Tja, und die freie Entscheidung meiner Eltern beinhaltet eine Hälfte eines Zwofamilienhauses,(...) Garten (...) eigenes Obst & Gemüse (...) Tiere (...)
Also dasselbe wie meine Eltern.
Die Entscheidung meiner Eltern war nicht weniger frei als die Deiner.
Wraithrider schrieb:In wie fern liest du da Vorurteile oder "Besserwisserei" rein?
Ich lese da nichts hinein, ich bekomme es schon wieder bestätigt:
Wraithrider schrieb:Und du willst mir was von "Überzeugung und freie Entscheidung" erzählen, dass ich zusätzlich zu dem Kram noch das Eingekaufte und die Urlaube und diverse Hobbies sowie Elektronik haben konnte und du nicht?
Nicht alle haben die Möglichkeit, sich zu entscheiden, so viel Geld zu haben wie sie wollen.
Viele kommen eben über die Runden, aber das macht sie nicht zu Arbeitssklaven, die ihre Kinder bloss vor dem Fernseher mit einem Tiegel in der Mikrowelle aufgewärmten Kohlehydraten aufziehen.
Die Kinder können sich natürlich nicht frei entscheiden. Aber sie müssen es nicht als eklatante Ungerechtigkeit und Mangel ihren Eltern vorwerfen, dass sie weniger hatten als die Mitschüler, sondern können lernen, dass es nicht vom Geld alleine abhängt, ein glückliches Leben zu führen.
Natürlich träumte man ab und an davon, mehr haben zu können.
Wir wollten z.B. Puppenkleider ... da hat meine Mutter uns gezeigt, wie man die schönsten Kleider selbst nähen kann, die niemand anders hat. Da waren unsere Freundinnen ganz scharf darauf, dass wir ihnen auch welche machen.
Später haben wir uns die Kleider eben selbst genäht, oder zurecht geändert, die wir uns nicht fertig aus dem laden leisten konnten. Nun arbeite ich schon seit über 25 Jahren in einem Beruf, der sich daraus entwickelt hat. Mir wurden nicht fertige Kleider, sondern die Phantasie geschenkt, sich unter einem Stück Stoff und einem Rest Spitze ein wunderschönes Kleid vorzustellen, und die Fähigkeit, das auch umzusetzen.
Meine Mutter hat viel mit uns gebastelt ... meine Schwester leitet eine Kita, die nach Montessori-Grundsätzen arbeitet und in der es mehr Werkzeug und Material als in mancher Hobbywerkstatt gibt.
Wir hatten keine neuen Stereoanlagen ... aber ich werde nie den Sound und das grüne Licht von meinem alten Braun-Röhrenradio vergessen, das heute ein Sammlerstück wäre und mir unvergessliche Stunden mit John Peel bereitet hat.
Wir hatten keine tolle Kinderzimmereinrichtung ... aber es war nie ein Drama, wenn beim Basteln oder Malen etwas daneben ging. Und in dem einen Zimmer war die ganze Wand bemalt mit einem riesigen Baum.
Das haben wir als Reichtum empfunden: Die Freiheit, sich Dinge selbst zu machen, sich seine Umgebung selbst so zu verändern wie man sie mag (das Zimmer wurde regelmässig umgeräumt, ohne die Hilfe der Eltern), aus Resten ein kleines Kunstwerk zu schaffen, .........
Wraithrider schrieb:Du willst mir erzählen, es hätte dir nicht gefallen, die größere Bandbreite angeboten bekommen zu haben ohne dafür als Kind arbeiten gehen zu müssen?
Ja, manchmal, natürlich. Und die Mitschüler, die die grösseren Bandbreiten angeboten bekamen, hätten manchmal auch gerne noch mehr gehabt. Und die, die sich fast alles leisten konnten, waren trotzdem nicht zufriedener.
Wraithrider schrieb:weil Zelten mit Gaskocher ja so viel mehr Spaß macht?
Ja, es hat wirklich Spass gemacht. Selbst wenn es geregnet hat und wir aneinandergekuschelt im Zelt sassen, lasen oder miteinander spielten, während der Regen auf das Zeltdach rauschte.
(Auch später, als ich es mir schon anders leisten konnte, habe ich es noch genossen, unter freiem Himmel zu schlafen)
Die Tage im Auto waren anstrengend ... aber nachts die Geräusche von Nachttieren, von Wind und Regen, das Pfeiffen vom Petromax, und eine Suppe vom Gaskocher - das war für uns wunderschön.
Auch wenn uns das Wohnen und Schlafen unter komfortableren Umständen ja durchaus bekannt waren, von zu Hause.
Als das Haus gekauft war, haben wir dann manchmal im Garten geschlafen.
Wraithrider schrieb:aber ich bin selbstbewusst genug um zugeben zu können, dass es noch cooler gewesen wäre, wie der Reiche Typ mit dem Hubschrauber zum Essen in der Bretterbude von Fischrestaurant am Strand einzufliegen.
Und ich weiss, dass ein Hubschrauber am Strand nur Sand in den Fisch wirbelt und die Stille, die ich dort geniessen möchte, zerstört, und alle anderen Gäste und der Fischbudenkoch mich für einen Idioten gehalten und für den Radau gehasst hätten.
Wraithrider schrieb:Ich sag jetzt mal "ihr" tut immer so als wärt ihr was Besseres, weil ihr weniger hattet. "Man kann auch ohne Geld Spaß haben" blabla, ja, kann man, das weiß ich besser als diese "moralisch überlegenen Armen" es sich vorstellen können.
Es geht hier nicht um Armut. Ich habe uns nicht als arm bezeichnet, sondern als über-die-Runden-kommend.
Ich habe auch nirgends gesagt, dass "wir Armen" was besseres wären, sondern dagegen argumentiert, dass Du behauptest, mehr Geld gäbe einem mehr Möglichkeiten, ein besserer Mensch zu werden.
Indem man den Leuten mit dem Hubschrauber eine Ladung Strand in den Fisch bläst?
Du bist derjenige, der aus den Geldmitteln eine Wertung der Person ableitet:
Du unterstellst Neid, wo gar keiner ist, unterstellst Lügen (was ist "Schönreden" anders?) und geringere Lebenserfahrung, weil es eben nicht so viel Entscheidungsfreiheit gegeben habe ...
Genau das macht mich heute irre: Dass behauptet wird, weniger Geld (nicht Armut!) bedeute automatisch Unfreiheit und Einschränkung. Und wenn man beschreibt, wie man auch mit wenigen Mitteln sehr viel persönliche Freiheit geniessen kann, wird unterstellt, man würde sich was schönreden.
Wraithrider schrieb: Ich weiß aber auch, dass mehr zu haben in vielerlei Hinsicht angenehmer ist als weniger zu haben.
Nein, das nimmst Du bloss an. Und es wird einem tagtäglich so eingetrichtert.
Inzwischen habe ich beides erlebt, und kann nicht entscheiden, dass das Eine angenehmer wäre als das Andere. Es hängt die Zufriedenheit mehr von anderen Faktoren als dem Kontostand ab.
Wohlgemerkt: Ich habe nie von
Armut geschrieben, sondern es ging darum, ob es ein Erbe zu vererben gibt, ob es ein Vermögen gibt.
Wraithrider schrieb:Aus nichts etwas zu machen ist schlicht schwerer als aus viel etwas zu machen.
Wir hatten mehr Puppenkleider als alle unsere Freundinnen ...
;)Mehr zu besitzen schränkt viele heute ein, indem sie gar nicht erst versuchen, sich etwas selbst zu erschaffen. Sie können mehr kaufen, aber weniger kreativ schaffen, und machen ihre Zufriedenheit abhängig vom Kontostand, weil ihnen andere Möglichkeiten, sich etwas zu erschaffen, nicht offen stehen.
Mehr Geld bedeutet nicht, dass man lernt, mehr Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu entwickeln ... im Gegenteil. Mann wird eingeschränkt von dem Gedanken, dass man nur haben könne, was man kaufen kann, und etwas nicht kaufen zu können, mache unfrei.
Und wenn man mal kreativ sein möchte ...
Inzwischen kann man für teuer Geld Bastelsets kaufen, Patchwork-Stoffe fertig zusammengestellt und geschnitten, Sortimente von sorgfältig aufeinander abgestimmten Knöpfen, die aussehen wie die Reste aus Omas Nähkästchen ... natürlich braucht man eine Nähmaschine, die 75 Stichprogramme und ein Stickprogramm mit unzähligen Motiven hat, man braucht spezielle Lineale und Scheren, es gibt Puppen-Körper mit Echthaar, ...... solch ein teures Hobby kann sich natürlich nicht jeder leisten!
:troll:Ich fertige ganze Abend- und Brautkleider aus Material, das keine 20,-€ gekostet hat, wenn ich Lust dazu habe.
Zum Teil auf Nähmaschinen, die gebraucht für 80,-€ zu haben sind (oder umsonst, wen jemandes Oma gestorben ist), mit Ikea-Scheren für 6,-€, und so weiter.
Die Kleider aus hundeteurem Material, genäht auf Spezialmaschinen, zugeschnitten mit den japanischen Scheren, sind nicht besser oder schöner ... nur anders.
Das macht mich nicht zu einem besseren Menschen, aber durchaus freier in meiner Auswahl, als wenn ich das, was ich möchte, nur bekomme, wenn es das fertig zu kaufen gibt.
Freundinnen waren auf teuren Privatschulen, um Modedesign zu studieren. Sie waren mindestens ebenso begabt wie ich, wenn nicht mehr. Keine arbeitet in dem Beruf.
Ich habe gelernt, aus sehr wenigen Mitteln etwas aufzubauen, und kann mir heute aussuchen, ob die die französische Spitze (derselbe Hersteller wie der von Katie Windsors Hochzeitskleid-Spitze) oder die vom Ramschladen eingesetzt wird. Andere Designer glauben, dass gutes Design nur mit exklusiven Mitteln umzusetzen ist ... und haben eine geringere Bandbreite.
Ich erbe kein Vermögen, sondern Problemlösungs-Strategien, die auch mit begrenzen Mitteln umzusetzen sind.
Soll ich mich deshalb etwa eingeschränkt fühlen? Neidisch auf die Freundinnen sein, die mehr Möglichkeiten hatten? Konnten die ihre Begabung besser ausleben?
Und das ist, was ich als Erbe von meinen Eltern für kostbarer halte, als ein Vermögen ...