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Welches Buch lest ihr gerade?

7.342 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Welches Buch lest ihr gerade?

17.08.2017 um 22:55
Lena Gorelik - Die Listensammlerin

41YNXm8qRCL. SX304 BO1204203200

Und noch ein Roman einer jungen Migrantin, diesmal einer Russin. Aber dieser Text ist voll gelungen, eine Freude zu lesen, da Gorelik nicht ihr eigenes Leben reflektiert, sondern eine faszinierende Familiengeschichte entwickelt.

Die Ich-Erzählerin Sofia wird Anfang der 70er Jahre als kleines Kind von ihrer Mutter gemeinsam mit ihrer Großmutter in die Bundesrepublik Deutschland (der Ort ist nicht spezifiziert) gebracht. Ihre Mutter ist zum zweiten Mal verheiratet: mit einem westdeutschen Kommunisten, der in der Sowjetunion studiert hat. Ihr erster Mann ist offiziell bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Jahrzehnte nach dieser Emigration hat Sofia ein Kind und lebt mit ihrem Freund (nicht der Vater) zusammen. Die Familiensituation jedoch ist nicht sehr einfach: ihre Großmutter leidet an Alzheimer und ist unzurechnungsfähig, ihre Mutter ist eine Helikoptermutter, ihre Tochter Anna leidet an einem angeborenen schweren Herzfehler.

Sie arbeitet in kürzeren und sehr lesbaren Kapiteln nicht nur ihr Verhältnis zu den unmittelbaren Familienmitgliedern (Großmutter, Mutter), ihre schriftstellerische Schreibhemmung, sondern auch ihre Familiengeschichte auf.

Schließlich kommt zu Tage, dass ihr Vater sowie ihr Onkel Grischa (Bruder ihrer Mutter) Teil der Samisdat-Bewegung waren und zu Arbeitslagerstrafen in Perm-36 verurteilt wurden. Der Vater ist dort verstorben, über das Schicksal von Grischa ist nichts bekannt.

Gorelik schreibt mit einer sehr feinen sprachlichen Klinge, welche einem die Figuren des Romans sehr nahe bringt. Vor allem die Entwicklung des Charakters von Grischa von einem hyperaktiven Schulkind (Grimassen schneidend bei der Trauerfeier zu Stalins Tod) zu einem künstlerisch hochbegabten Zeichner und Fotografen in der Samisdat-Bewegung ist sehr eindrucksvoll.

Die Kapitel über die kranke Großmutter im Heim sowie ihre herzkranke Tochter sind sehr ergreifend.

Der Titel stammt daher, dass Sofia zu allen möglichen Themen Listen erstellt (so eine Art Karteikärtchen) und schließlich in den Hinterlassenschaften ihrer Großmutter entdeckt, dass ihr Onkel Grischa ebenso Listen geschrieben hat.

Wirklich ein sehr ans Herz gehender Roman mit sehr viel Mitgefühl für die vorgestellten Personen.

Infolinks im Spoiler

Die Autorin:
http://www.lenagorelik.de
Wikipedia: Lena Gorelik

Verlagsinfo:
https://www.rowohlt.de/e-book/lena-gorelik-die-listensammlerin.html

Rezensionen:

https://cms.falter.at/falter/rezensionen/buecher/?issue_id=501&item_id=9783871346064
http://oe1.orf.at/artikel/351629
https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/lena-goreliks-roman-die-listensammlerin-1.18228588
http://www.badische-zeitung.de/literatur-rezensionen/lena-goreliks-die-listensammlerin-fassungslos-in-der-welt--79459761.html

Das Lager Perm-36 wurde auch nach Stalins Tod 1953 weitergeführt und erst 1987 geschlossen:
Wikipedia: Perm-36 Gulag-Museum




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19.08.2017 um 23:41
Dark Times, Dire Decisions. Jews and Communism

9780195182248

Dieser Band der Studies in Contemporary Jewry der Oxford University Press aus dem Jahr 2005 ist ein typischer Sammelband von Einzelaufsätzen mit einem übergreifenden Thema, jedoch mit sehr spezifisch gehaltenen Einzelaufsätzen.

In die allgemeinpolitische Sphäre reichende Texte sind die über Juden in der polnischen KP während der Zwischenkriegszeit, weiters ein sehr irritierender Text über antisemitische Pogrome in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg, bei denen die neu etablierte Entscheidungselite weggesehen hat, sowie ein Artikel über Ungarn, der ein sehr weites Feld umspannt.

Sehr spezifische Beiträge thematisieren Moshe Sneh, dessen Lebensziel das Überleben Israels in einer von der Sowjetunion dominierten Region war. Seine ideologischen Verrenkungen und sein persönlicher wie ideologischer Zusammenbruch, als die Sowjetunion in den 60er Jahren die panarabische Haltung übernahm, dass Israel als imperialistischer Staat zu verschwinden habe, sind bewegend zu lesen.

Interessant auch der Artikel über Klaus Gysi, der mit Staatsauftrag in den 80er Jahren versucht hat, die sehr kleine jüdische Gemeinde der DDR am Leben zu erhalten.

Hinzu kommen noch Beiträge über die kommunistische Bewegung in den USA, in Frankreich und Großbritannien, die ich eher überblicksmäßig gelesen habe, da dieser Bereich nicht so sehr in meinem Interessensbereich liegt.

Das Inhaltsverzeichnis in diesem PDF:
https://fargeblind.no/library/download/asin=0195182243&type=stream

Leseprobe (29 Seiten): https://books.google.at/books?id=POkxdm6DoAsC&pg=PR11&lpg=PR11&


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20.08.2017 um 13:23
Petter Hegre & Inge Schöps - Yoga Pur


yoga pur 600

Vor ein paar Tagen habe ein Kaffeetisch-Buch des norwegischen Aktfotografen Petter Hegre und der deutschen Yoga-Lehrerin Inge Schöps durchgeblättert und quergelesen.

Nicht unbedingt ein Grund, einen Beitrag zu verfassen, aber irgendwie hat mich doch interessiert, wer eigentlich das Zielpublikum von Inge Schöps ist, da ihr Text neben verschiedenen Yoga-Übungen auch Änderungen von Lebenshaltungen thematisiert.

Und da sind mir neben so einigen esoterischen Buzzwords wie "Grobstoffliches" und "Feinstoffliches" zwei Kernpunkte in Erinnerung:

  • Abwendung von der Anhäufung materieller Güter
  • Yoga als Reinigung für den Körper analog zur regelmäßigen Reinigung eines Hauses


Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass nicht unbedingt Menschen im Sozialwohnbauviertel das Zielpublikum von Inge Schöps sind.

Also hat's mich heute doch gejuckt zu recherchieren, und Bingo! Schöps bietet vier- bis fünftägige Yoga-Kurse auf Formentera, Ibiza und Mallorca an. Preis: ab 1.199 Euro (Halbpension, ohne Anreise).

Aber die Fotos mit Luba Shumeyko (Hegres Frau) sind schön ;)

Infolinks im Spoiler

Das Buch:
https://www.droemer-knaur.de/buch/8571875/yoga-pur

Petter Hegre:
Wikipedia: Petter Hegre

Inge Schöps:
https://www.yoga-on.com
http://www.trinity-travel.de/de/themen/yogareisen/item/formentera-yoga-on




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20.08.2017 um 13:36
"Der Heckenritter von Westeros" hatte ein seltsam abruptes Ende, ich hoffe es geht irgendwann weiter.
Aber noch mehr hoffe ich auf die Fortsetzung von "Das Lied von Eis und Feuer"...


Jetzt lese ich:
Die Gelehrten der Scheibenwelt von Terry Pratchett.

71umQddmVLL. SL1500 Original anzeigen (0,2 MB)

Die Zauberer der Scheibenwelt erschaffen aus Versehen unsere Rundwelt und kommentieren ihre Entwicklung.


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20.08.2017 um 15:37
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Und da sind mir neben so einigen esoterischen Buzzwords wie "Grobstoffliches" und "Feinstoffliches" zwei Kernpunkte in Erinnerung:
YMMD!

Auch beim Rest was Du schreibst, stimme ich Dir voll zu.

PS: Die Fotos hätte ich auch gerne gesehen.
Das Cover sieht schon sehr ästhetisch aus.


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27.08.2017 um 00:22
Die Altorientalischen Reiche I (Fischer Weltgeschichte Bd. 2)

51jMTJv1m0L. SX298 BO1204203200

Dieser Band aus dem Jahr 1964 umfasst den Wissensstand über Mesopotamien zur Zeit der Sumerer und Akkads mit dem Ende von Hammurabis Herrschaft sowie Ägypten vom Alten Reich bis zum Ende des Zweiten Zwischenreichs.

Auch wenn Details sicherlich heutzutage schon obsolet sind, ist das Buch spannend zu lesen, ganz besonders auch wegen der Interpretationen, die nicht als Wissen, sondern als Hypothesen präsentiert sind, welche divergierende Meinungen der wissenschaftlichen Gemeinde nicht aussparen.

Für mich ein Highlight war die Gegenüberstellung des Rechts-Kodex von Hammurabi (vermutlich vielen aus dem Schulunterricht bekannt) mit dem älteren sumerischen Rechts-Kodex von Lipitestar (20. Jh. vor unserer Zeitrechnung).

Im Gegensatz zum Rechts-Kodex von Hammurabi scheinen im sumerischen Recht weder die Todesstrafe noch körperliche Verstümmelungen als Strafe auf. Strafen sind materielle Strafen bzw. Schadensersatzstrafen. Die erste menschliche Hochkultur der Geschichte scheint körperliche Strafen abgelehnt zu haben.


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28.08.2017 um 10:55
Replay




"Replay - Das zweite Spiel", von Ken Grimwood

Was wäre, wenn man sein Leben immer wieder lebt, was würde man anders machen, welche Fehler würde man vermeiden, welche wieder begehen? Eines der besten Bücher, die ich zum Thema Zeitreisen gelesen habe.
Absolute Leseempfehlung von mir, auch wenn es schon 1986 geschrieben wurde.


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28.08.2017 um 12:04
@Narrenschiffer
Wenn dich das interessiert gehts weiter mit Bartel Hrouda "Der alte Orient" oder Vorderasien, wobei letzteres schon eher für Fachleute ist und auch nicht so billig wie das andere.


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28.08.2017 um 21:22
@Spöckenkieke

Von Hrouda habe ich hier in meiner Bibliothek den Band "Mesopotamien" aus der Beck'schen Reihe Wissen, "Der alte Orient" habe ich leider nicht, und dieses Buch scheint vergriffen zu sein, ich finde es nur noch gebraucht am Markt.


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29.08.2017 um 00:39
Wenn du das schon hast, dann ist das fast der gleiche Text. Lohnt sich also nicht.


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30.08.2017 um 18:23
Good as Gone - Amy Gentry
Tom und Anna haben das Schlimmste erlebt, was sich Eltern vorstellen können: Ihre 13-jährige Tochter Julie wurde entführt, alle Suchaktionen waren vergebens, die Polizei hat den Fall längst zu den Akten gelegt. Acht Jahre später taucht plötzlich eine junge Frau auf und behauptet, die vermisste Tochter zu sein. Die Familie kann ihr Glück kaum fassen. Doch schon bald spüren alle, dass die Geschichte der Verschwundenen nicht aufgeht. Anna hegt einen furchtbaren Verdacht. Sie macht sich auf die Suche nach der Wahrheit über die junge Frau, von der sie inständig hofft, dass es ihre Tochter ist, die ihr gleichzeitig aber auch fremd erscheint und das gesamte Familiengefüge gefährlich ins Wanken bringt ...

Good as Gone ist ein von Anfang an atemberaubend spannendes Buch. Amy Gentry spielt grandios mit verschiedenen Erzählperspektiven und führt die Leser auf zahlreiche falsche Fährten – bis zum fulminanten und verstörenden Finale.



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01.09.2017 um 12:03
Das hört sich gut an.

Ich lese gerade

Heimsuchung von Oliver Susami
Gefällt mir gut und ich bin gespannt, wie das endet.
Bei Susami ja nicht immer unbedingt befriedigend.

Ein Schrei, der die Gäste aus ihren Zimmern flüchten lässt … eine nächtliche Begebung mit einem längst vergessenen Menschen … das Klopfen und Rütteln an den Türen … ein altes Videospiel, das einen eigenen Willen zu besitzen scheint …

„Heimsuchung“ erzählt von der Begegnung eines gewöhnlichen Menschen mit dem Unerklärlichen: Robert Bieler, 36 Jahre alt und stolzer Pächter des Hotels „Haupthaus“, erlebt Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Nur nach und nach begreift Bieler, dass die Bedrohung real ist, dass er und seine Lieben sich in höchster Gefahr befinden … und dass er sich nirgendwo verstecken kann. (Quelle Amazon)


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01.09.2017 um 16:16
Heinrich Hoffmann - With Hitler in the West

51BlV2rf2BUL. SX341 BO1204203200

Der britische Militärverlag Pen and Sword hat 2015 den Foto-Jubelband von Hitlers Hausfotografen Heinrich Hoffmann vom Frankreichfeldzug aus dem Jahr 1940 wieder veröffentlicht. Die Kommentare sind ins Englische übersetzt.

Die Story ist einfach: Deutschland hat Frankreich von seinen Kriegstreibern befreit und baut das von den Briten und Franzosen zerstörte Land mit Hilfe der Organisation Todt wieder auf. Ist echt schon selten plemplem.

Dafür sind die Fotos historische Bildquellen, die man nicht so oft zu Gesicht bekommt.


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04.09.2017 um 15:39
gerade heute Vormittag in der Bibo gewesen und das hier gefunden und mitgenommen:

buch.ludwig.erhard


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05.09.2017 um 01:54
@Anthea
Zitat von AntheaAnthea schrieb am 01.09.2017:Das hört sich gut an.
War auch wirklich bis zum Schluß spannend und verwirrend.




Ich bin durch eine Diskussion nochmal auf das Buch "Einer von uns" von der Journalistin Åsne Seierstad gekommen. Ich hatte es schon mal gelesen und jetzt nochmal einiges nachgeschlagen und bin immer noch erschüttert. Sehr gut recherchiertes und umgesetztes Buch, was sich sowohl mit Breivik, seiner Kindheit, seinem Werdegang, seinen Gedanken usw., als auch den Opfern, deren Leben durch das Buch gewürdigt werden, beschäftigt. Teilweise sehr, sehr schwer zu lesen, besonders wenn es um das Massaker auf Utøya geht, das durch Erzählungen und Erkenntnissen aus den Ermittlungen fast minutiös wiedergegeben wird. Dennoch ist es in keinster Weise reißerisch, sondern versucht das unfaßbare greifbarer zu machen.
Der Prolog des Buches „Einer von uns. Die Geschichte eines Massenmörders“ greift kurz voraus auf die minutiöse Erzählung des Schießens und Sterbens – und zwar jedes einzelnen Sterbens –, die das furchtbare Kernstück ausmacht. Es mag sein, dass der Leser schon diese ersten Seiten nicht aushält. Die sachlichen Beschreibungen nicht oder nicht den Satz „17 Jahre sind kein langes Leben“.

Die Osloer Journalistin Åsne Seierstad rekonstruiert ein Verbrechen, eines das, wie man so sagt, „unfassbar“ ist. Diese Reportage, die weit in die Vergangenheit von Täter und Opfern zurückgreifende Geschichte, ist ein Versuch der „Fassung“. Einer unter mehreren möglichen, wie der juristischen, der psychologischen, der gesellschaftspolitischen.

[...]

Seierstad hat Nachbarskinder, Jugendfreunde und spätere Kollegen kontaktiert und kann so ein präzises Porträt zeichnen, dass Breiviks spätere Selbststilisierungen in seinem Manifest in vielen Details korrigiert.

[...]

Seierstad will nicht nur ein Breivik-Porträt schreiben, sie zählt auch mit Verbitterung die absurden Pannen der Osloer Polizei auf, die mit schnellerem, weniger beamtenhaft-trägem Vorgehen die Flucht Breiviks vom Bombenanschlag im Regierungsviertel oder wenigstens einen Teil des Utøya-Massakers hätte verhindern können. Was dieses Buch zu einem Meisterstück literarischer Reportage macht, ist aber etwas anderes: Es nimmt sich wirklich Zeit, die Geschichten der Opfer zu erzählen.
https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article155354682/Schon-die-ersten-Seiten-sind-kaum-auszuhalten.html


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11.09.2017 um 22:22
David van Reybrouck - Kongo

46445Original anzeigen (0,2 MB)

Dies ist *das* historische Buch des 21. Jahrhunderts. Reybrouck ist Kulturhistoriker und Archäologe (mit Dissertation), aber auch Journalist, und er verbindet in diesem seinem Opus Magnus penibelst recherchierte und belegte Geschichte des Kongos seit dem Neolithikum mit journalistischer Reportage (Reybrouks Vater war im Kongo Eisenbahningenieur, er selbst bereiste während der Nuller-Jahre den Kongo mehrfach und ist nach wie vor im Kongo tätig, um Journalisten auszubilden).

Das Buch umfasst ausführlichst folgende Epochen:

- Neolithikum bis zur Ankunft der Portugiesen im 16. Jahrhundert
- Das 16. Jahrhundert bis zur Übernahme durch den belgischen König Leopold
- Die Kautschuk-Jahre unter König Leopold von Belgien
- Belgisch-Kongo ab 1908
- Die Entkolonialisierung mitsamt dem Chaos und der Ermordung Lumumbas
- Die Diktatur Mobutus
- Post-Mobutu-Kongo unter Vater und Sohn Kibala
- Die chinesischen Beziehungen bis zur Gegenwart

Die besondere Art, wie Reybrouck recherchiert, ist seine Verknüpfung akribisch recherchierter historischer Fakten  mit Zeitzeugengesprächen (journalistischer Reportage) sowie seine Engführung politischer Geschichte mit den Lebensbedingungen der im Kongo lebenden Menschen.

Für mich einer der Höhepunkte sind die immer wieder eingeflochtenen Gespräche mit einem gewissen Nkasi, der 1882 geboren wurde und die 2007 geführt wurden. Wohl einer der ältesten Männer der Welt, und während der Gespräche stellt sich aufgrund der Detailerinnerungen heraus, dass diese so korrekt sind, dass sein hohes Alter stimmen muss.

Die Zeit der Unabhängigkeit ab 1960 kommt bei Reybrouck sehr schlecht weg, da nicht nur durchgehend eine politische Kaste an der Macht ist, die den Reichtum des Kongos einstreift (Zinn, Kupfer, Coltan), sondern auch die Infrastruktur komplett verfallen lässt.

Somit entsteht ein Bogen von Belgisch-Kongo zu den in den Nuller-Jahren entwickelten Beziehungen zu China, welche beide trotz sehr egoistischer Interessen für die Menschen im Kongo positive Einflüsse gebracht haben bzw. bringen (höheres BIP, bessere Infrastruktur, soziale Absicherung).

Als die schlimmsten Jahre werden die zweite Hälfte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts beschrieben, als sich Burundi, Ruanda und Rebellenorganisationen den Ost-Kongo unter den Nagel rissen, um sich der Rohstoffe zu bedienen. Die durch Zeugen geschilderten Brutalitäten sind an der Grenze des Vorstellbaren und stehen durchaus in einem Kontext zu den Animositäten zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda, nur dass sie umgekehrt gelagert waren (die Hutu waren die Gejagten und Zerhackten, während die Tutsi in Ruanda, Burundi wie Kinshasa die Herrschaft innehatten/innehaben).

Spannendst zu lesen, der Rezensent Sebastian Hammelehle im SPIEGEL stellt Reybrouck sogar auf eine Stufe mit der Historiker-Ikone Barbara Tuchman.

Infolinks im Spoiler

Der Autor:
http://www.davidvanreybrouck.be (Flämisch)
Wikipedia: David Van Reybrouck

Verlagsinfo:
http://www.suhrkamp.de/buecher/kongo-david_van_reybrouck_46445.html

Rezensionen:
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/david-van-reybrouck-kongo-bei-suhrkamp-a-829640.html
http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-18980
http://www.deutschlandfunk.de/blick-in-den-kongo.700.de.html?dram:article_id=235165
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/eine-geschichte-kongos-rohstoff-fuer-eine-neue-weltordnung-11749945.html
http://www.taz.de/!5092390/
https://cms.falter.at/falter/rezensionen/buecher/?issue_id=432&item_id=9783518423073
http://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Uebersicht/David-Van-Reybrouck-gewinnt-NDR-Sachbuchpreis (Archiv-Version vom 07.03.2021)
https://www.nzz.ch/international/afrika/afrika-als-vorreiter-der-globalisierung-1.18430677




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12.09.2017 um 23:01
Gotthold Ephraim Lessing - Nathan der Weise

nathan

Vielleicht so manchem noch aus der Schulzeit bekannt, mir auch, ist die Wiederlektüre doch ein Augenöffner.

Die Rahmengeschichte dürfte bekannt sein: ein Tempelritter rettet in Jerusalem Ende des 12. Jahrhunderts/Anfang des 13. Jahrhunderts eine angenommene Tochter aus dem brennenden Haus ihres reichen jüdischen Ziehvaters, verliebt sich in sie, kann sie aber nicht heiraten, da am Ende rauskommt, dass sie Geschwister sind und ihr Vater der Bruder Sultan Saladins ist.

Auch die Zentralpassage ist berühmt, die Ringparabel. Sie wird in der Regel als Meisterstück eines Lessing'schen Toleranzgedanken gesehen, aber da hapert es meines Erachtens schon.

Lessing trennt im Stück konsequent zwischen Religionsgemeinschaften und Gläubigen. Die Ringe in der Ringparabel repräsentieren die drei Religionsgemeinschaften des Judentums, Christentums und Islam (ohne deren Aufsplitterung in verschiedenste Richtungen). Und diese sind eben nicht alle wahr, sondern sie sind alle falsch, da jede Religionsgemeinschaft nicht vor den anderen "angenehm" macht, sondern ausschließlich sich selbst liebt.

Genau diese Ansicht zieht sich konsequent durch das Stück: Religionsgemeinschaften sind gewalttätig (das Massaker von Gath, bei dem in dieser Stadt von christlichen Horden alle Juden ermordet wurden und Nathan seine ganze Familie und seine sieben Söhne verlor, ist beklemmender Höhepunkt des Stückes). Auch der christliche Patriarch als Repräsentant der Religionsgemeinschaft fordert das Verbrennen Nathans, weil er eine christliche Ziehtochter angenommen hat und ihr den Glauben verweigere.

Eine kleine Spitzfindigkeit ist auch, dass im Gespräch zwischen Saladin und Nathan, als Letzterer gerade seine Ringparabel vorgetragen hat, die beiden über Kriegskredite zu verhandeln beginnen.

Sehr eindeutig gegen die Selbstherrlichkeit der drei Religionsgemeinschaften gerichtet ist die Aussage des Tempelherrns gegenüber Nathen:
Wißt Ihr, Nathan, welches Volk
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,
Doch wegen seines Stolzes zu verachten,
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt,
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern
Der ganzen Welt als besten auf zudringen,
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
Gezeigt, als hier, als itzt?


(2. Aufzug, 5. Szene)
Ein wertvolles Wiederlesen, da der Text selbst meine verfestigte Erinnerung an diesen als falsche Erinnerung bestraft hat. Das Werk ist um vieles radikaler in seiner Kritik an Religionsgemeinschaften als von mir angenommen.


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14.09.2017 um 08:57
marx



Ich mag diesen Mann nicht.
Bei jeder Zeile will man ihm das Buch um die Ohren schlagen. Das war bisher bei allen seinen Werken der Fall.
Eigentlich tue ich mir das nur an, um mich daran zu erinnern, wie sehr ich John Henry Mackay, Max Stirner und co. schätze.


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14.09.2017 um 09:07
91r3iPh2wRL-2

Eine großartige Partynacht mit Physik

Dieses Buch soll eine Lanze für das wohl unbeliebteste Schulfach brechen. Richtig betrachtet, ist Physik nämlich gar nicht kompliziert, abstrakt und unverständlich – das ist Mathe! Physik ist unterhaltsam und beantwortet die brennenden Fragen der Menschheit: Warum schäumen Bierflaschen über? Was hat ein Moshpit mit Thermodynamik zu tun? Warum verbrennt man sich an den Tomaten auf der Pizza immer die Zunge? Schlägt sich der Hot-Chocolate-Effect auf die Hüften nieder?
Science-Slam-Meister Reinhard Remfort erzählt Geschichten aus dem Nachtleben eines Physikers und nimmt seine Leser mit durch einen chaotischen Silvester-Dosenbier-Punkrockabend aus der Sicht der Physik.


http://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/methodisch-korrektes-biertrinken-9783548375878.html


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14.09.2017 um 21:50
Gotthold Ephraim Lessing - Emilia Galotti

20854983z

Schubladisiert unter "bürgerliches Trauerspiel" ist auch dieses Werk Lessings viel radikaler, als ich es in Erinnerung habe.

Um eine Frau aus einem bürgerlichen Haus, die er liebt, zu bekommen, setzt ein Duodez-Fürst alle seine Macht-Register ein:

- Stalking
- Ermordung ihres Bräutigams am Tag der Hochzeit
- Entführung
- Einkerkerung, da sie ja ihren Bräutigam hätte ermorden lassen können

Ausweg? Keiner. Sie will mit der Perspektive, als Sexsklavin eines durchgeknallten Adeligen ihr Leben zu fristen, nicht mehr weiterleben. Ihr Vater ersticht Emilia.

Lessing weist viel stärker in Richtung Büchner als in Richtung Goethe. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er in der Rezeption sehr verwässert ist, sein radikales Denken viel zu wenig gewürdigt ist.


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