Michael Hardt & Antonio Negri: EmpireDas 2000 erschienene Buch wird zum Teil als neues "Kommunistisches Manifest" gefeiert, was ich jedoch nicht nachvollziehen kann.
Die Grundthese ist, dass das Kapital spätestens mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion von seiner imperialistischen Phase (Ausdehnung unter Ausnutzung der Grenzen von Nationalstaaten) zu seiner imperialen Phase (globale Umspannung unter Umgehung von Nationalstaaten) übergegangen ist.
Kennzeichen ist, dass es kein Innen und Außen mehr gibt. Einerseits werden nationale Grenzen ausgehebelt, andererseits wird die Arbeitssituation des Individuums räumlich (immer mehr Arbeit findet außerhalb von Fabriken statt) und zeitlich (durch digitale Kommunikationsmöglichkeiten wird die Arbeitszeit beinahe auf 24/7 ausgedehnt) von seinen Grenzen enthoben.
Globalpolitisch übernehmen die USA die Vorherrschaft (via Atombombe, Geld und Kultur), aber nicht mehr imperialistisch, sondern imperial (grenzenlos, aber auch angefordert ... Hegemonie ist nicht mehr - wie im Imperialismus - aufs Auge gedrückt, sondern gewünscht).
Hardt und Negri sehen in dieser neuen Situation nicht nur Bedrohungen, sondern auch Chancen, dass die vom Kapital abhängigen Arbeitenden (das "Proletariat") die neue Arbeitssituation nutzt, indem die "biopolitisch" gegebene Produktionsweise die Vergesellschaftung der Produktionsmittel fördern kann.
Aber damit beginnt es zu haken.
Als einzige politischen Forderungen sehen die beiden das gesellschaftliche Grundeinkommen (begründet mit der 24/7-Eingliederung aller Menschen in den kapitalistischen Produktionsprozess) sowie die Verleihung von Bürgerrechten der vom Kapital als industrielle Arbeitskräfte benötigten Migranten (die indigene Bevölkerung der ehemals imperialistischen Industriestaaten ist immer mehr im teritären Sektor beschäftigt ... oder eben gar nicht mehr).
Indem die klassische Gewerkschaftsbewegung für diese postmodern oder postindustriell bezeichnete Gesellschaft als obsolet betrachtet wird (Kind der beschränkten nationalstaatlichen Moderne), fallen sie mit ihren Thesen sogar hinter die Sozialdemokratie (Gewerkschaftsbewegung und Wohlfahrtsstaat) zurück.
Skurril wird es am Ende des sehr umfangreichen und wegen der umfangreichen ideengeschichtlichen Exkurse, die von Aristoteles über Macchiavelli, Spinoza, Hegel, Marx bis in die Gegenwart reichen, wenn der ideale militante Kommunist sich an Franz von Assisi orientieren soll. Begründung: das asketische, altruistische Vorbild ist das revolutionäre.
Naja: ob nun wirklich das Sprechen mit Vögeln gemeint ist (was ja sehr herzerfrischend sein kann) oder eine auf materielle Güter verzichtende und abfeiernde Hippiegesellschaft als Avantgarde des Proletariats gesehen wird, bleibt offen.
Auch wenn ich zu zweiterem tendiere, da im Buch die Verweigerungshaltung der US-Hippies als entscheidender Impuls gesehen wird, welche das Kapital dazu brachte, aus der Moderne des Taylorismus und Fordismus auszubrechen.
Letztlich wegen des ideengeschichtlichen Namedroppings (tiefere Analysen gibt es nicht, es bleibt alles ein sehr oberflächlicher Wortschwall) und der sehr skurrilen Perspektive des politischen Handelns war dies eine sehr unbefriedigende Lektüre.
Karl Marx'
Lohnarbeit und Kapital erachte ich immer noch als nicht abgelösten Standard, mit dem auch gegenwärtige Prozesse der Arbeitswelt analysiert werden können:
http://www.mlwerke.de/me/me06/me06_397.htmInfos mit Links im
Spoiler
Wikipedia-Einträge:
Wikipedia: Empire – die neue Weltordnung
Wikipedia: Empire (Negri and Hardt book) (mit Links zu freien englischsprachigen PDF-Ausgaben)
Die Autoren:
Wikipedia: Michael Hardt (Literaturtheoretiker)
Wikipedia: Antonio Negri