@callida callida schrieb:Danke für die Antwort. Einzelne Erläuterungen fand ich sehr interessant, allerdings teile ich Deine Meinung nicht in allem.
Dafür diskutieren wir ja, sonst wäre es langweilig.
;)Ich finde es sehr gut, dass du widersprichst, weil du gute Argumente hast und dich ebenfalls sehr gut auskennst, vielen Dank dafür.
callida schrieb:Persönlichkeitsstörungen können einen isolierten Wahn aufweisen, mit einem wechselnden Realitätsverlust, der die Diagnose einer Psychose (noch) nicht rechtfertigt, weil die Betreffenden, abgesehen von ihren Wahnthemen, im Alltagsleben in aller Regel gut funktionieren, so lange keine weiteren Symptome hinzukommen.
Kennst du den Unterschied zwischen Zwang, überwertigen Ideen und Wahn?
Das was du beschreibst, den "isolierten Wahn" erkenne ich in der "überwertigen Idee" wieder.
Das ist so ein Fluktuieren, bei schweren PST, dass man einerseits denkt es sei rational sich 50 mal die Hände zu waschen, weil es überall Keime gibt, andererseits gibt es Momente, in denen man merkt, dass das eigentlich Unsinn ist.
callida schrieb:Ich habe geschrieben, dass Narzissten eine höhere Kormobidität zum Suizid haben als Paranoiker. Deine Antwort besagt dasselbe.
Ja klar, ich wollte das nur anders begründen.
Also nicht, mehr Realität, sondern größere Kränkbarkeit. Paranoiker sind zutiefst misstrauisch, aber eigentlich nicht grandios wie ein Narzisst. Oft idealisieren sie eine bestimmte Gruppe von handverlesenen Auserwählten, die "es" auch verstanden haben (gegen den Rest der Welt) Narzissten sind da oft noch isolierter und auf sich bezogen.
callida schrieb:Ich habe gelernt nicht einer Quelle oder Ansicht (von vielen) zu folgen.
Das ist völlig in Ordnung, ich bin auch breiter aufgestellt, schicke den Kernberg aber immer vor, weil der einen guten Namen hat. Bin aber insgesamt schon von den psychodynamischen Ansätzen beeinflusst.
callida schrieb:Allerdings besteht in der Fachwelt weitgehende Einigkeit darüber, dass als Ursache bei den meisten Patienten eine Kombination aus genetischer Veranlagung und psychischen Belastungen durch Umweltfaktoren die Entwicklung der PS verursacht. Insbesondere Ereignissen in der frühen Kindheit, wie einer starken emotionalen Vernachlässigung, elterlicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch, wird in den meisten Abhandlungen darüber eine besondere Bedeutung zugeschrieben.
Ja, so kenne ich das auch.
callida schrieb:Mein Gefühl sagt mir, dass die Ausklammerung traumatischer Erlebnisse als Ursache für eine paranoide Persönlichkeitsstörung, indes eine chronische Aggressivität evident sein soll, nicht stimmen kann. In den USA gibt es zwei Hauptrichtungen, wie im Artikel von Kernberg steht, und die Gegenauffassung damit abzuspeisen, dass sie ihren Bestand aus dem Respekt gegenüber den Opfern beziehe ...na ja.
Okay, der Punkt ist mir sehr wichtig, weil ich hier mit Kernberg völlig einer Meinung bin, die er auch an anderer Stelle formuliert. Ihm geht es darum, Politik und Wissenschaft zu trennen. Das ist glaube ich die Intuition dabei, man darf bspw. in den Staaten die Diagnose einer antisozialen PST erst mit 18 stellen, um die Betroffenen nicht zu stigmatisieren, wobei es klare Anzeichen schon im Kindesalter gibt. Hilft das wirklich?
Inhaltlich scheint es so zu sein, dass einmalige Ereignisse zwar gravierende Folgen haben können, die in der Folge symptomatische Ähnlichkeiten mit schweren PST haben, aber eben auch typische Unterschiede. Es gibt keine Flashbacks bei schweren PST. Beides geht oft in einander über, aber ganz empirisch scheint es wohl so zu sein, dass es Fälle gibt, die unter einer guten Traumatherapie einfach nicht besser werden und dann geht es in Richtung chronischer Aggression, die die Psyche (also die Objektibeziehungen) nachhaltiger deformiert.
Dann ist natürlich auch denkbar, dass jemand chronischer Aggression ausgesetzt war und zudem noch ein Trauma erlebte, so wie es ja oft der Fall ist, dass man eine eindeutige Diagnose zwar über den Schweregrad und vertikale Ebene beziehen kann, aber ansonsten die PST mitunter bunt gemischt auftreten.
M.E. ist es schon ein Unterschied, ob man als Kind in einer Aura des Misstrauens und der permanenten Verurteilung und Verdächtigung groß wird oder, ob man als Erwachsener (bei intergrierter Selbst- und Objektrepräsentation) bspw. eine Vergewaltigung, eine Geiselnahme oder als Soldat einen Granatenangriff erlebt.
Dass man nach einem Granantangriff durch einen "Zivilisten", bei dem Freunde zerfetzt wurden, sicher zukünftig Angst oder Panik in Menschenmengen entwickelt, ist, glaube ich verständlich, dass man verwirrt darüber ist, Angstattacken bekommt und nicht mehr weiß, wer Freund und Feind ist, ist mit ebenfalls klar, aber meinst du, dass das mit dem doch recht umfassenden Misstrauen zu vergleichen ist, dass die paranoide PST aufbringt, dem ja, wenn auch noch nicht in wahnhafter Weise, kaum jemand nicht suspekt ist.
callida schrieb:Traumatische Erlebnisse beeinträchtigen in höchstem Maße die Fähigkeit zur Selbstregulierung, ich denke, darin liegen die Ursachen für diverse Persönlichkeitsstörungen.
Weiß ich nicht.
Du weißt ja, dass es einen eher intro- und extraversierten Pol gibt und viele PST sind ja nicht so offen durch eine Mangel an Impulskontrolle gekennzeichnet, wie bspw. die Borderline-Störung.
Gerade die milden Ausprägungen des Narzissmus, kurioserweise auch die antisoziale PST - glänzenden Schaulspieler, wenn sie müssen und intelligent genug sind - aber eben auch Paranoiker, Schizoide, Hypochonder usw. die ja mehr auf der stillen Seite unterwegs sind können eher unauffällig und angepasst unterwegs sein.
Eine geschundene Seele kann Aggressionen entwickeln, klar, aber wenn, dann infolge des traumatisierenden Erlebnisses ...und nicht isoliert. Das Trennungskonzept scheint Modellcharakter zu haben, und weniger an Kausalität orientiert zu sein.
Aber was, wenn Aggression, gar nicht mal heftige, das tägliche Brot ist? Normale Streits und andauernde Entwertungen, von Eltern und ihrer Umgebung die solide Nichtbeachtung von Kindern und ihren Bedürfnissen, außer in einige Situationen, in denen sie dann im Fokus stehen, gerade bei der Entwicklung des Narzissmus.
Es sollen ja insbesondere die Spitzenaffekte sein, die die Entwickung des Kindes in Richtung intergierter Selbst- und Objektrepräsentation massiv behindern und das können kurioserweise auch positive Affekte sein (auch wenn es statistisch öfter negative sein werden).
Die Grundfrage ist ja, ob es zu einer Spaltung der Affekte kommt oder, ob es gelingt, die widersprüchlichen Affekte zu integrieren und zu tolerieren, dass sie in einem selbst und anderen vorkommen und normal sind.
Die sekundäre Frage ist mMn, wie diese Spaltung gelebt wird, offen oder eher in der Phantasie.
Wie oben schon dargelegt, ich sehe die auf kernberg zurückgeführte Trennung nicht, und vertrete weiterhin die Auffassung, dass Persönlichkeitsstörungen multifaktorielle Ursachen (biologisch, genetisch ...) zugrunde liegen, Trauma inbegriffen, weswegen alle isolierten Betrachtungen nicht vollständig sein können.
Kernberg sieht das ganz klar auch multifaktoriell. Das genetisch fixierte Temperament spielt bei ihm eine große Rolle, die Intelligenz, auch die Serotoninregulation usw. Es kann sein, dass Kinder ohne gravierenden Einfluss durch die Eltern eine schwere PST entwickeln, bspw. durch eine längere oder rezidivierende schmerzhafte Entzündung, die ja auch das Bild einer guten Mutter, die alles in Ordnung bringt, in Richtung einer "unfähigen" und bösen Mutter verzerren kann (und die Mutter kann natürlich nichts dazu).
Nur scheint die Hauptindikation eben Aggression am eigenen Leibe oder als Zeuge zu sein, was aber im Einzelfall durchaus heißen kann, dass dieser Strang auch mal vollkommen fehlt und es dennoch zu einer schweren PST kommt.
callida schrieb:Das Therapieziel bei jeder Art der Persönlichkeitsstörung ist nicht die Heilung, sondern eher die Verbesserung der sozialen Kompetenz, die Strukturierung des Umfeldes und die Anwendung des Erlernten im sozialen Umfeld.
Okay, dann mal andersrum gefragt: Lässt ein solches Konzept denn seinerseits Raum für Heilung? Wenn definiert ist, ob und wann jemand krank ist, muss doch genau dies andererseits die Tür zur Gesundheit darstellen.
Diese Haltung: Wird eh nichts mehr, allenfalls können sie lernen, sich etwas adäquater zu verhalten, ist m.E. weniger realistisch, als sie klingen möchte.
Ich kenne einzelne Menschen, bei denen ich klar sagen würde, dass es schwierig wird, aber anders herum gibt es einzelne Menschen, bei denen man sagt, dass die wider alle Prognostik gesundeten.
Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, sonst wird meine Antwort noch länger, aber wir können das gerne näher besprechen, wenn du magst.
callida schrieb:Hm... Du formulierst als wenn Heilung die Regel und Nicht-Heilung die Ausnahme wäre. Aus den von mir eingestellten Quellen folgt klar und deutlich, dass Heilung die Ausnahme darstellt, und die Therapie oft Erleichterungen bringen kann, wenn Krankheitseinsicht gegeben ist und die Therapie durchgehalten wird.
Ich sehe das als Kontinuum mit den Enden unheilbar, auf der einen Seite (aller Wahrscheinlichkeit nach fällt die antisoziale PST im engen Sinn darunter, wenn wir bei den PST bleiben) und Heilung, also integriertes Bild von sich anderen, auf der anderen Seite und eben alles dazwischen, mal mehr zu diesem oder zu jenem Pol orientiert.
Die metapsychologisch wichtige Frage ist m.E. ob eine Therapie, die a priori nur auf symptomaitsche Linderung ausgelegt ist, je etwas anderes erreichen kann.
Wenn ich mir also antrainiere, beim ersten Affektschub, immer erst tief zu atmen oder, wenn ich es nicht mehr aushalte, den Raum zu verlassen oder lieber eine angepasstere und weniger schädigenden Impulshandlung als die gewohnte einzuüben, dann finde ich das alles gut und hilfreich und ich kann akzeptieren, dass bei manchen Menschen einfach nicht mehr drin ist.
Aber das schafft natürlich keine besseren Objektbeziehungen. Ich kann den Tiger etwas dressieren oder einsperren, aber da ist immer noch ein Tiger.
Das ist, bei allem gesunden Realismus, der Punkt, der mir Sorge bereitet.
RoseHunter schrieb:
Auf diese Weise kann dem Patienten die Ambivalenz bewusst werden, die normale Beziehungen ausmacht, dass der den man liebt, gleichzeitig desjenige ist, der einen am meisten auf die Palme bringen kann und so weiter.
Das Bewusst-Werden löst nicht wie selbstverständlich alle im Unbewussten tief verwurzelten Reiz-Reaktions-Schema, die Automatismen, die der Persönlichkeitsstörungen zueigen ist.
Und warum nicht?
Wenn es jemandem gänzlich unbewusst ist und er fröhlich zwischen Täter- und Opferrolle/-identifikation hin- und herspringt ohne - und das ist entscheidend - dass ihm im Moment der Identifikation mit der einen Rolle, die andere klar und zugänglich wäre, denn das macht ja gerade die Spaltung aus, wie soll der begreifen, was mit ihm los ist, wie und wieso sollte der sich bremsen, wie sollte er anders empfinden, als sich bedroht fühlen?
callida schrieb:Durch Bewusstmachung wird zwar Erkenntnis und Aufmerksamkeit generiert, inwieweit und wie lange dieser bewusste Damm hält, wo der Mensch die meiste Zeit unbewusst ist, vor allem auch in Krisen mit neuen Auslösern (Situationen, Personen ...), steht auf einem anderen Blatt.
Klar, aber dafür übt man ja auch in der Therapie und Therapie ist zwar einerseits ein geschützter Raum, andererseits von seltener Intensität, gerade wenn klare Regeln vereinbart werden, was sofort (in dem Fall gewollte und hochwillkommene) Übertragungen auslöst.
Die therapeutische Begegnung ist, wenn der Therapeut sein Handwerk versteht, ja manchmal von seltener Intensität und natürlich auch von seltener Langeweile, je nach Klient und Symptomatik. Narzissten sind, wenn ihre oberflächliche Grandiosität durchbrochen ist, ja ungeheuer langweilig und das Gefühl exzessiver Langeweile und Müdigkeit ist ein sehr guter weiterer Indikator, für eine narzisstische PST.
Von dauerhafter Heilung kann hier doch keine Rede sein. Heilsein bedeutet für mich = keine Kontrolle ausüben zu müssen.
Kontrolle ist an sich nicht schlecht, die Frage ist, ob es sich zu einem narzisstischen Kontrollzwang ausweitet.
Es gibt natürlich immer wieder Situationen in denen man andere geradezu manipulieren muss und das auch zu können, ist eine Fähigkeit die man nicht entwerten sollte.
Die Frage ist doch immer, ob man das ganze Spektrum drauf hat.
callida schrieb:Test: Wie würdest Du diesen Klienten (seine Rolle) einschätzen?
Ekel Alfred würde ich als Narzissten mit paranoider (und vielleicht etwa histrionischer) Beimengung sehen. Vielleicht am ehesten der alten Beschriebung der querulatorischen PST entsprechend, das sind Leute, die dauerhaft nörgelig sind und auf die Barrikaden gehen.
Wobei Alfred, soweit ich mich erinnere, ja eher ein Maulheld zu sein scheint, der zwar sein enges Umfeld tyrannisiert und entwertet (natürlich noch etwas, der komischen Rolle geschuldet, zu skurril und liebenswert, wohl eine Zuspitzung der allgemeinen jungbundesrepublikanischen Männerbildes, noch paternalistisch, aber schon in seinem Paternalismus komisch und überaltert wirkend), aber dann doch auch kneift. Also so ein etwas gehemmter Narzisst.
Was Du zur Differenzialdiagnistik schreibst, das klingt so laienhaft einfach. Attention! Schon K. Schneider schrieb 1923: Überall gehen abnorme Persönlichkeiten ohne Grenzen in die als normal zu bezeichnenden Lagen über.
Probier es mal aus.
Ist ein integraler Bestandteil des strukturellen Interviews. Vor allem die Realtion ist typisch. Während Menschen, die irgendwie psychotisch sein könnten, weil sie sich im Interview sonderbar aufgeführt haben, das klären können und dabei stabil bleiben, fallen Menschen in einer psychotischen Phase völlig in sich zusammen und desorganisieren sich.
Wenn man intuitiv gar nicht auf die Idee kommt, die Realitätsprüfung zu machen, dann liegt auch nichts vor.