Hubert Seipel - Putins MachtDieses Buch habe ich mir als E-Book gekauft, als es rausgekommen ist, und als Fehlkauf nach ein paar Seiten "weggelegt", da nicht Putin oder Russland Thema der Einleitung ist, sondern ein Rundumschlag auf die USA. Da dachte ich an einen reißerischen Titel seitens des Verlags, um die Verkaufszahlen zu erhöhen. Mit den Leaks von Cyprus Confidentials über den Autor schaut es schon anders aus und ich habe das Buch wieder "hervorgekramt". Die Lektüre ist nun selbstverständlich nicht mehr (vor)urteilsfrei, sondern mit der Fragestellung verbunden gewesen, ob sich Manipulation und Propaganda erkennen lässt. Und meine Antwort ist, ja.
Die strukturelle Herangehensweise erinnert mich an sowjetische bzw. pro-sowjetische Bücher aus den 80er Jahren, die auch in westdeutschen Verlagen erschienen sind: Die Gegenseite wird überspitzt präsentiert und mit der eigenen, sachlich argumentierten Position entkräftet. So nach dem Motto "Imperialistischer, profit- und kriegslüstener Chaoshaufen Westen unter US-Fuchtel, vernünftig agierender friedvoller und menschenfreundlicher Verbund sowjetischer Bruderstaaten".
Seipel verwendet dieselbe Struktur. Der Westen ist unter der Fuchtel der USA und jede Eigenständigkeit von EU-Staaten in Bezug auf das Verhältnis zu Russland erhält massiven Gegenwind aus den USA. Neben den USA werden vor allem ex-kommunistische Staaten wie die Ukraine, Polen oder die baltischen Länder als nationalistische, russophobe, zum Teil antisemitische (Polen) Staaten angeprangert, aber auch Deutschland und Frankreich sind Zielscheibe der Kritik Seipels, nicht einmal auf sprachlich beinahe vulgärem Niveau.
Und wie ist das Werk strukturiert: immer gleich. Die Politik eines Staates wird angeprangert, und am Ende des Themenblocks werden besänftigende, kluge Worte Putins aus Interviews mit Seipel (er scheint viele geführt zu haben) oder offiziellen Verlautbarungen bzw. Veröffentlichungen gegenübergestellt.
Aber auch mit eigenen Ansichten spart Seipel nicht. So ist der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 das Resultat des Versagens des Westens, mit der Sowjetunion ein Anti-Hitler-Bündnis zu schließen, die Ereignisse 2014 in der Ukraine sind ein "bewaffneter Umsturz", um nur zwei zu nennen.
Das Buch scheint seine Endredaktion Dezember 2021 gehabt zu haben, der soeben stattfindende Aufmarsch russischer Truppen sei eine verständliche Reaktion Russlands auf die Verstärkung der ukrainischen Armee an den Grenzen zu Donezk und Luhansk. Der ukrainische Präsident Selenskyj sei es, der Verhandlungen mit Russland ablehne. Und so endet das Buch, dass "Amerika sich gerade selbst zerlegt" und ein "Europa ohne Russland ... garantiert nur eines: Krieg". Interessante Aussage drei Monate vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine.
Putins Kriege? Es wird nur einer direkt erwähnt, der Georgienkrieg 2008, und dieser wird als verständliche Reaktion Russlands auf den Einmarsch georgischer Truppen in Südossetien präsentiert. Syrien? Der russische Einsatz habe das Ziel, geordnete Verhältnisse in Syrien herzustellen. Die Coventrierung Aleppos wird mit keinem Wort erwähnt. Dafür ist Putin Friedensbringer für Berg-Karabach im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Der Zweite Tschetschenienkrieg? Kein Wort darüber.
Und zum Titel des Buchs? Über die Machtstruktur in Putins Russland erfahren wir genau nichts. Dafür erfahren wir, dass Putin als Vizebürgermeister von Sankt Petersburg nicht von den Gründern der Alfa Bank, Mikhail Fridman und Pyotr Aven, geschmiert wurde und dass mit der Verfassungsänderung von 2020 Putins Präsidentenuhr auf Null gestellt wird und er deswegen weitere zwei sechsjährige Amtsperioden ab den Wahlen 2024 im Amt sein kann, wenn er gewählt wird, wird als selbstverständlich präsentiert.
Wenn nun Seipel nach den Leaks von Cyprus Confidential meint, die Gelder des russischen Oligarchen Alexej Mordaschow hätten "keinen Einfluss auf den Inhalt" gehabt (Quelle:
ZDF), so muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass zumindest dieses Buch wenig informativ und sehr putinfreundlich ist, dem Titel nicht gerecht wird und in meinen Augen kompletter Schrott ist, der dann auf seinem Mist gewachsen ist.