Auf die Gefahr hin, den Fluss der Wiederholung aller bereits mehrfach diskutierten Punkte zur Schuld oder Unschuld von JS hier zu unterbrechen, möchte ich dennoch gerne die an mich gerichteten Fragen beantworten:
@borabora Die medizinische Versorgung im Strafvollzug ist immer und überall ein Problem, weil sie einfach nicht so sein kann, wie draussen. In den USA wird dieses Thema immer wieder heftig diskutiert.
Das Problem ist: ein Gefangener kann nicht einfach zum Arzt gehen, wenn ihm nicht wohl ist, so wie man "draussen" eben entweder einen Termin macht oder gar zur Notaufnahme geht oder den Notdienst der KV anruft.
Im Gefängnis muss man den Bedarf einer medizinischen Konsultation über die Vollzugsbeamten anmelden. In manchen Gefängnissen arbeiten angestellte Ärzte oder es gibt ein Vertragssystem, in kleineren dagegen sind meistens nur nurse practitioners oder RNs präsent, die allerdings im System auch draussen viele Dinge erledigen, die in Deutschland approbierten Ärzten vorbehalten sind.
Jedenfalls ist es so: auf Antrag wird ein Termin vergeben. Auf den kann man schon mal ein paar Wochen warten müssen. Dann kommt es zu einer Untersuchung. Nun wird es aber schon kompliziert: Man kann den Gefangenen ja nicht einfach zum Röntgen, zum Ultraschall oder zum CT oder MRI senden, wie draussen. Und im Gefängnis gibt es solche Geräte selten.
Also muss bei Vorliegen einer Indikation ein umständlicher Gefangenentransport nach draussen organisiert werden. Das gleiche gilt für Konsultationen mit Fachärzten, denn im Gefängnis arbeiten meist ja nur Allgemeinmediziner. Das alles ist ein immenser Aufwand.
Dazu kommt, dass man unterstellt, viele Gefangene würden einen solchen Bedarf nur vortäuschen, aus drei Gründen:
-ein Besuch in einer Klinik oder bei einem Arzt "draussen" ist mal eine willkommene Abwechslung, man sieht wahrscheinlich sogar Frauen usw.
-ein solcher externer Transport könnte ein Ausbruchsversuch sein. Kommt oft genug tatsächlich vor.
-Gefangene täuschen oft Krankheiten vor, um an Medikamente zu kommen. Besonders beliebt logischerweise sind dann Schmerzmittel.
Also ist das medizinische Personal gehalten, Anforderungen von Gefangenen besonders skeptisch zu betrachten. Die Gefahr ist dadurch gross, dass echte Krankheiten, echte Komplikationen und vor allem echte Notfälle nicht erkannt werden. Ein immenses Problem.
Dazu kommt die Kostenfrage: Gefangene haben keine Krankenversicherung und kein Geld. Der Staat muss für die Kosten aufkommen. Die niedergelassenen Ärzte draussen und die Kliniken kassieren natürlich für jede Behandlung. Ausserdem kostet jeder Transport erhebliche Arbeitsstunden des Wachpersonals.
Ich selbst erlebe es oft, dass Gefangene von meinem Kardiologen untersucht werden. Er gilt als einer der besten der Gegend und das hat sich auch bei der Gefängnisverwaltung herumgesprochen. Mindestens ein bis zwei Patienten pro Woche werden da wegen Verdacht auf Herzerkrankung vorgeführt, in der Regel mit 3 Wachbeamten. Mit den Untersuchungen zusammen kann man pro Patient und Woche locker mit $ 1000 oder mehr an Kosten rechnen. Das summiert sich.
Politiker haben alles mögliche versucht, diese Kosten zu minimieren, und jedes Mal hat das Probleme bereitet. Gefangene sterben im Knast an Krankheiten, die draussen nicht tödlich wären, oder sterben früher (z.B. bei Krebs) weil sie "drinnen" nur Minimaltherapie bekommen.
Grosse Bundesstaaten versuchen das ähnliche wie manche deutsche Bundesländer durch Einrichtung von Gefängniskrankenhäusern zu lösen, in denen dann wie in einem Krankenhaus Personal angestellt arbeitet. Alle langfristig kranken Insassen werden dann zentral dort untergebracht. Californien ist so ein Staat.
Zahnschmerzen gelten immer als grosses Problem: Zahnärzte sind kaum im Gefängnis zu finden, und Gefangene können leicht Zahnschmerzen simulieren um an Medikamente zu kommen. Wehe einem, der echte Zahnschmerzen hat, das kann sehr problematisch werden, da man durchaus eine oder mehr Wochen auf einen Termin warten kann.
Bei Aufnahme eines Gefangenen erfolgt eine Aufnahmeuntersuchung mit Anamnese, das ist in beiden Ländern üblich. Routineuntersuchungen danach gibt es nicht mehr.
Ein eigenes Kapitel ist die Psychiatrie. Das ist extrem problematisch, weil eine sehr grosse Zahl der Gefangenen in den USA, besonders der Kurzzeitgefangenen, also mit Strafen bis zu einem Jahr, psychische Probleme hat, die oft erst der Grund für ihre Straffälligkeit sind. Die aber nicht so dramatisch sind, dass eine Schuldunfähigkeit und Einweisung in die geschlossene Psychiatrie angeordnet werden müsste. Hier ist es leider so, dass viele dieser Insassen gar keine Behandlung erhalten.
Der Personalmangel tut ein Übriges. In den USA fehlen auch draussen überall Ärzte und gut ausgebildete Krankenpfleger. Und im Gefängnis arbeiten will man nicht unbedingt.
@MisteriosoItalien ist führend in den Möglichkeiten, einen Universitätsabschluss hinter Gittern zu erreichen. Das liegt vor allem daran, dass italienische Professoren nicht glauben, dass ihnen ein Zacken aus der Krone fällt, wenn sie zum Abnehmen von Prüfungen mal in den Knast gehen müssen. Deutsche und amerikanische Professoren sehen das ganz anders.
Dennoch gibt es tatsächlich Bildungsprogramme. Die wenigsten Gefangenen haben Hochschulreife, so dass ein Studienangebot eher ein geringeres Problem darstellt. In den USA hat nahezu jede renommierte Universität inzwischen auch ein Fernstudium Angebot, und in Deutschland wird das der FU Hagen stetig ausgebaut. In vielen Gefängnissen der USA gibt es Angebote, einen bachelor abzulegen, und wenn sich ein Gefangener ein Fernstudium leisten kann, dann wird ihm normalerweise auch Gelegenheit gegeben, das zu tun. Also es wird ihm erlaubt, entsprechende Bücher etc. zu besitzen.
Probleme machen allerdings zwei Bereiche: ein Studium "draussen" ist heute ohne Internet nicht mehr vorstellbar. Die Universität, an welcher ich mein Jurastudium in den USA abgelegt habe, hat gar keine Bibliothek mehr, sondern jeder Student bekommt Zugriff auf verschiedene grosse Datenbanken, wo er alle benötigten Materialien elektronisch bekommt.
Interntzugang für Gefangene ist aber generell nicht vorgesehen. Daher gibt es meistens in den Anstalten erhebliche Beschränkungen, welche Fernkurse man belegen kann. In manchen wird dann ein Computerraum zur Verfügung gestellt, wo die Zugriffsmöglichkeiten durch das Internet dann per software auf die Uni-Datenbanken reduziert wird. Aber das gibt es noch nicht überall.
Und zweitens eben die Prüfungen: In den USA gibt es generell mehr Prüfungen während einem Semester als das noch zu meiner Zeit in Deutschland üblich war. In manchen Studiengängen gibt es alle 2-4 Wochen Prüfungen. In den meisten Unis sind die Prüfungen heute ebenfalls nur noch per Computer angeboten. Das bring erhebliche logistische Probleme für die Gefängnisse, die weder Personal noch Räumlichkeiten für so etwas haben.
Das ist der Hauptgrund für fehlende Angebote.
Da wie gesagt die überwiegende Mehrheit der Insassen aber weit entfernt von jeder Hochschulreife sind, sehen manche das als ein Luxusproblem an. Daher konzentriert man sich eher darauf, den Insassen wenigstens das zu ermöglichen, was in Deutschland einem Hauptschulabschluss entspricht: die high school graduation, bzw. den GED.
Und selbst das ist nicht so einfach. Die Insassen sind ja schon in ihrer Schulzeit daran gescheitert. Sehr oft muss im Gefängnis wieder bei einem Niveau angefangen werden, das der Hauptschulklasse 5 entspricht.
Solche Programme sind allerdings weit verbreitet. Verpflichtend sind sie allerdings nicht. Und so gibt es auch Insassen, die aus welchen Gründen auch immer, sie nicht annehmen.
@Zulu7 Nein, Gefängnisse haben heutzutage keinen eigenen Friedhof mehr. Das war mal vor 100 Jahren oder mehr, als Land noch billig war. Wer im Gefängnis stirbt wird genauso behandelt, wie diejenigen, die draussen sterben. Der Arzt stellt den Tod fest, ein Totenschein wird ausgestellt, die Leiche zur Beerdigung oder Kremation freigegeben. Die Angehörigen können bestimmen wie und wo und müssen es bezahlen. Gibt es keine Angehörigen, wird die Leiche verbrannt und auf einem kommunalen Friedhof in der Nähe des Gefängnisses wird die Urne begraben. Eine Überführung nach Deutschland ist unter Einhaltung der Bestimmungen beider Länder durchaus erlaubt.