Die Verwandlung der Mittelmeerwelt (Fischer Weltgeschichte Bd. 9)Dieser Band wurde 1968 vom damals 40-jährigen, an der Universität Konstanz tätigen Althistoriker Franz Georg Maier verfasst, der neben seinem enzyklopädischen Wissen, auch seine Expertise als Archäologe in diesen sehr spannend zu lesenden Text hat einfließen lassen. Maier schafft es, dass er aus den Unmengen, oft spannenden Details die großen Entwicklungslinien vom 4. bis zum 8. Jahrhundert herausarbeitet.
Diese fünfhundert Jahre bedeuten für den Mittelmeerraum eine Umstrukturierung des heidnischen Römischen Reichs in drei große unterschiedliche Einflusszonen: Byzanz, islamische Reiche, Frankenreich.
Das vierte Jahrhundert war geprägt durch die Christinaisierung des Römischen Reichs, aber auch durch die beginnende Agrarisierung und die Herausbildung einer absolutistsichen Militärherrschaft ("permanente Militärdiktatur"). Die Christianiserung bedeutete auch, dass der Kaiser nun nicht mehr Gott sein konnte, sondern seine Herrschaft "nur" durch Gott legitimiert werden konnte. Beides (Militrädiktatur und Gotteslegitimation) ist prägend für mehr als tausend Jahre sowohl für Byzanz als auch für das europäische Mittelalter. Durch die "Barbarisierung" des Heers durch die Gleichstellung aller Bürger verloren die alten römischen Eliten ihre Vormachtstellung, der Senat seine politische Macht. Die Macht lag in den Händen der Kaiser mit ihren Ratgebern. Machtstütze waren die Legionen.
Um die Wirtschaftskrisen in Griff zu bekommen, werden alte Freiheiten immer mehr beschränkt. Freie Bauern werden zu Colonen, die vom Grundherrn abhängig sind und den Hof nicht verlassen dürfen. Aus freien Handwerkern in den Städten werden zunftgebundene Handwerker, die ihren Beruf nicht wechseln dürfen. Selbst die Söhne müssen die Berufe ihrer Väter ergreifen. Flucht wurde mit dem Tode bestraft. Dies ist mit einer der prägenden sozialen Veränderungen für den mittelalterlichen Feudalismus und seine geschlossene Standesgesellschaft. Auch wurde die Steuerschraube angezogen und um die Steuern einheben zu kommen, wurde ein Überwachungsregime installiert. Die Schere zwischen Armut und Reichtum ging immer weiter auseinander. Dominant werden die reichen Gutsbesitzer.
Politisch wurde das Römische Reich im 4. Jahrhundert dezentralisiert. Konstantin errichtete ein neues Zentrum am Bosporus (Konstantinopel) und die westlichen Zentren waren Ravenna, Mailand und Trier. Rom war nur mehr der Ort eines zahnlosen Senats und das Zentrum des römischen Bischofs. Die Reichsteilung 395 war nur mehr die formale Fixierung eines gegebenen Faktums.
Das 4. Jahrhundert war auch geprägt durch den vermehrten Einfall germanischer Stämme ins Reich, die von den Hunnen mit ihren Überfällen nach Westen geschoben wurden. Zum Teil brachen die Grenzen zusammen, wie der berühmte Einfall der Goten unter Alarich zeigte (mit der Plünderung von Rom 410). Die Germanen, meist Söldnertrupps, wurden als Foederaten eingegliedert und angesiedelt. Sie hatten mehr oder weniger autonome Rechte, aber sehr lange galt noch in den meisten germanischen Gebieten, auch später Herrschaftsgebieten, ein Eheverbot. Ansiedlungen erfolgten nach dem Prinzip der
hospitalitas, einer Einquartierungspflicht, welche mehr und mehr dazu führte, dass römische Gutsbesitzer ein Drittel ihres Landes an hochrangige germanische Adelige abgeben mussten, was eine Basis für die Machtübernahme durch Germanen war.
Die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts, besonders nach dem Tod Attilas, war die Eroberung weströmischer Gebiete durch verschiedene germanische Stämme: Ostgoten in Italien, Westgoten und Sueben in Spanien, Franken und Burgunder in Gallien. Ostrom konnte die germanische Gefahr wie auch die sassanidische abwehren. Nicht zuletzt, da sowohl Odoaker als auch Theroderich, beide im Dienst Ostroms, diplomatisch nach Italien weitergelenkt wurden. Den Bulgaren wurde später ein autonomes Gebiet zugewiesen, die Araber konnten im 7. und 8. Jahrhundert abgewehrt werden.
Dennoch war die Ankunft der Germanen im Westen kein kultureller Bruch. Die Großgrundbesitzer wurden integriert, übernahmen die römische Kultur und Sprache, alter und neuer Adel wurde eine Interessensgruppe. Auch entsprach das System der römischen Latifundien einem germanischen "Hausdenken". Bauern blieben an die Scholle gebunden, Handwerker an ihre Zünfte, Sklaven in Bergwerken wurden weiterhin gebrandmarkt. Die Steuerlast blieb auf dem arbeitenden Volk, der Grundbesitzer war von Steuern befreit. Gegenüber der Zentralmacht wurde der lokale Adel weiterhin immer stärker und germanische Fürsten übernahmen schließlich als Könige die kaiserliche Kasse, den
fiscus, der eine Quelle ihres Reichtums bildete.
Einzig die Vandalen haben versucht, in Nordafrika ein eigenes System zu errichten, was jedoch nicht gelang. Das Vandalenreich mit ihren Überfällen über das Mittelmeer hinaus (455 Plünderung von Rom), aber auch der ständigen Bedrohung durch lokale Eliten, Mauren und Berber endete nach 90 Jahren.
Die Ostgoten blieben in Italien letztlich auf eine militärische Oberschicht beschränkt, eine Integration auch der Siedler fand nicht statt. Theoderich selbst sah sich in römischer Tradition. 553 wurde das Ostgotenreich durch den oströmischen Heerführer Belisar zerstört. Das Westgotische Reich in Spanien nahm 711 durch den arabischen Ansturm sein Ende. Die westgotischen Könige waren ständiger Fehde ausgesetzt, die Herrschaft der Zentralmacht war gering, Könige starben selten eines natürlichen Todes. So war das Reich anfällig gegenüber byzantinischen Angriffen und später gegen arabischen. Die Goten stellten etwa fünf Prozent der Bevölkerung und wurden kulturell romanisiert. Das römische Verwaltungssystem blieb erhalten, ein neuer Dienstadel weist in Richtung mittelalterliche Feudalstrukturen, wenn es auch noch keine Vasallen gab.
Die Franken der Merowinger integrierten sich schnell in Gallien. Sie machten etwa drei Prozent der Bevölkerung aus, die Reichen bildeten eine gemeinsame Schicht mit dem römischen Adel, auch waren sie als Katholiken vom selben Gauben. Nur Belgien mit einem Frankenanteil von 20 Prozent wurde germanisiert. Auch gab es nie ein Eheverbot. Geprägt ist das Merowingerreich durch ständige Reichsteilungen und interne Kriege. Alleine dass ein anderer Familienzweig einen Herrschaftsanspruch stellen könnte, führte zu "bestialischen Ausrottungskampagnen". Wie eigentlich in allen germanischen Herrschaftsgebieten wurden alte Volksrechte der Heeresversammlung oder ein Wahlkönigtum zu Gunsten eines dynastischen Absolutismus abgeschafft. Durch die ständigen Kämpfe und Gewalt war das Reich schließlich zerrüttet. Seuchen und Hungersnöte plagten die Menschen. Die wenigen Hospize und Hospitäler verfielen, Bildungseinrichtungen waren nur mehr in Klöstern zu finden. Aberglaube, Glaube an Hexen und Dämone florierten. Erst die Ankunft irischer Mönche und die Einführung der benediktinischen Regeln führten zu einer Trendumkehr auf geistigem Gebiet.
Die merowingischen Randgebiete wurden von lokalen Herrschern dominiert. Bischofsitze werden Domänen von Adeligen, Kirchenämter sind käuflich (Simonie). Der Staat als zentrale Institution gleicher Herrschaftsordnung und Gesetze weicht immer mehr personalen Bindungen. In dieser Lage mit einflusslosen Königen (oft Kinderkönige) und starken dezentralen Herrschaften wurden die Hausmaier, die staatlichen Verwalter, zu zentralen Figuren der Macht. Ihnen gelang es schließlich eine persönliche Abhängikeit durch Vasallität zu errichten: der Schritt zum Personalverbandstaat des Mittelalters wurde getätigt. Pippin der Ältere, Mitglied der Hausmaierdynastie der Arnulfinger an Maas und Mosel, war der erste der bedeutendsten Hausmaierfamilie, aus der schließlich die Karolinger hervorgingen.
Die wirtschaftliche Autonomie einer Domäne sichert immer mehr die wesentlichen Lebensbedürfnisse in einer Zeit, als wegen der Unsicherheit der im allgemeinen bereits geringe Handel immer mehr zusammenbricht. Dennoch oder vielleicht auch deswegen war das 7. Jahrhundert eine Zeit landwirtschaftlicher Intensivierung: Verwendung modernen Zuggeschirrs, Räderpflug, vermehrter Einsatz von Wassermühlen, Dreifelderwirtschaft, Stallfütterung führten zu einem Produktivitätszuwachs. Sprachlich wandelte sich das Spätlateinische durch grammatische Vereinfachung sowie keltische wie germansiche Spracheinflüsse zum Altfranzösischen.
Der oströmische Kaiser Justinian hat in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts noch einmal versucht, das Reich zu einen, was mit Italien einigermaßen gelang, in Spanien jedoch nur noch im Süden. Wirtschaftlich hat sich Ostrom übernommen. Aber mit der Zusammenfassung des römischen Rechts und dem Bau der Hagia Sophia hat sich sein Name bis heute ins Geschichtsbewusstsein eingebrannt. Die zerrüttete Lage erfordete jedoch eine Neuorganisation des Staates. Es wurde zivile und militärische Macht vereint, das Reich wurde in Themen gegliedert (ein Thema war eine militärische Division). Ein hellenisiertes Byzanz wurde praktisch zu einer Militärdiktatur. In den 30 Jahren von Kaiser Heraklios (ab 610) wurde diese Struktur fixiert. Wirtschaftlich erfolgreich war der Kampf gegen den Schwund der freien Einzelbauern. Kleine, freie Landbesitzer wurden gefördert.
Italien wurde mit den Langobarden ab 558 aufgemischt, es wurde zwischen ihnen und Byzanz aufgeteilt. Die Langobarden im Norden und in der Mitte, Byzanz mit einem Streifen von Rom nach Ravenna und dem Süden mit Sizilien. Sehr schnell romanisierten sich die Langobarden und übernahmen Sprache und Kultur der Einwohner Italiens. Die Auseinandersetzung zwischen Langobarden und Byzanz im 8. Jahrhundert prägte schließlich Italien bis 1870. Gemeinsam mit den Langobarden wollte der Papst Byzanz aus Italien verdrängen, ein militärisches Unternehmen, das sehr erfolgreich war. Die Langobarden wandten sich nach Eroberung des byzantinischen Exarchats zwischen Ravenna (751) und Rom auch gegen den römischen Papst, der die Franken zu Hilfe rief. Diese schlugen die Langobarden und vermachten in einem Friedensvertrag dem Papst das ehemalige Exarchat zwischen Rom und Ravenna. Der Kirchenstaat existierte bis 1870. Im Gegenzug sanktionierte der Papst die fränkische Thronübernahme durch Pippin. 774 war der Langobardenstaat mit Karl dem Großen endgültig Geschichte. 800 wurde er vom Papst zum Kaiser gekrönt, 812 anerkannte Byzanz einen zweiten Kaiser.
Die muslimische Einigung der Araber durch Mohammed haben die wenigsten mitbekommen und wurden durch einen achtzig Jahre andauernden Blitzkrieg überrascht. Das persische Sassanidenreich wurde erobert, Ägypten und Nordafrika fielen in kürzester Zeit in arabische Hände. Mit ein Grund war die brutale Politik von Byzanz gegen christliche Herätiker, die in Syrien, Ägypten und Nordafrika großen Zulauf fanden. Die islamischen Araber mit ihrem Kopfsteuerprinzip bei gleichzeitiger Religionsfreiheit waren für viele Monophysiten oder Nestorianer durchaus eine Erleichterung. Auch Juden waren in Byzanz immer wieder Massakern ausgesetzt. Kulturell und religiös konnten Christen wie Juden ihre Identität behalten. Dies erklärt zumindest die passive Duldung des Arabersturms. Die Berberstämme wiederum nahmen schnell den Islam an.
Trotz der Streitigkeiten um Mohammeds Nachfolge war das Reich der Umajjaden auch mit der Eroberung Spaniens von 711 bis 718 sehr erfolgreich. Erst in Gallien war das Umajjaden-Reich überdehnt und konnte 732 bei Poitiers durch Karl Martell zurückgeschlagen werden. In der Verwaltung übernahmen die Araber als Besatzungsarmee das vorhandene römische System. Auch kulturell war das Umajjadenreich geprägt von einer Übernahme ostbyzantinischer wie auch hellenistisch-orientalischer Kultur. Aber anders als die Germanen waren die Araber in der Lage, in ihrem Herrschaftsgebiet langfristig ihre Sprache durchzusetzen.
Durch die Absetzung der Umajjadendynastie durch die Abbasiden 750 mit der Verlegung der Hauptstadt von Damaskus nach Bagdad begann eine Dezentralisierung und Ethnisierung der Kalifate. Auch Nichtarabern war es nun möglich, Herrschaftsfunktionen einzunehmen. Das Großarabische Reich zerfiel in Teilstaaten, das spanische Kalifat wurde praktisch unabhängig.