@RoseHunter Danke für die Antwort. Einzelne Erläuterungen fand ich sehr interessant, allerdings teile ich Deine Meinung nicht in allem.
callida schrieb:
Wieso meine ich, dass z. B. eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung leichter zu therapieren ist als eine paranoide Persönlichkeitsstörung?
Der Narziss hat einen Realitätsbezug.
Das haben alle schweren Persönlichkeitsstörungen, denn das unterscheidet sie diagnostisch von den Psychosen. Wo die Realitätaprüfung scheitert, handelt es sich um eine (atypische) Psychose.
Das ist die allgemeine Schuldefinition.
Persönlichkeitsstörungen können einen isolierten Wahn aufweisen, mit einem wechselnden Realitätsverlust, der die Diagnose einer Psychose (noch) nicht rechtfertigt, weil die Betreffenden, abgesehen von ihren Wahnthemen, im Alltagsleben in aller Regel gut funktionieren, so lange keine weiteren Symptome hinzukommen.
callida schrieb:
Die Kormorbidität zum Suizid ist, da der Narziss zwangsläufig hin und wieder auf dem Boden der Realität landet, und seine Niedergänge schmerzlich registriert, häufiger belegt als bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung, wo die Erkenntnisfähigkeit durch die Störung zum Realitätsbezug weitaus seltener gegeben ist.
Das würde ich anders sehen, denn Narzissten sind extrem kränkbar. Sie ziehen oft den Tod einer empfundenen Schmach, einem Gesichtsverlust vor, manchmal ist es auch ein Selbstmord aus Überheblichkeit: "Mich versteht ja doch keiner, sollen die Idioten doch alleine klarkommen, dann sehen sie, was sie an mir gehabt hätten."
Paranoikern fehlt dieses grandiose Element und daher auch die Kränkbarkeit
Ich habe geschrieben, dass Narzissten eine höhere Kormobidität zum Suizid haben als Paranoiker. Deine Antwort besagt dasselbe.
callida schrieb:
Auch sind Traumata bei Narzissten weniger Ursache der Erkrankung als bei der paranoiden Störung, was die Therapie der narzisstischen Störung erleichtert.
Ich glaube mit Kernberg, dass Taumata überhaupt keine Persönlichkeitsstörungen verursachen und dass es Sinn macht zwischen Trauma (= einmaliges, überwältigendes, psychisch nicht integrierbares Erlebnis) und chronischer Aggression zu unterscheiden, die als ätiologisch leitend gilt.
Ein schöner Beitrag: http://www.oedipus-online.de/Kernberg_PTT.htm (Archiv-Version vom 14.02.2015)
Ich habe gelernt nicht einer Quelle oder Ansicht (von vielen) zu folgen. Ein allgemein gültiges Erklärungsmodell für die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen liegt bislang nicht vor. Allerdings besteht in der Fachwelt weitgehende Einigkeit darüber, dass als Ursache bei den meisten Patienten eine Kombination aus genetischer Veranlagung und psychischen Belastungen durch Umweltfaktoren die Entwicklung der PS verursacht. Insbesondere Ereignissen in der frühen Kindheit, wie einer starken emotionalen Vernachlässigung, elterlicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch, wird in den meisten Abhandlungen darüber eine besondere Bedeutung zugeschrieben.
Die Prävalenz physischer und sexualierter Gewalt ist bei den einzelnen Persönlichkeitsstörungen unterschiedlich hoch. Am höchsten ist sie bei der Borderline-
Persönlichkeitsstörung. Hier wurden in bis zu zwei Drittel der Fälle körperliche oder sexuelle
Traumatisierungen gefunden (Zanarini et al. 2002). Darüber hinaus finden sich unter den
spezifischen Persönlichkeitsstörungen körperliche oder sexuelle Gewalt in der Kindheit
offenbar am häufigsten bei der paranoiden ...
http://www.rhein-klinik.de/fileadmin/content/rhein/Publikationen/2006_01_01_Bindungstrauma.pdf (Archiv-Version vom 12.04.2015)Mein Gefühl sagt mir, dass die Ausklammerung traumatischer Erlebnisse als Ursache für eine paranoide Persönlichkeitsstörung, indes eine chronische Aggressivität evident sein soll, nicht stimmen kann. In den USA gibt es zwei Hauptrichtungen, wie im Artikel von Kernberg steht, und die Gegenauffassung damit abzuspeisen, dass sie ihren Bestand aus dem Respekt gegenüber den Opfern beziehe ...na ja.
Traumatische Erlebnisse beeinträchtigen in höchstem Maße die Fähigkeit zur Selbstregulierung, ich denke, darin liegen die Ursachen für diverse Persönlichkeitsstörungen. Eine geschundene Seele kann Aggressionen entwickeln, klar, aber wenn, dann
infolge des traumatisierenden Erlebnisses ...und nicht isoliert. Das Trennungskonzept scheint Modellcharakter zu haben, und weniger an Kausalität orientiert zu sein.
callida schrieb:
Zur Erläuterung: Die meisten Ansätze, insbesondere verhaltenstherapeutischer Natur, Traumata zu bearbeiten, funktionieren einfach nicht, weil das Unbewusste sich dagegen sträubt, dass diese Erinnerungen geheilt werden, weil es glaubt, dies sei mit Gefahren für uns verbunden. Denn der Zweck der Erinnerung besteht ja schließlich darin, die betroffene Person vor Schaden zu bewahren.
Kann gut sein, nur sind das zwei Paar Schuhe, wenn Kernberg recht hat.
Psychologischen Traumatherapie besteht aus unterstützender Psychotherapie und angstlösender Mediaktion und anderen Elementen, EMDR scheint auch gut zu funktionieren.
Die Wirkung der Verhaltenstherapie ist mMn ohnehin weit überschätzt worden, inzwischen scheint sich das rumzusprechen.
Wie oben schon dargelegt, ich sehe die auf kernberg zurückgeführte Trennung nicht, und vertrete weiterhin die Auffassung, dass Persönlichkeitsstörungen
multifaktorielle Ursachen (biologisch, genetisch ...) zugrunde liegen, Trauma inbegriffen, weswegen
alle isolierten Betrachtungen nicht vollständig sein können.
Das Therapieziel bei jeder Art der Persönlichkeitsstörung ist nicht die Heilung, sondern eher die Verbesserung der sozialen Kompetenz, die Strukturierung des Umfeldes und die Anwendung des Erlernten im sozialen Umfeld.
Das hattest du zitiert.
Würde ich so nicht sehen, zumal ja klar defiiniert ist, was bei einer Persönlichkeitsstörung gestört ist und gerade dafür hat man ja effektive Therapien entwickelt.
Das heißt nicht, dass jeder Fall zur vollen Heilung (also, einem integrierten Bild von sich selbst und wichtigen anderen) kommt, aber man weiß prinpiziell wie man dahin kommt
Hm... Du formulierst als wenn Heilung die Regel und Nicht-Heilung die Ausnahme wäre. Aus den von mir eingestellten Quellen folgt klar und deutlich, dass Heilung die Ausnahme darstellt, und die Therapie oft Erleichterungen bringen kann, wenn Krankheitseinsicht gegeben ist und die Therapie durchgehalten wird.
RoseHunter schrieb:Auf diese Weise kann dem Patienten die Ambivalenz bewusst werden, die normale Beziehungen ausmacht, dass der den man liebt, gleichzeitig desjenige ist, der einen am meisten auf die Palme bringen kann und so weiter.
Das Bewusst-Werden löst nicht wie selbstverständlich alle im
Unbewussten tief verwurzelten Reiz-Reaktions-Schema, die Automatismen, die der Persönlichkeitsstörungen zueigen ist. Durch Bewusstmachung wird zwar Erkenntnis und Aufmerksamkeit generiert, inwieweit und wie lange dieser bewusste Damm hält, wo der Mensch die meiste Zeit unbewusst ist, vor allem auch in Krisen mit neuen Auslösern (Situationen, Personen ...), steht auf einem anderen Blatt. Von dauerhafter Heilung kann hier doch keine Rede sein. Heilsein bedeutet für mich =
keine Kontrolle ausüben zu müssen.
Die Differentialdiganose zwischen einer paranoiden PST und paranoider Psychose ist nicht schwer. Den Argwohn bemerkt man mit nur wenig Übung sofort, entscheidend ist, ob ein Patient nachvollziehen kann, dass er dir argwöhnisch vorkommt. Er kann durchaus sagen: "Ja, aber das hat auch seinen Grund" und bei der Beschreibung kann man immernoch denken, dass er ganz schön schräg ist, aber wenn er das nachvollziehen kann, dass er dir merkwürdig vorkommt ist die Realitätsprüfung bestanden.
Test: Wie würdest Du diesen Klienten (seine Rolle) einschätzen?
Was Du zur Differenzialdiagnistik schreibst, das klingt so laienhaft einfach. Attention! Schon K. Schneider schrieb 1923: Überall gehen abnorme Persönlichkeiten
ohne Grenzen in die als normal zu bezeichnenden Lagen über.
@TheLolosophian Mit dem Glauben des Therapeuten an sich (Ich BIN die heilende Gegenwart), an seine Methode, an das "Wirken" im Klienten und an den Klienten selbst, wie wahr, da können Wunder geschehen - kein Zweifel!
@RoseHunter TheLolosophian schrieb:
In einer therapeutischen Beziehung kann man nicht die Abwehr eines Patienten/Klienten durchbrechen, ohne dass dabei die psychologische Abwehr des Therapeuten intakt bliebe.
Doch, das geht.
Warum sollte es nicht gehen?
Weil es in der Psychoanalyse das Prinzip der Übertragung (des Klienten auf den Therapeuten) und Gegenübertragung (die Übertragung des Klienten aktiviert im Therapeuten einen unbewussten Konflikt, der in ihm Reaktionen auslöst, die er auf den Klienten zurückspielt) gibt, wobei eine Gegenübertragung nicht zwingend eintreten muss, aber umso wahrscheinlicher ist, wenn der Therapeuth ähnliche Leichen im Keller hat wie der Klient.