Kir Bulytschow - Der Tod im Stockwerk tieferDer zweite Text in diesem Sammelband ist ein Katastrophenroman aus dem Jahr 1987, den Bulytschow erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf Russisch veröffentlichen konnte. Die Idee wurde nach einer Reise nach Swerdlowsk geboren und thematisiert die Verwerfungen der Gorbatschow-Zeit.
Einer der Auslandskorrespondenten der Regierungszeitung Iswestija, Juri Schubin, reist in eine Stadt im Bezirk von Swerdlowsk, um Vorträge über die politische Lage in Südamerika vor allem unter dem Aspekt des Falklandkonflikts zu halten. Eingeladen wurde er von einem Verband namens "Wissen", er trifft sich auch mit den Granden der Stadt, darunter Führungskader der örtlichen Chemiefabrik und des Futtermittelkombinats.
Bei einem Spaziergang lernt er in einer Buchhandlung Mitglieder einer Ökologiegruppe kennen, von denen er in Erfahrung bringt, dass Abwässer und Abgase weiterhin ungefiltert in die Umwelt gebracht werden und somit Auflagen nicht erfüllt werden können, weil sie mit den Vorgaben des Fünf-Jahresplans kollidieren. Die Leiter der Unternehmen wie auch der Stadt priorisieren aus karrieristischen wie aus ökonomischen Gründen die wirtschaftlichen Vorgaben vor den ökologischen. Analysen hätten ergeben, dass eine Mischung der abgeleiteten Schadstoffe reagieren und hochgiftige Stoffe entstehen können. Schubin selbst erlebt die stinkende Luft, sodass er sogar sein Fenster im Hotel ständig geschlossen hält, und praktisch untrinkbares, nach Schwefel stinkendes Wasser.
Im Hotel erhält Schubin mit Hilfe seiner Kontakte zum Restaurant, in dem er mit seiner Fahrerin Elja, mit der sich ein Liebesverhältnis entwickelt, zu Abend speist, was nur seinem VIP-Status zu verdanken ist. Bei den Vorträgen wird aber immer wieder weniger über Südamerika diskutiert, sondern über die Umweltverschmutzung in der Stadt. Die Kinder seien schon aufs Land verschickt worden.
Nach dem Essen schmuggelt Schubin Elja in sein Zimmer, und während sie noch Kaffee trinken, ereignet sich eine Katastrophe. Alle im Foyer befindlichen Menschen sind verstorben, und bald stellt sich heraus, dass ein schwerer gelber und stinkender Nebel in der Stadt hängt, der sofort todbringend ist. Vom Fenster aus beobachten sie, wie auf den Straßen alle Passanten sterben. Aufgrund der Kessellage der Stadt wird geschlossen, dass alle Menschen auf den Straßen, im Erdgeschoß bzw. ersten Stock (je nach Wohngebiet) verstorben sein müssen. Kontakt zu Hilfsdiensten per Telefon ist nicht möglich, niemand antwortet.
Die darauf folgenden Passagen aus dem Hotel sind klassischen Katastrophenfilmen nachgebildet. Schubin, der wegen seiner Kontakte zu der Ökologiebewegung durch einen Milizionär eigentlich verhaftet werden soll, bildet mit diesem sowie auch im Hotel anwesenden Stadt-, Wirtschaft- und Parteibonzen ein Notkomitee, damit Hotelgäste nicht in den Tod laufen. Sie entscheiden, haben eine kleine Schar aus Untergebenen als Handlager, die Masse an Menschen erscheint als Opfer. Tausende sterben.
Bulytschow übertreibt ein wenig, als nach dem Strom- und Wasserausfall auch noch eine Kerosinlampe einen Brand im Hotel verursacht, der nicht gelöscht werden kann. Die Protagonisten fliehen aufs Dach, von dem sie entweder auf dem Weg einer Feuerleiter oder per einem endlich anlangenden Militärhubschrauber gerettet werden können. Durch aufkommenden Wind hat sich der tödliche Nebel verzogen, die Straße ist wieder begehbar. Schubin rettet sich mit Elja über die Feuerleiter, sie ziehen sich wegen der aus den Fenstern lodernden Flammen Verbrennungen zu und Elja führt Schubin zu ihrer Mutter und ihrem nach der Scheidung von ihr erzogenen Sohn.
Als Schubin am Morgen zum Bahnhof geht, ist dort bereits ein Entscheidungsstab gegründet worden, der mit Hilfe von Soldaten die Toten aus der Stadt in ein Massengrab führen will. Schubin ist verdächtigt, dass er Papiere der Ökologiebewegung zum ZK schmuggelt (was auch sein Plan ist). Schließlich wird Schubin des Mordes im Hotel bezichtigt. Die lokalen Behörden haben großes Interesse daran, dass nichts oder nur Verniedlichendes über das Unglück aus der Stadt dringt. Um ihn festzunageln, wird er des Mordes im Hotel beschuldigt und verhaftet. Dies ist eine etwas konstruierte Episode, da im brennenden Hotel Plünderer von dem Funktionär überrascht werden, welche ihn erstechen. Die Plünderer müssen bereits im Hotel gewesen sein (Gäste?), da sie während des Giftnebels nicht eindringen haben können und in diesem auf der Flucht bereits im Foyer verstorben sind.
Schubin wird durch den Milizionär, der ihn im Hotel hat verhaften sollen, befreit. Beide haben sich während des Infernos angefreundet. Ein Mitglied der Ökogruppe fährt ihn mit einem Auto aus der Stadt, damit Schubin an deinem Güterzughalt nach Perm und schließlich nach Moskau fahren kann, um dort im ZK über das Unglück, die warnenden Expertisen, die er mitnimmt, sowie über die Vertuschungen durch die Stadtfunktionäre berichten zu können.
Die Kluft zwischen den Moskauer Behörden bzw. der hohen Parteikader ist spürbar. Während in Moskau Offenheit eingefordert werden, igeln sich die Stadt-Granden ein, um das Unglück vertuschen zu können. Auch wird versucht, diejenigen, die durch Aufklärung sie selbst in Bedrängnis bringen können, mundtot zu machen bzw. aus dem Weg zu räumen. Perestrojka und Glasnost versus alte Funktionärskader.
Die Stadt selbst wird neben den Umweltschäden als heruntergkommen und unter massiven Versorgungsmängeln leidend dargestellt. Lebensmittel werden auf Karten verteilt, um wenigstens eine minimale Grundversorgung aufrechterhalten zu können. Ein schlimmes Bild der späten Sowjetunion. Die einzige Hoffnung ist das Zentralkomitee der Partei unter Gorbatschow. Bulytschow schreibt im Vorwort, dass er im postsowjetischen Russland dieses Ende anders gestalten würde, hat den Text jedoch in seiner Fassung von 1987 freigegeben, um ihn als historisches Erbe erhalten zu können.