Magnus Pahl - Fremde Heere Ost. Hitlers militärische FeindaufklärungInteressante Dissertation über die 1917 gegründete Abteilung Fremde Heere, den Aufklärungsdienst Generalstabs der deutschen Armee während des Zweiten Weltkriegs.
Während der Nazi-Diktatur wurde die Abteilung in zwei Bereiche gegliedert, in Ost und West. Und da die Wehrmacht die einzige staatliche Organisation war, die nicht gleichgeschaltet, also formell der Partei unterstellt wurde, gab es ziemliche Einschränkungen. So wurde während des Hitler-Stalin-Pakts von 1939-1940 ein Jahr lang jegliche Aufklärung in der Sowjetunion verboten. Mit den Auswirkungen, dass die Informationen geschönt und ziemlich daneben waren.
Die Folge: General Kinkel wurde 1942 durch Reinhard Gehlen ersetzt, einen der schillerndsten Figuren deutscher Geheimdienstgeschichte.
Gehlen setzte alles daran, die Militäraufklärung zu professionalisieren, und eines seiner Ziele war, aus der Militäraufklärung einen Nachrichtendienst zu gestalten, der nicht nur Daten liefert, sondern sie auch auswertet, was bisher einer anderen Generalstabsabteilung bzw. Hitler selbst überlassen war. Gelungen ist es ihm nicht, aber die Abteilung wurde professionalisiert (Karteisysteme, Lochkarten, verlässliche und verschwiegene Mitarbeiter).
Dennoch hatte die Abteilung einen schweren Stand: wenn die Analysen über die "Halbaffen auf Panzern", wie Hitler die sowjetische Armee nannte, zu realistisch waren, wurde Defaitismus vorgeworfen (als die Anzahl der sowjetischen Flugzeuge realistisch 5x so hoch geschätzt wurde als Hitler dachte, war Gehlen ein "Narr und Idiot" [Hitler], wenn jedoch Prognosen über sowjetische zu optimistisch bzw. falsch waren (Pommern-Offensive im Februar 1945), brach ein Donnerfeuer los. Im April 1945 wurde Gehlen schließlich entlassen.
Gehlen selbst ist eine sehr undurchsichtige Person, erscheint sehr karrierebewusst und auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, aber sehr eiskalt.
Anfang 1944 - noch vor der Invasion in der Normandie - gibt es eine Einschätzung von Gehlen überliefert, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei und nach dem Krieg die Westalliierten mit der Sowjetunion in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sein werden. Ab diesem Zeitpunkt ist nachweisbar, dass Gehlen alles dransetzte, Fremde Heere Ost als Organisation auch über den Krieg hinaus aktiv zu halten.
Interessant auch, dass er nachweislich bereits Anfang Juli 1944 von den Attentatsplänen gegen Hitler wusste, aber in der ersten Woche des Juli wegen einer Blutvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Pahl lässt die Möglichkeit offen, dass er sich diese selbst zugefügt hat, um seine persönlichen Optionen offen zu lassen (mit Hitler oder mit den Attentätern - je nach Erfolg des Attentats).
Auch ist belegt, dass Gehlen vor Kriegsende Kontakt hielt mit den Leuten, welche die nationalsozialistische Überrollarmee "Werwölfe" gründeten, und ihnen Expertisen über den Warschauer Aufstand und die ukrainischen faschistischen Kämpfer gegen die Sowjetunion lieferte, also Expertisen über Guerillakampf.
Nach seiner Kündigung durch Hitler Anfang April 1945 beendete Gehlen nicht seine Arbeit, sondern verlegte praktisch alle Akten auf abenteuerlichste Art und Weise von Zossen über Naumburg nach Bad Reichenhall, hielt die Leute von Fremde Heere Ost zusammen und versteckte sich bis Kriegsende in einer Alpenhütte.
Nach Kriegsende bot er den Amerikanern diese Daten, seine Abteilung und sich selbst an, konnte die USA überzeugen, und er bildete mit von ihm handverlesenen Leuten von Fremde Heere Ost, Fremde Luftwaffen Ost und dem Reichssicherheitshauptamt 1947 die "Organisation Gehlen", die nach der Gründung der BRD in "Bundesnachrichtendienst" (BND) umbenannt wurde. Gehlen hatte seine Nachrichtendienst (Aufklärung samt Auswertung) und seine fortgesetzte Karriere.
Interessant ist, dass die DDR bestrebt war, Gehlen zu entführen, es war sogar ein gewisser Herr Freitag auf ihn angesetzt, diese Aktion wurde 1955 zurückgepfiffen, vermutlich auf Geheiß vom Kreml.
Insgesamt ein hochinteressantes Buch, das auf sehr vielen Quellen basiert (der Anmerkungsteil ist eine wahre Fundgrube!). Für an diesem Thema interessierte Leser eines, das während der ein bis zwei Lesewochen wirklich fesselnd ist.
Weitere Infos im
Spoiler
Große Teile lassen sich auch auf Google lesen (sehr umfangreiche Leseprobe):
http://books.google.at/books/about/Fremde_Heere_Ost.html?id=uDEpRRVuMXYC&redir_esc=y
Verlagsinfo:
http://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=694
Rezensionen:
http://www.faz.net/aktuell/politik/magnus-pahl-fremde-heere-ost-immer-schoen-vage-formulieren-12537032.html
http://www.sehepunkte.de/2013/03/23175.html
http://www.deutschlandradiokultur.de/hitlers-spione-an-der-ostfront.1270.de.html?dram:article_id=230346
http://www.tagesspiegel.de/kultur/kuehne-prognose/7375052.html