich auch zur Genüge. Wie gesagt, meine Mutter hat selbst "hochgeheiratet" und fand das als Frau ein prima Konzept, dachte aber, das geht nur, wenn man petit, femin und äußerst attraktiv ist (also so klassisch attraktiv, dass man als Arztfrau auch etwas hermacht). Die Motive waren dann wie bei dir - sie wollte durch aufzeigen eines Horrorszenarios wirklich dafür sorgen, dass ich dünn bleibe - und fand es schon schlimm, dass ich keine so klassische Schönheit bin.
Das hat mir echt ewig zu schaffen gemacht .... ich konnte mich und meinen Körper gar nicht richtig wahrnehmen, fühlte mich beim Essen immer total schuldig und bekam auch immer eingetrichtert, dass ich nur jemanden fände, der mich heiratete, wenn ich in ein Brautkleid Größe 36 passen würde. Und ... das Leben ist manchmal gemein, mein erster langjähriger Freund hat tatsächlich in dieses Horn geblasen ... so hörte ich das von beiden Seiten. Ich bin total dankbar, dass ich - als der Kontakt zu meinen Eltern auf ein absolutes Minimum reduziert war und Schluss mit dem Typen war - aus dem Teufelskreis ausstieg. Ironischerweise dadurch, dass ich wirklich erst einmal in einen Essstörungszyklus geriet und eine kurze Weile in Größe 36 passte, aber merkte, dass sich an meinem Leben überhaupt nichts änderte.
Da meine Kindheit und Jugend so lieblos war (und ich bei Freunden immer sah, dass es auch völlig anders sein konnte), habe ich mich sehr viel in Tagträume geflüchtet. Ich habe als Kind jede einzelne Folge von Unsere kleine Farm gesehen und habe mir immer vorgestellt, ich wäre Teil dieser Familie ... es ging soweit, dass ich wirklich einen ganzen Sommer im Laura Ingalls Kleid herumgelaufen bin, mit langen Zöpfen und mir in jedem verfügbaren Moment vorgestellt habe, wie es ist, Teil der Familie zu sein. Daher war die Drohnung, niemals jemand zur Familiengründung zu finden, ein absoluter Albtraum. Glücklicherweise hat es dann doch super geklappt, ohne Brautkleid Größe 36.
Zurück der Bogen zu Filiz. Ich selbst hatte immer Angst vor den Urteilen meiner Eltern - bis ich verstanden habe, dass sie mich nie, nie, nie positiv wahrnehmen werden. Wovor ich wirklich Angst habe ist, wenn sie sterben - weil dann -ohne eine Aussprache- (von der ich rational weiß, dass sie nicht möglich sein wird) diese verkorkste Beziehung ohne Hoffnung auf ein Happy End beendet wird. Klingt doof, aber bei mir ist es so, dass irgendwo in mir noch die Stimme eines kleinen Kindes ist, das immer noch darauf hofft, dass meine Eltern mir eines Tagen sagen "gut gemacht, wir sind stolz" oder so ... Völlig irrational, aber das bekomme ich auch nicht in Griff.
Ich kann sie aber verstehen, mitunter ist es viel einfacher, gar keinen Kontakt zu haben als einen, der die Konflikte dann immer wieder befeuert und man sich selbst immer wieder mit dem Geschehenen auseinander setzen muss.