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Mietsteigerungen und Gentrifizierung - was kann man dagegen tun?
11.07.2016 um 13:32Scheint so, als tauche dieses Thema öfters auf, daher jetzt ein neuer Thread dazu:
@JohnMill
@shionoro
Ich glaube, ihr habt etwas simple Vorstellungen von dem, wie die Gentrifizierung in Berlin abläuft.
Es geht nicht um Hausbesitzer, die die gestiegenen Kosten reinholen wollen, oder Neubauten in den vormals unzähligen Baulücken.
Vor Maueröffnung waren Kreuzberg, Neukölln und Prenzlauer Berg für Immobilienhaie so uninteressant, dass zeitweise geplant wurde, ganze Teile davon abzureißen. Genauso die Gegend um den Winterfeldmarkt. Jahrzehntelang unsanierte Altbauten mit Ofenheizung, Klos zum Teil noch auf der Treppe, morschen Fenstern und feuchten Kellern ... weg damit, war die Devise. In Kreuzberg hatte man auch schon begonnen, die Altbauten durch 70er Jahre Plattenbauten zu ersetzen, hat aus dem Kottbusser Tor udn Teilen Neuköllns Wohnsilo-Ufos aus einer anderen Welt gemacht und sich auf die Schulter geklopft, dass man billigen Wohnraum mit Zentralheizung geschaffen habe, und so sähe die Zukunft auch für den Rest der Gegend aus.
Zum Glück ist es nciht so weit gekommen, weil es massiven Wiederstand gab, von Bürgerinitiativen über Hausbesetzer bis zu Straßenkämpfen.
Dann zeichnete sich auch schon ab, dass die schöne neue Welt in den Wohnsilos zur Katastrophe auf Raten wurde: Vandalismus, Kriminalität, fehlender sozialer Zusammenhalt, ....
Also hat man irgendwann eingesehen, dass die Mühe nicht lohnt, und den Altbau-Bestand seinem Schicksal überlassen, die großen Sanierungsprojekte eingestellt und den Hausbesetzern Verträge gegeben.
Die bestanden allerdings nicht im Anbieten fertig sanierter Wohnungen, sondern man konnte selbst renovieren und sich damit Wohnrecht erarbeiten.
Inzwischen waren in den ganz runtergekommenen Vierteln die Gastarbeiter einquartiert worden, anfangs gezielt, um den Leerstand zu verringern. ("Was braucht so ein anatolischer Bauer ein Klo in der Wohnung, der muss zu Hause doch auch über den Hof.")
Dann hat sich das ganze lange Zeit ziemlich ungestört entwickelt. Es gab billige Läden, in denen man Gemüse, Kunst, Trödel verkaufen oder Werkstätten ohne großen finanziellen Aufwand einrichten konnte. Es entstanden Bars und Cafes, Restaurants, Imbisse.
Dann kam die Maueröffnung.
Jetzt sieht es so aus, dass die, die dort ein überhaupt erträgliches Wohnumfeld geschaffen haben, rücksichtslos verdrängt werden. Ob man da schon 30 Jahre wohnt, einen Betrieb aufgebaut, Arbeitsplätze geschaffen und Steuern gezahlt hat, mit zahlreichem Nachwuchs die Schulen füllte, mit seiner Kneipe die Nachbarschaft belebte, sich für das Viertel engagierte oder nicht, ob man seine Wohnung eigenhändig auf Vordermann gebracht hat oder nicht, ob man dort als alter Mensch auf seine Nachbarn angewiesen ist, die einem mal den Einkauf heimtragen ... alles wurst.
Von den Gewerbebetrieben schließen unzählige, weil jetzt ein neuer Hausbesitzer meint, er könne plötzlich die Miete vervierfachen, obwohl nicht er, sondern die Mieter jahrzehntelang investiert und überhaupt erst die Voraussetzungen für die Entwicklung der Mietpreise geschaffen haben. Und selbst wenn sie anbieten, die höhere Miete zu zahlen, sollen sie raus ... man möchte eine schicke Boutique und nicht den Gemüseladen.
Dass man dem Ladenbesitzer damit die Existenz entzieht, weil der eben nicht um die Ecke einen neuen Laden aufmachen kann, weil die Mieten überall gestiegen sind und man nicht die Kosten für einen Neuausbau aufbringen kann ... who cares.
Dass die Oma in einem anderen Umfeld keine Sozialkontakte mehr hat, weil sie nicht ein paar Kilometer Bus fahren kann ... egal.
Was an Marzahn oder Lichtenberg verkehrt ist?
Ich kenne einige, die aus Mangel an Alternativen dorthin gezogen sind.
Es ist ganz ok ... wenn man äußerlich nicht aus der Rolle fällt und nicht von Rechten verdroschen wird, wenn einem nichts ausmacht dass der Nachbar die Kampfhunde auf seinen Balkon Gassi führt, wenn einem Anonymität und nachbarschaftliche Rücksichtslosigkeit (Lärm, Schmutz, Verwahrlosung, Vandalismus) nichts ausmachen, ...
Klar, es gibt auch andere Wohnblocks, in denen es ganz ok ist ... wenn es einem nichts ausmacht, eine Stunde oder mehr zu seinem alten Kiez und seinen Freunden unterwegs zu sein, und wenn man ein paar Euro mehr pro Quadratmeter zahlen kann.
Und ihr werdet lachen: Meine Nichte wurde aus einem billigen Künstleratelier in Lichtenberg vom neuen Besitzer gekündigt, der das Gelände gekauft hatte mit der Ansage, er wolle dort Künstlerateliers vermieten. Hat er auch ... für das Doppelte der vorigen Miete. Dafür wollte er eine Gemeinschafts-Teeküche einbauen, die es längst gab. Andere Investitionen waren in den Ateliers nicht vorgesehen.
Ist ja nicht so, als würden die Immobilienhaie nicht über Kiezgrenzen hinaus aktiv.
Inzwischen ziehen neue Mieter und Besitzer in das hippe Umfeld in Kreuzberg und Neukölln, genießen die tolle Atmosphäre und beklagen sich über den Lärm der Kneipe im Haus, die da schon Jahrzehntelang war, über den Kinderlärm im Hof, über nicht akribisch getrennten Müll, über so ziemlich alles was die Gegend hip machte.
Im schmuddeligen Teil von Charlottenburg (ja, den gab´s auch) hat eine Bürgerinitiative 20 Jahre für Verbesserungen gekämpft, u.a. gegen Fixbestecke in Sandkästen und die Verwahrlosung von Häusern und Straßen ... und heute hat eine Freundin dort eine vollkommen runtergekommene, unrenovierte Wohnung für 12,-€/qm warm angeboten bekommen.
Eine frisch renovierte Gewerbewohnung am Kudamm kostete vor 12 Jahren 8,-/qm warm, jetzt mit dem gleichen Vertrag 10,-. Wie errechnen sich die 12,-€ für ein Drecksloch?
Die Mieten steigen nicht so stark, weil die Kosten steigen. Auch nicht, weil investiert werden muss. Sondern darum, weil der neue Besitzer nicht nur den Kaufpreis, sondern auch noch eine satte Rendite reinbekommen will.
Es wäre ein Leichtes, die Mietpreise für Altbestand und auch die Gewerbemieten zu schützen. Es wäre auch rechtlich machbar, da es ja auch einen Mietspiegel gibt, der im Grunde genau das tun soll.
Aber mit Slogans, wie ihr sie hier vertretet, wird das nicht geschehen.
Und @shionoro, Du solltest Dich dringend über die schon seit den 20er Jahren in Berlin bestehenden Baugenossenschaften erkundigen. Das hat mit Eigeninitiative und stressigen Mieterversammlungen überhaupt nichts zu tun - hingegen können Eigentümerversammlungen mit Wohnungsbesitzern sehr stressig sein.
Man muss sich nicht einbilden, dass man als Wohnungsbesitzer nichts mit den Nachbarn, mit Gemeinschaftsinvestitionen und dergleichen zu tun habe... im Gegenteil.
@JohnMill
@shionoro
Ich glaube, ihr habt etwas simple Vorstellungen von dem, wie die Gentrifizierung in Berlin abläuft.
Es geht nicht um Hausbesitzer, die die gestiegenen Kosten reinholen wollen, oder Neubauten in den vormals unzähligen Baulücken.
Vor Maueröffnung waren Kreuzberg, Neukölln und Prenzlauer Berg für Immobilienhaie so uninteressant, dass zeitweise geplant wurde, ganze Teile davon abzureißen. Genauso die Gegend um den Winterfeldmarkt. Jahrzehntelang unsanierte Altbauten mit Ofenheizung, Klos zum Teil noch auf der Treppe, morschen Fenstern und feuchten Kellern ... weg damit, war die Devise. In Kreuzberg hatte man auch schon begonnen, die Altbauten durch 70er Jahre Plattenbauten zu ersetzen, hat aus dem Kottbusser Tor udn Teilen Neuköllns Wohnsilo-Ufos aus einer anderen Welt gemacht und sich auf die Schulter geklopft, dass man billigen Wohnraum mit Zentralheizung geschaffen habe, und so sähe die Zukunft auch für den Rest der Gegend aus.
Zum Glück ist es nciht so weit gekommen, weil es massiven Wiederstand gab, von Bürgerinitiativen über Hausbesetzer bis zu Straßenkämpfen.
Dann zeichnete sich auch schon ab, dass die schöne neue Welt in den Wohnsilos zur Katastrophe auf Raten wurde: Vandalismus, Kriminalität, fehlender sozialer Zusammenhalt, ....
Also hat man irgendwann eingesehen, dass die Mühe nicht lohnt, und den Altbau-Bestand seinem Schicksal überlassen, die großen Sanierungsprojekte eingestellt und den Hausbesetzern Verträge gegeben.
Die bestanden allerdings nicht im Anbieten fertig sanierter Wohnungen, sondern man konnte selbst renovieren und sich damit Wohnrecht erarbeiten.
Inzwischen waren in den ganz runtergekommenen Vierteln die Gastarbeiter einquartiert worden, anfangs gezielt, um den Leerstand zu verringern. ("Was braucht so ein anatolischer Bauer ein Klo in der Wohnung, der muss zu Hause doch auch über den Hof.")
Dann hat sich das ganze lange Zeit ziemlich ungestört entwickelt. Es gab billige Läden, in denen man Gemüse, Kunst, Trödel verkaufen oder Werkstätten ohne großen finanziellen Aufwand einrichten konnte. Es entstanden Bars und Cafes, Restaurants, Imbisse.
Dann kam die Maueröffnung.
Jetzt sieht es so aus, dass die, die dort ein überhaupt erträgliches Wohnumfeld geschaffen haben, rücksichtslos verdrängt werden. Ob man da schon 30 Jahre wohnt, einen Betrieb aufgebaut, Arbeitsplätze geschaffen und Steuern gezahlt hat, mit zahlreichem Nachwuchs die Schulen füllte, mit seiner Kneipe die Nachbarschaft belebte, sich für das Viertel engagierte oder nicht, ob man seine Wohnung eigenhändig auf Vordermann gebracht hat oder nicht, ob man dort als alter Mensch auf seine Nachbarn angewiesen ist, die einem mal den Einkauf heimtragen ... alles wurst.
Von den Gewerbebetrieben schließen unzählige, weil jetzt ein neuer Hausbesitzer meint, er könne plötzlich die Miete vervierfachen, obwohl nicht er, sondern die Mieter jahrzehntelang investiert und überhaupt erst die Voraussetzungen für die Entwicklung der Mietpreise geschaffen haben. Und selbst wenn sie anbieten, die höhere Miete zu zahlen, sollen sie raus ... man möchte eine schicke Boutique und nicht den Gemüseladen.
Dass man dem Ladenbesitzer damit die Existenz entzieht, weil der eben nicht um die Ecke einen neuen Laden aufmachen kann, weil die Mieten überall gestiegen sind und man nicht die Kosten für einen Neuausbau aufbringen kann ... who cares.
Dass die Oma in einem anderen Umfeld keine Sozialkontakte mehr hat, weil sie nicht ein paar Kilometer Bus fahren kann ... egal.
Was an Marzahn oder Lichtenberg verkehrt ist?
Ich kenne einige, die aus Mangel an Alternativen dorthin gezogen sind.
Es ist ganz ok ... wenn man äußerlich nicht aus der Rolle fällt und nicht von Rechten verdroschen wird, wenn einem nichts ausmacht dass der Nachbar die Kampfhunde auf seinen Balkon Gassi führt, wenn einem Anonymität und nachbarschaftliche Rücksichtslosigkeit (Lärm, Schmutz, Verwahrlosung, Vandalismus) nichts ausmachen, ...
Klar, es gibt auch andere Wohnblocks, in denen es ganz ok ist ... wenn es einem nichts ausmacht, eine Stunde oder mehr zu seinem alten Kiez und seinen Freunden unterwegs zu sein, und wenn man ein paar Euro mehr pro Quadratmeter zahlen kann.
Und ihr werdet lachen: Meine Nichte wurde aus einem billigen Künstleratelier in Lichtenberg vom neuen Besitzer gekündigt, der das Gelände gekauft hatte mit der Ansage, er wolle dort Künstlerateliers vermieten. Hat er auch ... für das Doppelte der vorigen Miete. Dafür wollte er eine Gemeinschafts-Teeküche einbauen, die es längst gab. Andere Investitionen waren in den Ateliers nicht vorgesehen.
Ist ja nicht so, als würden die Immobilienhaie nicht über Kiezgrenzen hinaus aktiv.
Inzwischen ziehen neue Mieter und Besitzer in das hippe Umfeld in Kreuzberg und Neukölln, genießen die tolle Atmosphäre und beklagen sich über den Lärm der Kneipe im Haus, die da schon Jahrzehntelang war, über den Kinderlärm im Hof, über nicht akribisch getrennten Müll, über so ziemlich alles was die Gegend hip machte.
Im schmuddeligen Teil von Charlottenburg (ja, den gab´s auch) hat eine Bürgerinitiative 20 Jahre für Verbesserungen gekämpft, u.a. gegen Fixbestecke in Sandkästen und die Verwahrlosung von Häusern und Straßen ... und heute hat eine Freundin dort eine vollkommen runtergekommene, unrenovierte Wohnung für 12,-€/qm warm angeboten bekommen.
Eine frisch renovierte Gewerbewohnung am Kudamm kostete vor 12 Jahren 8,-/qm warm, jetzt mit dem gleichen Vertrag 10,-. Wie errechnen sich die 12,-€ für ein Drecksloch?
Die Mieten steigen nicht so stark, weil die Kosten steigen. Auch nicht, weil investiert werden muss. Sondern darum, weil der neue Besitzer nicht nur den Kaufpreis, sondern auch noch eine satte Rendite reinbekommen will.
Es wäre ein Leichtes, die Mietpreise für Altbestand und auch die Gewerbemieten zu schützen. Es wäre auch rechtlich machbar, da es ja auch einen Mietspiegel gibt, der im Grunde genau das tun soll.
Aber mit Slogans, wie ihr sie hier vertretet, wird das nicht geschehen.
Und @shionoro, Du solltest Dich dringend über die schon seit den 20er Jahren in Berlin bestehenden Baugenossenschaften erkundigen. Das hat mit Eigeninitiative und stressigen Mieterversammlungen überhaupt nichts zu tun - hingegen können Eigentümerversammlungen mit Wohnungsbesitzern sehr stressig sein.
Man muss sich nicht einbilden, dass man als Wohnungsbesitzer nichts mit den Nachbarn, mit Gemeinschaftsinvestitionen und dergleichen zu tun habe... im Gegenteil.